# taz.de -- Am Puls der Neuen Musik in Berlin: In den Sesseln der Hochkultur | |
> Bei Ultraschall werden alle orchestralen Stimmungslagen ausgekostet. | |
> Gleich zum Festivalauftakt ist wieder zu hören, dass Neue Musik | |
> ordentlich rockt. | |
Bild: Nur einer muss stehen beim Ultraschall-Eröffnungskonzert | |
Die Kultur ist momentan vor allem auch eine Frage des Stehens oder Sitzens. | |
Darf man sitzen, findet sie tendenziell statt, die Kultur, während | |
andererseits gerade eine ganze Generation heranwächst, die sich mit der | |
Kulturtechnik des [1][Ausgehens und Rumstehens] auf Konzerten gar nicht | |
richtig vertraut machen kann. Weil einfach so in schlechter Luft bei | |
solidem Lärm in einem dunklen Kellerloch herumzulungern, vielleicht noch | |
mit einem Becher Bier in der Hand, ist aus den bekannten pandemischen | |
Gründen halt wieder mal nicht möglich. | |
Deswegen kann es nicht schaden, wenn man musikalisch etwas breiter | |
aufgestellt ist und sich auch in die Sessel der Hochkultur plumpsen lässt. | |
Weil, Faustregel: Rock oder Pop heißt auf und vor der Bühne stehen. Der | |
Klassikbetrieb findet abgesehen vom Dirigenten im Sitzen statt. | |
Und so sitzt man am Mittwoch im Berliner Haus des Rundfunks in den | |
eigentlich nur halbbequemen, rot gepolsterten Sesseln im Großen Sendesaal, | |
beim Auftaktkonzert des [2][Ultraschall-Festivals], bei dem noch bis zu | |
diesem Sonntag wieder mal der aktuelle Pulsschlag in der Neuen Musik | |
gemessen werden soll. | |
Und dass da die Sessel nicht zu bequem zum Lümmeln laden, ist schon auch | |
eine kleine disziplinatorische, die Aufmerksamkeit herausfordernde | |
Maßnahme. Weil man es sich in der Musik nicht zu bequem machen sollte, weil | |
die gar nicht bequem zum Aussitzen sein will, die Neue Musik, also das Team | |
Gegenwart der klassischen Musik. Das übrigens durchaus richtig rocken kann. | |
## Expressives Schwelgen | |
Jedenfalls hatte man mit der ersten Komposition des Abends, „glut“ von | |
Dieter Ammann, einen unterhaltsamen Schnittbogen, in dem in schneller Folge | |
die orchestralen Stimmungslagen durchgekostet wurden. Expressives | |
Schwelgen, zartes Glimmen, motorisches Zucken. Immer war ordentlich was | |
los, irgendwo ließ man stets ein wenig die Muskeln spielen bei diesem etwas | |
angeberischen Schaustück, das aber so viel Spaß machte, wie ihn Progrock | |
eben machen kann. | |
Im zweiten Stück, „Macchine in echo“ von Luca Francesconi, kam zum | |
Deutschen Symphonie-Orchester Berlin noch das famose GrauSchumacher Piano | |
Duo dazu für einen echten Brocken an Musik, an dem man sich abarbeiten | |
durfte. Das war bestimmt kein Easy Listening. Das war mit dem lauernden | |
Drängeln, der gestauchten Spannung und einer heiß-kühlen Nonchalance | |
heftigster Postpunk. | |
Als Appetithäppchen sei verraten, dass es in dem Stück zu einer trauten | |
Zwiesprache zwischen der Harfe und einer Bohrmaschine kommt. | |
## Böses Säuseln | |
Und dann noch „Quicksilver“ von der Berliner Komponistin Milica Djordjević, | |
drittes und letztes Stück des Abend: fies quengelnd, beunruhigend | |
pulsierend, böse säuselnd. Das konnte man in seinem dunklen Leuchten wie | |
experimentellen Metal hören. Weil Metal doch auch ohne Stampfen und Grölen | |
funktioniert. | |
Also ordentlich viel Rock ’n’ Roll bei der Neuen Musik. Und der Becher Bier | |
in der Hand hätte hier wirklich gestört. | |
22 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Konzert-in-Berlin/!5812185 | |
[2] https://ultraschallberlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Thomas Mauch | |
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