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# taz.de -- Porträt einer großen Klangforscherin: Dröhnend, leiernd, brummend
> Limpe Fuchs gehört zu den Pionierinnen der improvisierten Musik. Ein
> Besuch im Atelier einer eigenwilligen und mutigen Künstlerin.
Bild: In ihrer Art wirkt die Klangkünstlerin Limpe Fuchs alterslos
Zwei Sätze braucht [1][Limpe Fuchs], um eine Biografie von 80 Jahren auf
den Punkt zu bringen. „Es ist ein Leben für den Klang. Es ging immer darum
hinzuhören, statt wegzuhören, sodass man merkt, wie geräuschhaft die Welt
eigentlich ist“, sagt die Musikerin, während sie durch ihr Atelier
schlendert. Klänge der Außenwelt hätten sie schon immer fasziniert.
Als kleines Kind hörte sie zu, als der folkloristische Schäfflertanz auf
der Straße aufgeführt wurde und das Bom-bom-bom der großen Trommel durch
die Straßen hallte; als Heranwachsende mochte sie es, wenn das Radio
rauschte, zischte und knarzte, und dann war sie auch immer wieder vom
Gegenteil des Lärms fasziniert: Stille. „Früher bin ich Heiligabend oft
hinausgegangen und habe mir die Stille angehört. Jetzt gibt es das hier
nicht mehr, irgendwo fährt immer jemand mit dem Auto herum. Stille finde
ich auch interessant.“
Als sie dies erzählt, sitzt Limpe Fuchs auf einer Bank in ihrem Haus in
Emertsham bei Peterskirchen. Der Ort liegt tief im Süden Bayerns unweit des
Chiemsees, hier lebt Fuchs – mit Unterbrechung – seit 1964 in einem alten
Pfarrhof, der einst eine bekannte Künstlerkolonie war. Rainer Werner
Fassbinder, Hanna Schygulla, Peter Zadek, Helmut Lachenmann, das
Krautrockduo Popol Vuh – sie alle gastierten oder arbeiteten zeitweilig
hier. Fuchs ist geblieben.
In einem Glasanbau hat sie sich einen Klangraum mit selbst gebauten
Instrumenten eingerichtet: Ein großes Glockenspiel steht in dem weiten,
hellen Raum; anstelle von Metallplatten ist das Instrument mit dünnen
Granitplatten belegt, die sie nun mit zwei Trommelschlägeln anschlägt:
Klong-klong-klong. Daneben steht eine ihrer bekanntesten
Selfmade-Apparaturen, ein großes Pendelsaiteninstrument: Zwei schwere
Bronzestangen sind durch eine Klaviersaite mit zwei Resonanztrommeln
verbunden, die in einem drei Meter hohen Gestell hängen.
## Auf Tour mit dem Traktor
Die Musikerin nimmt einen Schlägel, schlägt den Stab an. Ein lang hallendes
Glockengeräusch ertönt; dröhnend, leiernd, brummend. Fuchs steht neben dem
Instrument, horcht, lauscht. „Die Akustik hier im Glasbau ist natürlich
fantastisch“, sagt sie.
Limpe Fuchs hat Improvisationsmusik der vergangenen Jahrzehnte entscheidend
mitgeprägt. Am heutigen Montag wird sie 80 Jahre alt – eine gute
Gelegenheit, das Werk dieser eigenbrötlerischen, unkorrumpierbaren, ewig
neugierigen und unberechenbaren Künstlerin zu würdigen. Gemeinsam mit ihrem
Mann Paul Fuchs musizierte sie einst unter dem Namen [2][Anima Sound]: Sie
spielte Schlagzeug und Percussion, er bediente ein selbst gebautes
Blasinstrument, das „Fuchshorn“.
Legendär die Tour, die sie Anfang der Siebziger unternahmen: Mit einem
Traktor fuhren sie durch Westdeutschland und die Niederlande, spielten
Konzerte auf einem selbst gebauten Anhänger, der sich zu einer Bühne
umfunktionieren ließ. Auch bei der Underground-Explosion-Tour (1969) waren
die beiden dabei, unter anderem mit Amon Düül, Peter Weibel und Valie
Export – ein provokatives Happening, das weit vorauswies auf die
interdisziplinären Performances späterer Jahre.
Als Solistin spielt Limpe Fuchs bis heute Konzerte von Bari bis Bristol,
meist reist sie dabei allein mit ihrem alten Opel und den Instrumenten
hinten drin durch die Lande. Geprägt ist Limpe Fuchs von der Idee, dass
jeder ein Musiker sein kann, alles kann zu Klang werden.
## Irgendwie alterslos
„Es gibt keine unmusikalischen Menschen. Für diesen Gedanken bin ich
geboren. In irgendeiner Weise kann jeder musizieren; wenn nicht rhythmisch,
so doch erzählend.“ Limpe Fuchs spricht in bayerischem Zungenschlag munter
drauflos; ihr Haar ist lockig und grau, ihr Gesicht erzählt von einem
bewegten Leben. Sie trägt eine dunkelblaue Stoffhose, Jeanshemd und
Halstuch.
Lange still dazusitzen ist nicht ihre Sache, mal geht sie nebenan auf den
Dachboden, um Materialien und Plakate zu holen, mal schwingt sie sich an
zwei Turnringen hoch, die sie aufgehängt hat, und hält sich eine halbe
Minute in der Luft. Vom Wesen her wirkt sie fast alterslos.
Geboren wird Limpe Fuchs 1941 in München. Noch während des Zweiten
Weltkriegs verlässt die Familie die Stadt und geht nach Josefstal nahe dem
Schliersee. Ihr Vater, ein überzeugter Kommunist, flieht zunächst ins
Ausland. Nach seiner Rückkehr zieht die Familie 1946 in die alte Wohnung im
Münchner Arbeiterviertel Sendling. Als Kind singt Limpe gern, sie spielt
zudem Klavier und Geige, aber das Lernen nach Noten langweilt sie.
