# taz.de -- Konservative Richter in Spanien: Spaniens Justiz bleibt rechts | |
> In Spanien regiert eine linke Minderheitsregierung. Doch konservative PP | |
> und rechtsextreme VOX bestimmen die Ausrichtung der Gerichte. | |
Bild: Nicht gerade links: das spanische Verfassungsgericht in Madrid | |
Spaniens Justiz hat ein Problem. Sie wird von vielen als völlig politisiert | |
wahrgenommen. Seit Jahren halten Richter, die dem konservativen Partido | |
Popular (PP) oder der rechtsextremen VOX nahestehen, die [1][Mehrheit in | |
den wichtigsten hohen Gerichten und im Gerichtsrat] (CGPJ), dem | |
Selbstverwaltungsorgan der Justiz. Zwar einigten sich die beiden großen | |
Parteien auf die Neubesetzung von vier Posten im Verfassungsgericht, doch | |
die Konservativen haben weiterhin die Mehrheit. | |
Was am schwersten wiegt: Seit der PP-Regierungschef [2][Mariano Rajoy] 2018 | |
durch ein Misstrauensvotum die Macht an den Sozialisten [3][Pedro Sánchez] | |
verlor, weigern sich die Konservativen, wie in der Verfassung vorgesehen, | |
den CGJP zu erneuern. Dazu braucht es eine Drei-Fünftel-Mehrheit. Diese ist | |
ohne eine Einigung der größten Oppositionspartei mit der Regierung nicht zu | |
erhalten. Die Justiz bleibt in den Händen der Rechten. | |
Die Blockade lohnt sich: PP und auch VOX rufen immer wieder das | |
Verfassungsgericht an, um dort zu erreichen, was im Parlament nicht möglich | |
ist. So wurden die beiden Corona-Alarmzustände für verfassungswidrig | |
erklärt. Obwohl selbst die Weltgesundheitsorganisation Spanien für seinen | |
Kampf gegen die Pandemie lobte. | |
In den kommenden Monaten muss das Verfassungsgericht über das | |
Abtreibungsgesetz entscheiden sowie über die Frage, ob erzkatholische | |
Schulen, die Mädchen und Jungen getrennt unterrichten, staatlich gefördert | |
werden müssen. | |
## Friedliche Volksabstimmung oder Aufstand? | |
Auch am Obersten Gerichtshof gibt die Rechte klar den Ton an. Dort wurde | |
das Urteil gegen die Unabhängigkeitspolitiker und -aktivisten aus | |
Katalonien gefällt. Sieben katalanische Ex-Minister und zwei Aktivisten | |
wurden in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum 2017 wegen | |
Aufstands zu Gefängnisstrafen zwischen neun und dreizehn Jahren verurteilt. | |
Andere Beschuldigte leben im Exil; etwa der ehemalige katalanische | |
Regierungschef [4][Carles Puigdemont]. Der Oberste Gerichtshof fahndet nach | |
ihm per europäischem Haftbefehl. Doch weder Deutschland noch Belgien oder | |
Italien lieferten Puigdemont bisher aus. Sie sehen in einer friedlichen – | |
wenn auch von der Zentralregierung untersagten – Volksabstimmung über die | |
Unabhängigkeit Kataloniens keinen Aufstand. In diesem Verfahren agierte die | |
rechtsextreme VOX als Nebenklägerin. Das Gericht sah darin kein Problem. | |
Auch auf unteren Gerichtsebenen laufen Verfahren in Sachen Referendum. | |
Gegen weit über 1.000 Menschen wird ermittelt. Darunter katalanische | |
Beamte, denen Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen wird, und über | |
700 Bürgermeister, die Schulen als Wahllokale zur Verfügung stellten. Statt | |
das Referendum politisch aufzuarbeiten, setzt Spanien auf gerichtliche | |
Repression. | |
Auch von Meinungs- und Kunstfreiheit halten die Richter wenig. Immer wieder | |
werden [5][Rapper wegen Majestätsbeleidigung] oder Verherrlichung des | |
