# taz.de -- Mieterschutz vor Verdrängung: Hamburg will Vorkaufsrecht retten | |
> Das Bundesverwaltungsgericht hatte das Vorkaufsrecht gekippt. Nun wollen | |
> es SPD und Grüne in der Hansestadt schnell wieder ermöglichen. | |
Bild: Ist schöner, wenn das eigene Zuhause keinem Investor gehört | |
HAMBURG taz | Es war in Hamburg bislang kein eifrig genutztes Instrument, | |
um Mieter:innen vor Verdrängung zu schützen, doch nun scheint sich die | |
rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft ein Leben ohne kommunales | |
Vorkaufsrecht nicht mehr vorstellen zu können. Nachdem das | |
Bundesverwaltungsgericht das Instrument kürzlich mit einem Urteil gekippt | |
hatte, wollen SPD und Grüne dafür sorgen, es wieder anwenden zu dürfen. | |
Der Senat solle darauf einwirken, dass das Baugesetzbuch vom Bund | |
novelliert wird, um künftig weiter Immobilien kommunalisieren zu können. | |
„Mit unserem Antrag macht Hamburg bundesweit den Aufschlag dazu“, sagt Olaf | |
Duge, der wohnungspolitische Sprecher der grünen Bürgerschaftsfraktion. | |
Anfang November hatte das Bundesverwaltungsgericht die Vorkaufsrechtspraxis | |
in Teilen gekippt. Es gab einer klagenden Immobilienfirma recht, die ein | |
Grundstück mit 20 Mietwohnungen und zwei Gewerbeeinheiten im Berliner | |
Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg erworben hatte. | |
Der Bezirk übte das Vorkaufsrecht aus, da sich das Grundstück in einem | |
Milieuschutzgebiet befindet und die Gefahr bestanden habe, dass ein Teil | |
der Mieter:innen durch Mieterhöhungen oder Umwandlungen in | |
Eigentumswohnungen verdrängt werden könnte. | |
## Bundesverwaltungsgericht kippte das Vorkaufsrecht | |
Das Gericht urteilte, dass ein Vorkaufsrecht ausgeschlossen ist, wenn das | |
Grundstück entsprechend den Zielen oder Zwecken der städtebaulichen | |
Maßnahmen bebaut ist und genutzt wird und ein auf ihm errichtetes Gebäude | |
keine Mängel aufweist. Zu erwartende Nutzungen in der Zukunft dürfen nicht | |
berücksichtigt werden. Damit ist die bundesweite Praxis von Kommunen | |
hinfällig, die das Vorkaufsrecht zum Milieuschutz nutzten. | |
Vor allem in Berlin wurde das Instrument in den vergangenen Jahren | |
intensiv genutzt, aber auch in Hamburg nahm die Anzahl zu. 30 Objekte mit | |
361 Wohn- und 29 Gewerbeeinheiten hat die Stadt zwischen 2018 und Mitte | |
2021 gekauft, bevor Investor:innen es tun konnten. Zum Vergleich: In | |
Berlin wurden in den vergangenen fünf Jahren per Vorkauf rund 12.000 | |
Wohnungen vor privaten Investor:innen gerettet. | |
„Wenn man auf die bisherige aktive Ausübung des Vorkaufsrechtes in Hamburg | |
zum Schutze der Mieter*innen blickt, kann man erahnen, welche | |
gewachsenen sozialen Strukturen jetzt in den Quartieren zerstört werden | |
könnten“, sagt Duge. Die Hamburger SPD sieht es genau so: „Der Gesetzgeber | |
muss unbedingt für Klarheit sorgen und das Baugesetzbuch zügig anpassen“, | |
sagt Martina Koeppen, wohnpolitische Sprecherin der | |
SPD-Bürgerschaftsfraktion. | |
Vorige Woche beschloss die Bauministerkonferenz – die jährlich | |
stattfindende Konferenz der für Bau- und Wohnungswesen zuständigen | |
Landesminister:innen –, sich mit Ausnahme von Bayern der Hamburger | |
Initiative anschließen zu wollen. Und da in der künftigen Bundesregierung | |
wohl SPD und Grüne vertreten sein werden, dürfte parteiintern auf dem | |
kurzen Weg darauf eingewirkt werden. Einzig fraglich bleibt, wie groß der | |
Widerstand in der [1][Ampelkoalition] seitens der FDP wird. | |