In ihrer späten Schulzeit ereignen sich Dinge, die ihr Leben prägen sollen:
Sie besucht das Siemens-Studio für elektronische Musik in München; analoge
Synthesizer, die sie dort sieht, faszinieren sie. Mit der Schulklasse
arbeitet sie nach dem Abitur drei Wochen im Kibbuz Nir Am in Israel. Sie
ist von dem kollektiven Landleben begeistert, genießt die abenteuerlichen
Ausflüge in die Wüste. Und sie lernt Paul Fuchs kennen, einen Schmied und
Bildhauer. Mit ihm gründet sie eine Familie, sie bekommen die Kinder David,
Zorobabel und Lina.
## Freiheit des Ausprobierens
Zwischen 1962 und 1967 studiert Limpe Fuchs Schulmusik, Klavier, Geige und
Perkussion an der Musikhochschule München. Es ist die Zeit der Beatlemania,
auch sie ist vom Fab-Four-Fieber infiziert. „Ich war 1966 beim
Beatles-Konzert im Circus Krone in München. Damals gingen da nur
Proletarier hin, die Intellektuellen hat das gar nicht interessiert“,
erzählt sie. Sie selbst spielt in jener Zeit Schlagzeug in einer
Beatles-Coverband, zusammen mit drei Freundinnen.
Als der Pfarrhof bei Peterskirchen 1964 zum Verkauf steht, schlagen Limpe
und Paul Fuchs zusammen mit Gräfin Lehndorff, Mutter von Veruschka
Lehndorff und Hans Dumanski, zu. Sie beginnen dort, Musikinstrumente zu
bauen, gründen 1968 Anima Sound. 1971 geht es auf Traktortour von
Peterskirchen nach Rotterdam.
Anima Sound treten dabei spontan an vielen öffentlichen Orten auf, stoßen
zum Teil auf Unverständnis und offene Verachtung, zum Teil begegnen sie
staunenden, ja begeisterten Menschen. Eindrücklich zeigt dies die
Dokumentation „Anima-Sound: Mit 20 km/h durch Europa“ (1972).
Es ist die Zeit von Experimenten, der Freiheit, des Ausprobierens. Anima
Sound treten bei Performances auch gern nackt auf – ein Umstand, der damals
provoziert. 1976 verkauft die Familie einen Teil des Pfarrhofs und siedelt
in ein Landhaus in der Toskana über. Dort bleibt sie, bis sich das Paar
1989 trennt. Limpe Fuchs geht zurück nach Peterskirchen. Nach der Trennung
ist sie alleinerziehend, die Kontakte in der Kunstwelt hatte vor allem ihr
Mann. Sie muss sich neu justieren.
## Kuh und Wasser und die Violine
Doch ohne Klang geht es nicht. Limpe Fuchs macht weiter. Solo und in
Kollaborationen. Auf ihrem Soloalbum [3][„Muusiccia (Metal/Stones)“],
veröffentlicht 1993, ist auch all das zu hören, was ihre Musik auszeichnet:
das Muhen einer Kuh und Wasserrauschen, Violinenklänge und polyrhythmisches
Trommeln, lautmalerischer Gesang und eine Spoken-Word-Passage, in der sie
ein Gedicht Georg Trakls liest.
In jüngster Zeit hat Fuchs vor allem mit den Klangkünstlern Ronnie Oliveras
und Ruth-Maria Adam (die man von den Gruppen Flamingo Creatures und
Datashock kennt) und dem Experimentalmusiker Ignaz Schick
zusammengearbeitet; mit ihnen bildet sie die Bunte Truppe.
Ihr neuestes Projekt ist eine Zusammenarbeit mit der Pariser Sängerin und
Komponistin Valérie Vivancos (alias Ocean Viva Silver), bald erscheint eine
gemeinsame EP des Duos. Vivancos’ verzerrte und verfremdete Gesangsspuren
treffen auf Fuchs’ Percussion- und Synthesizerklänge.
Das Gesamtwerk von Limpe Fuchs wird dabei seit einigen Jahren von dem
Berliner Indielabel PlayLoud liebevoll gepflegt. „Ich bin im Dialog mit dem
Material“, gesteht Limpe Fuchs später beim Besuch in Peterskirchen, es ist
ein typischer Limpe-Fuchs-Satz. Ihr Material, es steht überall. Im
Wohnzimmer ein Korg-Synthesizer, mehrere Trommeln, ein Glockenspiel aus
Röhren, gestimmt nach dem LucyTuning, bei dem die Oktave in 20 Teiltönen
temperiert ist.
## Neufindung und Neuerfindung
„Mich interessiert die Hörsensibilisierung und das Ereignishafte an der
Musik. Nicht die Wiederholung reizt mich, sondern die Entwicklung“, erklärt
sie. „Wenn Besucher nach dem Konzert rausgehen und auf einmal wahrnehmen,
was für ein Geräusch die Autotür macht, dann war der Auftritt für mich
erfolgreich.“
Musik spielen und hören als Suche, als Neufindung und Neuerfindung, das
treibt Limpe Fuchs an. Bei der Verabschiedung sagt sie an diesem Tag noch:
„Wenn ich irgendwann keine Musik mehr machen kann, dann will ich auch nicht
mehr sein.
15 Nov 2021
## LINKS
[1] http://www.limpefuchs.de/
[2] https://www.discogs.com/de/artist/97881-Anima-Sound
[3] https://playloudproductions.bandcamp.com/album/muusiccia-metal-stones
## AUTOREN
Jens Uthoff
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