Terrorismus zu Haftstrafen verurteilt. So etwa Valtònyc, der mittlerweile | |
in Brüssel lebt. Ausgeliefert wird er nicht. Seine antimonarchistischen | |
Texte sind im Königreich Belgien von der Meinungsfreiheit gedeckt. | |
Der jüngste Fall, mit dem der Oberste Gerichtshof von sich reden machte, | |
ist der des Abgeordneten Alberto Rodríguez aus den Reihen des kleinen | |
Koalitionspartners, der linksalternativen Unidas Podemos (UP). | |
Rodríguez soll 2014 auf einer Demonstration einen Polizisten getreten | |
haben. Der Beamte änderte mehrmals seine Aussage. Rodríguez wurde dennoch | |
zu einem Jahr und 15 Monaten Haft verurteilt. Antreten muss er die Strafe | |
nicht. Doch das Oberste Gericht verhängte ein Verbot über ihn, öffentliche | |
Ämter auszuführen. Rodríguez musste seinen Parlamentssitz verlassen. | |
## Beim ehemaligen König ist die Justiz nicht so streng | |
Wenn es um hohe konservative Politiker oder gar um den ehemaligen König | |
Juan Carlos geht, ist die Justiz bei Weitem nicht so streng. So konnte der | |
nationale Gerichtshof in einer Reihen von Verfahren gegen das weitläufige | |
Korruptionsgeflecht partout nicht ausmachen, wer denn dieser „M.Rajoy“ ist, | |
der im Buch des Parteikassenwartes als Bezieher von Umschlägen mit | |
Schwarzgeld fungierte. | |
Und die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen [6][Juan Carlos] | |
wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche ein, ohne alle Unterlagen der | |
örtlichen Ermittler über Konten in der Schweiz gesehen zu haben. | |
Immer wieder rügt Europa die spanischen Justiz. So erklärte der Europäische | |
Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg ein Verfahren gegen den | |
baskischen Linksnationalisten Arnaldo Otegi sei „nicht fair“ verlaufen, die | |
Richter seien „nicht unparteiisch“ gewesen. Otegi war als terroristischer | |
Anführer zu zehn Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er zusammen mit | |
anderen eine politische Organisation gegründet hatte. Er saß die Strafe ab, | |
bevor der EGMR entschied. | |
Der Gerichtshof erklärte zudem ein Urteil gegen zwei junge Demonstranten | |
für ungültig. Sie waren verurteilt worden, weil sie ein Bild des Königs | |
verbrannt hatten. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, erklärten die | |
Richter in Straßburg. | |
## Der PP schickte zwei eng mit der Partei verbundene Juristen | |
Jetzt wurden zumindest vier Richterstellen im Verfassungsgericht neu | |
besetzt – zwei auf Vorschlag der regierenden Sozialisten und zwei auf | |
Anraten des PP. Doch die Glaubwürdigkeit des Verfassungsgerichts wird auch | |
das nicht verbessern. | |
Statt, wie es die Verfassung vorsieht, angesehene Juristen für das Amt | |
vorzuschlagen, schickte der PP eine Richterin und einen Anwalt, die eng mit | |
der Partei verbunden sind und in Korruptionsfälle und dunkle | |
Machenschaften zugunsten von Beschuldigten aus den Reihen der PP verwickelt | |
waren. | |
Der Gerichtsrat bleibt weiterhin bei den Erneuerungen außen vor. PP-Chef | |
Pablo Casado will, dass künftig ein Teil der Posten von den Richtern selbst | |
per Wahlen besetzt wird. Was so aussieht, als ginge es ihm um mehr | |
Unabhängigkeit für die Justiz, ist das genaue Gegenteil. Denn Casado weiß | |
um die Rechtslastigkeit der Richter. | |
19 Nov 2021 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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