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# taz.de -- Großdemo der Mietenbewegung: Auferstanden, um zu Enteignen
> Während die Politik kaum Ideen zur Lösung der Wohnungsfrage hat, steckt
> die Bewegung in einer Schockstarre. Schafft die Demo am Samstag Abhilfe?
Berlin taz | Der Aufruf der Mietenbewegung am Samstag zu ihrer ersten
Großdemonstration seit Jahren soll das Ende einer Bewegungsflaute
markieren. Aus der Versenkung auferstanden ist das Bündnis gegen
Verdrängung und Mietenwahnsinn: 150 Initiativen unterstützen die Forderung
nach einer „radikalen Wende“ in der Wohnungspolitik.
„Die Mietenkrise ist in den letzten Jahren kein Stück besser geworden,
sondern hat sich sogar verschlimmert“, sagt Bündnissprecher Jonas
Schelling. Die derzeitige Politik von Senat und Bund löse die Krise nicht,
sondern sei ein „Totalversagen“. Konkret fordert das Bündnis die Einführu…
eines bundesweiten Mietendeckels, die Umsetzung des
DW-Enteignen-Volksentscheids sowie das Verbot von Eigenbedarfskündigungen
und Zwangsräumungen.
In den drei Kernforderungen zeigt sich auch das Dilemma, das die
Mietenbewegung in den vergangenen Jahren in die Lethargie getrieben hat:
Der schwarz-rote Senat hat einer Wohnungspolitik gegen die Interessen von
Großunternehmen eine grundlegende Absage erteilt. Gleichzeitig kassierten
Gerichte wohnungspolitische Hoffnungsträger wie den Mietendeckel und
[1][das Vorkaufsrecht].
Und nicht zuletzt herrscht auf Bundesebene politischer Stillstand. „Die FDP
blockiert sämtliche Versuche, die Mietrechtsreform umzusetzen“, erklärt
Ulrike Hamann, Geschäftsführerin vom Berliner Mieterverein die Problemlage.
Zudem sei es auf Bundesebene sehr viel schwieriger, die Mieterschaft zu
mobilisieren.
## Frust bremst Bewegung
„Die Mietenbewegung war in einer politischen Krise“, sagt auch
Bündnisprecher Jonas Schelling. Aufgrund der politischen Rückschläge gibt
es sehr viel Frust. Seit dem Herbst 2021 ist es der organisierten
Mieter:innenschaft nicht mehr gelungen, nennenswert Druck zu erzeugen.
Proteste blieben klein, Initiativen schliefen ein, neue Ideen blieben aus.
Der zuvor über Jahre aktivste Teil der sozialen Bewegungen in Berlin war
plötzlich wie ausgeschaltet. Zu Ende ging dieser Bewegungszyklus
ausgerechnet in dem Moment ihres größten Erfolgs: dem gewonnenen
Enteignungsvolksentscheid.
Bis dato war das Thema der steigenden Mieten und des Widerstands dagegen
über Jahre das Bestimmende der Stadt. Zur ersten Mietenwahnsinn-Demo 2018
waren 25.000 Menschen erschienen, im April 2019 folgten dann schon 40.000.
Überall sprossen Initiativen aus dem Boden, vielfach Hausgemeinschaften,
die über das Vorkaufsrecht gerettet werden wollten. Viele bedrohte Orte
wurden mittels großer Kampagnen verteidigt, trotz schneller Räumungen immer
wieder neue Häuser und Wohnungen besetzt.
Und tatsächlich bewegte sich etwas: Die Deutsche Wohnen kündigte aufgrund
des Drucks der Enteignungsinitiative eine freiwillige Zurückhaltung bei
Mieterhöhungen an, über das Vorkaufsrecht wurden massenhaft Häuser gerettet
und der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wurde ein Riegel
vorgeschoben. Als politischer Durchbruch dieser Zeit unter linker Führung
im Stadtentwicklungsressort galt der Mietendeckel.
Dieser war bereits wieder gekippt, als [2][im September 2021 nochmal 20.000
Mieter:innen auf die Straße gingen] und kurz darauf – viel umjubelt –
der Volksentscheid gewonnen wurde.
## Senat ist kein Partner
Alles, was danach folgte, war ernüchternd. [3][Die Rückkehr zur politischen
Ambitionslosigkeit unter Schwarz-Rot], in Einklang mit den
Verwertungsinteressen der hofierten Immobilienlobby, raubte der Bewegung
jede Energie. „Die aktuelle Regierung ist kein Partner“, bringt es der
Friedrichshain-Kreuzberger Baustadt Florian Schmidt (Grüne) auf den Punkt.
Statt auf Bestandsschutz setze Schwarz-Rot vor allem auf Neubau. Dieser
würde „das Wohnraumproblem nie ernsthaft lösen“, sondern bleibe immer nur
ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Nicht zufällig gewählt ist der Termin der Demonstration zehn Tage vor dem
„Tag der deutschen Immobilienwirtschaft“, einer Lobbyveranstaltung, auf der
Branchenriesen für weniger Regulierung und mehr Förderungen bei
Neubauvorhaben werben.
Hofiert wird die Veranstaltung von Politprominenz wie Wirtschaftsminister
Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner (FPD) und
Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Das Bündnis bezeichnet die Veranstaltung
als „Symbol fehlgeleiteter Wohnungspolitik im Interesse der Vermieter und
Spekulanten“.
## Krise verschärft sich immer weiter
Die Folgen davon werden unterdessen immer dramatischer: In den vergangenen
Jahren verschlechterte sich die Situation auf Berlins Wohnungsmarkt
dramatisch. Kostete ein Quadratmeter bei Neu- und Wiedervermietung im
vierten Quartal 2021 durchschnittlich noch 10,30 Euro und damit kaum mehr
drei Jahre zuvor, sind es inzwischen 14,93 Euro.
Doch es gibt auch positive Entwicklungen. [4][Zuletzt konnte das Tuntenhaus
nach einer starken Kampagne mit den Überbleibseln des Vorkaufsrechts
gerettet werden.] Die Initiative DW Enteignen will mit einem neuen
Volksentscheid und einem eigenen Gesetzesentwurf die Vergesellschaftung von
Wohnraum erzwingen; in Mariendorf-Ost organisierten Mieter:innen
erfolgreich einen Heizkostenstreik. „Wichtig ist es, politische
Rahmenbedingungen zu ändern und uns gleichzeitig in der Nachbarschaft bei
konkreten Kämpfen mit dem Vermieter gegenseitig zu unterstützen“, sagt
Bündnissprecher Schelling.
Für die Demo am Samstag ist Schelling optimistisch: „Wir haben ein sehr
breites Bündnis.“ Neben Mieten-Initiativen sind auch Gewerkschaften und die
Klimabewegung mit Gruppen wie Fridays for Future und XR mit einem eigenen
Block vertreten. „Wenn die Mieter:innen sich überall in der Stadt
organisieren, dann wird die Wohnungspolitik eine andere sein.“
28 May 2024
## LINKS
[1] /Mietenbewegung-ohne-Vorkaufsrecht/!5815123
[2] /Ueber-20000-bei-Mietendemo-in-Berlin/!5800111
[3] /Rot-rot-gruene-Wohnungspolitik-in-Berlin/!5796184
[4] /Queeres-Hausprojekt-in-Berlin/!6007800
## AUTOREN
Erik Peter
Jonas Wahmkow
## TAGS
Mietenbewegung
Deutsche Wohnen & Co enteignen
Mietenprotest
Mietenbewegung
Glück
Queer
Vorkaufsrecht
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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