# taz.de -- Justiz in Spanien: Richter entmachten Parlament | |
> Konservative Richter des spanischen Verfassungsgerichts blockieren eine | |
> Gesetzesreform im Bereich Justiz. Dahinter steckt die größte | |
> Oppositionspartei. | |
Bild: Das spanische Verfassungsgericht tagt, Archivbild von 2021 | |
Madrid taz | So etwas hat Spanien in der nun über 44 Jahre andauernden | |
Demokratie noch nicht gesehen. Auf Antrag der rechten Opposition beschloss | |
das Verfassungsgericht am Montag in den frühen Nachtstunden, dem Senat zu | |
untersagen, über ein Gesetz zu debattieren. Mit sechs zu fünf Stimmen | |
nahmen die hohen Richter den Antrag auf eine einstweilige Verfügung an und | |
stoppten so eine Gesetzesreform, die die Richtlinie [1][in der Wahl der | |
Verfassungsrichter sowie andere hohe Justizämter] ändern sollte. Bereits | |
vergangene Woche wurde die Reform vom ersten Parlamentskammer, dem | |
Kongress, angenommen. | |
Mit der Reform sollen unter anderem die Regeln zur Ernennung der Mitglieder | |
des Verfassungsgerichts sowie des Obersten Justizrats (CGPJ) geändert | |
werden – so etwas wie die Regierung der Richter. Nur wer die meisten | |
Stimmen erhält, soll künftig ernannt werden. Bisher war eine | |
Dreifünftelmehrheit im Parlament nötig. | |
Was zunächst undemokratisch aussieht, ist aus extremer Not geboren. Denn | |
der CGJP hätte – so will es die Verfassung – bereits vor vier Jahren neu | |
besetzt werden müssen; ebenfalls zwei Posten im Verfassungsgericht vor | |
einem halben Jahr. Das dies nicht geschehen ist, liegt an der | |
Blockadehaltung der konservativen Volkspartei (PP). Sie weigert sich | |
strikt, mit der Linksregierung unter dem Sozialisten Pedro Sánchez zu | |
verhandeln und so eine Dreifünftelmehrheit zu sichern. | |
Die Richter, die so weiterhin im Amt bleiben, sichern eine konservative | |
Mehrheit sowohl im CGJP als auch am Verfassungsgericht. Dort hätten zwei | |
konservative Richter, einer davon der Gerichtsvorsitzende, längst | |
ausgetauscht werden müssen. Sie stimmten jetzt für das Debattenverbot im | |
Senat und sichern sich so – gegen die Verfassung – einen Posten, der ihnen | |
längst nicht mehr gehört. Die Regierungsparteien – die spanische | |
Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die linke Unidas Podemos- hatten | |
einen Befangenheitsantrag gegen die beiden gestellt. Die konservative | |
Mehrheit am Gericht lehnte dies vor der endgültigen Abstimmung ab. | |
## „Putsch in Robe statt in Uniform“ | |
Die demokratische Vorgehensweise lautet normalerweise, dass | |
Verfassungsgerichte Gesetze prüft, nachdem sie verabschiedet wurden. Dass | |
ein Verfassungsgericht auf Antrag der Opposition ein Gesetzgebungsverfahren | |
und eine Parlamentsdebatte stoppt, gab es so in Spanien noch nie. In den | |
Radio- und TV-Debatten am Dienstag nach der Entscheidung fiel immer wieder | |
der Satz vom „Putsch in Robe statt in Uniform“. | |
„Das ist ein schwerwiegender Vorfall. Zum ersten Mal werden die von den | |
Bürgern gewählten, legitimen Vertreter daran gehindert, ihre Funktion der | |
Debatte und Gesetzgebung auszuüben“, erklärte Ministerpräsident Sánchez in | |
einer Ansprache an die Nation. Die Volkspartei wolle mit der Blockade der | |
Erneuerung der Justiz eine Macht beibehalten, [2][die die Urnen 2019 den | |
Konservativen verweigerten]. Das Vorgehen des Verfassungsgerichts sei nicht | |
nur „einmalig in Spanien, sondern in Europa“, fügte der Regierungschef | |
hinzu. | |
Die Sprecherin der Volkspartei im spanischen Parlament, Cuca Gamarra, wirft | |
der Sánchez-Regierung vor, das Verfassungsgericht „in Verruf bringen“ zu | |
wollen. Das sei „extrem gefährlich“ für die Demokratie und Ausdruck „des | |
autoritären und autokratischen Abdriftens“ von Sánchez. Was sie | |
verschweigt: Der Erhalt der konservativen Mehrheit im CGJP ist ihrer | |
rechtskonservativen Partei wichtig. Denn gegen die Volkspartei hängen | |
mehrere schwerwiegende Korruptionsverfahren an, die höchste Partei- und | |
ehemalige Regierungsämter betreffen. Außerdem: Das Verfassungsgericht muss | |
in den kommenden Monaten ein Urteil zum Recht auf Abtreibung treffen. | |
Wie es jetzt weitergeht, ist völlig offen. Der Präsident des spanischen | |
Senats, der Sozialist Ander Gil, kündigte eine Verfassungsbeschwerde an, da | |
die Rechte der Abgeordneten beider Kammern und damit die der Bürger | |
verletzt worden seien. Das Verfassungsgericht muss somit in den kommenden | |
Tagen über sein eigenes Vorgehen zu Gericht sitzen. | |
20 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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