## Mieterverein rät zur Eile | |
Der Mieterverein zu Hamburg rät derweil zur Eile. „Das Baugesetzbuch sollte | |
lieber heute als morgen überarbeitet werden, um das Schwert wieder scharf | |
zu machen“, sagt dessen Vorsitzender Sigmund Chychla. Gleichwohl wäre es | |
aus Chychlas Sicht wünschenswert, wenn die Stadt das Vorkaufsrecht dann | |
auch intensiver nutzt als bislang. „Es wurde in der Vergangenheit sehr | |
zurückhaltend angewandt“, sagt Chychla. | |
Zum „Schutz der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ durfte die Stadt | |
bisher überall dort das Vorkaufsrecht ausüben, wo eine soziale | |
Erhaltungsverordnung gilt. Die Verordnung kann Hamburg für Viertel | |
erlassen, in denen die Mieten besonders stark gestiegen sind. | |
Wer dort eine vermietete Wohnimmobilie kaufen will, muss sich dazu | |
verpflichten, keine Grundrissänderungen und Modernisierungen der Wohnungen | |
durchzuführen, die über den üblichen Ausstattungszustand hinausgehen, und | |
langfristig auf die Umwandlung der erworbenen Mietwohnungen in | |
Eigentumswohnungen zu verzichten. | |
Verweigert der potentielle Käufer seine Zustimmung, kann die Stadt | |
zugreifen. Weil die Stadt die Immobilien allerdings zu Marktpreisen kaufen | |
muss, fordert Hamburgs Linke noch eine Ergänzung, die ebenfalls ins | |
Baugesetzbuch aufgenommen werden solle: Beim Vorkauf müsse der Kaufpreis | |
gesetzlich begrenzt werden, damit die öffentliche Hand keine überteuerten | |
Preise zahlen muss. Die Preise müssten „auf Grundlage von fairen Mieten und | |
nicht von Mondpreisen festgelegt werden“, fordert die wohnungspolitische | |
Sprecherin Heike Sudmann. | |
## Steht noch eine Verordnung auf der Kippe? | |
Allerdings ist unklar, ob das Urteil nicht noch weitreichendere Folgen für | |
Hamburg hat. Denn der Senat hatte erst kürzlich [2][als erstes Bundesland | |
das Baulandmobilisierungsgesetz des Bundes umgesetzt]. Mit der neuen | |
Verordnung können Kommunen feststellen, dass bei ihnen der Wohnungsmarkt | |
angespannt ist. | |
Mit der Feststellung dürfen Kommunen zum einen Eigentümer von Bauflächen | |
zum Bau von Wohnimmobilien verpflichten, wenn sie die Flächen brach liegen | |
lassen. Darüber hinaus dürfen sie auch das Vorkaufsrecht bei Brachflächen | |
anwenden – das kommunale Vorkaufsrecht gilt in Hamburg also nicht mehr nur | |
für bestehende Immobilien in einzelnen Gebieten, sondern stadtweit auch für | |
noch unbebauten Grund. | |
Chychla schätzt, dass angesichts des Urteils nun auch die Hamburger | |
Verordnung hinfällig ist. „Die Stadt müsste auch diese Verordnung dringend | |
ausbessern“, sagt Chychla. Die Verordnung sei mit denselben Argumenten | |
begründet, wie das Vorkaufsrecht auf bestehende und bewohnte Immobilien. | |
Weil die Richter:innen im Berliner Fall die Begründung ablehnten, könnte | |
das also auch den Vorkauf von Flächen betreffen. | |
Die Stadtentwicklungsbehörde widerspricht: „Das Urteil betrifft die neu | |
geschaffene Verordnung nicht“, sagt die Sprecherin Susanne Enz. Das | |
Gerichtsurteil habe sich auf eine bereits bewohnte Immobilie in einem | |
Gebiet mit sozialer Erhaltungsverordnung bezogen. | |
27 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Urteil-des-Bundesverwaltungsgericht/!5814508 | |
[2] https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/15259050/2021-07-13-bsw-baulandmobi… | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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