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# taz.de -- Konzert in Berlin: Wir irren des Nachts im Kreis umher
> Die Band Fotokiller spielt wie eine Maschine. Afrosound lässt Getränke
> überschwappen. Bericht vom womöglich letzten Tanzwochenende für eine
> Weile.
Bild: Fotokiller im Loophole. Bassist Damon links, Sängerin und Gitarristin So…
Wie erkennt man, dass man sich unter Genossinnen der Situationistischen
Internationale befindet? Wenn an der Wand „In girum imus nocte et
consumimur igni“ zu lesen ist. Das ist lateinisch und heißt: „Wir irren des
Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt.“ Das Palindrom lese
ich im Barraum des Loophole zu Neukölln, wo sich am Donnerstagabend die
jüngste Punk-Generation eingefunden hat, um Auftritten der Bands Splizz,
Fotokiller und Friends Keep You Up, kurz FKYU, beizuwohnen.
Ich bin gekommen, weil sich die Hinweise darauf häuften, dass Sofy, eine
Kollegin von der taz-Werbegrafik, nicht nur in einer, sondern gleich drei
coolen Bands spiele und eine dieser coolen Bands Fotokiller heiße.
## Es sollen 17 Grad werden
Ich verpasse den Anfang von Splizz, die ich auch kaum sehen kann, weil ich
nur noch in der hintersten Ecke des Konzertraums Platz finde, der wie ein
besonders kurioses, fensterloses Berliner Zimmer geschnitten ist und in dem
es recht heiß ist, obwohl an der Wand eine Klimaanlage hängt, die, wie ich
später sehe, auf 17 Grad hinarbeiten soll. Mir scheint, dass die
Gitarristin und der Gitarrist abwechselnd und gemeinsam singen und in der
Mitte eine Bassistin auf der Bühne steht, als eine Frau aus dem Publikum
ruft: „Was habt ihr denn für eine geile Bassistin?“
Die Musik zitiert eine schöne Mischung aus britischer und deutscher New
Wave der frühen Achtziger. Eines der Stücke erinnert ein bisschen an die
alten Fehlfarben der „Monarchie und Alltag“-Phase. Es ist eine
sehnsuchtsvolle Musik, die zugleich traurig und heiter ist.
Als Splizz aufhören, hole ich kein neues Bier, sondern suche mir eine gute
Position neben dem Mischpult und überlege mir, wen ich – Lieblingskuli
verloren – wegen eines Stifts anschnorren kann. Hinter mir steht eine Frau
mit einer großen Tasche, sie hat einen. Stefanie ist zu Besuch aus Paris.
Später ist sie weg, weswegen ich den Kuli nicht zurückgeben kann. Merci,
Stefanie!
## Energie verbreiten
Jetzt kommt Sofy mit ihren beiden Bandkollegen auf die Bühne. Fotokiller
ist ein klassisches Trio, Bass, Drum und Gitarre. Sofy hat Letztere
umgehängt und singt. Mit vierzehn hat sie in einer Schülerband gespielt,
weil Kurt Cobain ihr gut gefallen hat, im linken Jugendclub ihres
sächsischen Dorfs spielte man Nirvana. Danach aber, sagt sie, hat sie sich
nicht zugetraut, Musik zu machen, bis sie vier Frauen traf, mit denen sie
die Rrriot-Girl-Band Fatigue gründete.
Jetzt steht sie in roter Lederjacke auf der Bühne, und es wirkt, als hätte
sie nie irgendetwas anderes gemacht, als Dirigentin einer pulsierenden
Maschine zu sein, die Energie in den Raum pustet.
Fotokiller werden als Post-Punk angekündigt, aber ihre Performance beweist
mir einmal mehr, dass es „Post-Punk“ nicht gibt, diese Erfindung von
Musikjournalistennerds. Die Frauen in der ersten Reihe müssen das Drum-Kit
von Matze immer wieder nach hinten schieben, weil er es dermaßen energisch
malträtiert, während er super schnell spielt. Bassist Damon hat den Groove,
und Sofy singt dazu ihre latent depressiven Lyrics auf die runtergekühlte
Art und Weise, die man früher New Wave nannte.
Die Frauen in der ersten Reihe können die Texte auswendig und singen mit.
Ich verstehe kein Wort, das wird später auf Bandcamp nachgeholt, wo das
[1][erste Tape von Fotokiller plus Lyrics] zu finden ist.
## Übers Kinderkriegen
Später wird noch getrunken und übers Kinderkriegen geredet. Wer das einmal
mitgemacht hat, sagt eine Freundin von Sofy, tut sich das nicht nochmal an.
Dann wollen Fotokiller und ihre Entourage [2][tanzen], ich aber nach Hause.
Anderntags wird in einer Küche afrikanische Tanzmusik gespielt. Das
Mischgetränk im Plastikbecher schwappt bei jedem Hüftschwung über mein
Handgelenk.
Was aber bedeutet nun „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom
Feuer verzehrt“? Ich denke, es ist ein dionysisches Motto. Im Kreis
umherirren heißt zu tanzen. Vom Feuer verzehrt werden wir, um am nächsten
Morgen aus der Asche auferstehen zu können.
17 Nov 2021
## LINKS
[1] https://fotokiller.bandcamp.com/album/lenses
[2] /Ausgehen-nach-Corona/!5804398
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Ausgehen und Rumstehen
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Black Lives Matter
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