Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Hamburgs „Pimmelgate“: Darf man Grote so 1 Pimmel nennen?
> Hamburgs Innensenator wollte einen Tweet unterdrücken, in dem er als
> „Pimmel“ bezeichnet wurde. Nun nennt ihn die halbe Stadt so. Ein Pro und
> Contra.
Bild: Der erste Streich: Kunstwerk an der Roten Flora
## Ja
Es ist nicht schön, beleidigt zu werden. Man kann sich eine dicke Haut
antrainieren, es weglachen, nicht hinhören, aber trotzdem: Gern lässt man
sich nicht mit Schimpfwörtern belegen. Das gilt vermutlich auch für Andy
Grote. Politiker hin, Innensenator her.
Doch die Privatperson Grote nun in Schutz zu nehmen, weil eine fiese
Pimmelkampagne gegen ihn gestartet wurde, geht am Thema vorbei. Es war das
gute Recht des Innensenators, nach der Ursprungsbeleidigung auf Twitter im
Mai Anzeige zu erstatten. Doch „Du bist so 1 Pimmel“ richtet sich schon
lange nicht mehr gegen ihn als Person. Der Pimmel ist als politisches
Symbol längst über sich hinausgewachsen.
Das eigentliche „Pimmelgate“ beginnt nicht mit der Beleidigung, sondern
danach: Es beginnt, als die Polizei wegen der fast kindlichen Schmähung
eine [1][Hausdurchsuchung beim Tweet-Verfasser] machen will. Es kippt ins
Groteske, als die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung genehmigt – obwohl
der Verfasser zu dem Zeitpunkt längst geständig ist. Es köchelt weiter, als
Polizist*innen sich vom NDR dabei filmen lassen, wie sie Aufkleber mit
dem Tweet-Inhalt von Laternenmasten abknibbeln.
Solche Aufmerksamkeit wird nicht allen Beleidigungen zuteil. Nicht einmal
bei Bedrohungen wird die Polizei immer tätig: Spiegel-Kolumnistin Margarete
Stokowski etwa berichtet, dass nach einer Morddrohung gegen sie das
Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt wurde – es gebe kein
öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Die Vehemenz der
Strafverfolgung im Fall Andy Grote offenbart deshalb eine asymmetrische
Machtverteilung.
Als am vergangenen Wochenende die Polizei mehrfach ausrückte, um an der
Roten Flora ein Plakat mit dem Ursprungstweet mit Farbe zu übermalen, ist
der Fall nicht nur absurder geworden. Der Pimmel hat auch noch eine weitere
Bedeutung bekommen: Er steht nun auch für die Praxis der Hamburger Polizei,
missliebige Meinungsäußerungen aus dem Straßenbild zu entfernen.
Schließlich rückten die Beamt*innen auch schon mit dem Farbeimer aus,
als es vor einigen Monaten [2][Spott über die Öffentlichkeitsarbeit der
Hamburger Polizei] gab. Die rechtliche Grundlage und [3][der Sinn dieser
Übung ist nicht immer klar].
Andy Grote hat deutlich gemacht, dass er nicht vorhat, weitere Strafanträge
zu stellen. Die Polizei kann also aufhören, zu malen. Gut möglich, dass nun
die Aufmerksamkeit für beide Themen zurückgeht. Dabei ist die Sache gerade
jetzt noch eine Stufe politischer geworden: Das aktuelle Bild an der Roten
Flora ist mit einer Rücktrittsforderung an Grote versehen.
Aus der Luft gegriffen ist das nicht. Schließlich ist das „Pimmelgate“
nicht der erste Fall, in dem für den obersten Dienstherrn der Polizei
andere Regeln zu gelten scheinen. Und damit sind wir wieder am Ursprung der
Affäre: Die Pimmel-Beleidigung hatte der User gewählt, nachdem Andy Grote
sich im Mai über feiernde Jugendliche echauffiert hatte: „In der Schanze
feiert die Ignoranz (…) So eine dämliche Aktion.“ Grote selbst war im
Vorjahr zweimal mit illegalen Partys aufgefallen. So 1 Grote.
Lotta Drügemöller
## Nein
Die Sache macht gerade vielen so richtig Spaß – den Hamburger Innensenator
„Pimmel“ zu nennen. Es gibt Pimmel-T-Shirts, Pimmel als Hamburg-Wappen,
Pimmelsocken und Sticker mit dem Konterfei des Senators mit Pimmelhaube.
Nun hat auch noch Hamburgs linkes Zentrum, die Rote Flora, über Tage ein
mediales Katz-und-Maus-Spiel inszeniert, immer wieder den Pimmelsatz auf
ihre Plakatwand geschrieben, bis die Polizei sie übermalte.
Damit ist nun Schluss. Nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft
entschied die Polizei, nicht wieder Strafanzeige zu stellen, was der
Innensenator eh schon nicht mehr wollte. Und ein drittes Mal werden die
Beamten nicht mit dem Farbeimer anrücken. Der seit Dienstagabend dort
geschriebene Satz „ANDY, DU Bist 1 Pimmel, tritt zurück“, wird also nicht
wieder übermalt.
Die Autorin muss gestehen, sie ist versucht, selbst zum Farbeimer zu
greifen. Denn der Satz ist eine Kränkung. Nur mal angenommen, der Senator
wäre eine Frau, die Parole würde heißen „… du bist eine Titte!“ Wir f�…
das frauenfeindlich. Wir würden eine Witzkampagne auf dieser Basis nicht
gutheißen.
Der ursprüngliche Satz entstammte dem Tweet eines Kiezwirts, der sich über
den Innensenator inhaltlich aufregte. Andy Grote hatte Ansammlungen auf der
Schanze am 30. Mai kritisiert und getwittert: „Manch einer kann es wohl
nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen… Was für eine
dämliche Aktion!“ Dass Grote, der selbst im Juni 2020 mit einer Party gegen
Coronaregeln verstoßen hatte, sich über feiernde Jugendliche aufregte, dies
stieß bei dem Wirt auf Unverständnis. Die Wortwahl seines Tweets „Du bist
so 1 Pimmel“ kann gut der situativen Erregung geschuldet sein. Sie drei
Monate später zum Anlass für eine Hausdurchsuchung zu nehmen, weil Grote
Strafantrag stellte, war von der Staatsanwaltschaft völlig überzogen.
So weit, so gut. Der mögliche Machtmissbrauch und die fehlende
Verhältnismäßigkeit wurden in dem Fall zu Recht kritisiert und ausgiebig in
den Medien behandelt. Grote hat keinen erneuten Strafantrag gestellt. Den
Satz nun zum Gegenstand einer Kampagne mit Stickern, Plakaten und allerlei
Merchandisingartikeln zu machen, ist nicht fair. Denn die
Solidarisierungskampagne gegen die Staatsgewalt ist zugleich eine
Hämekampagne gegen eine Einzelperson. Auch Politiker sind Menschen,
Personen, die Empfindungen haben. Und insbesondere Innensenatoren sind in
Hamburg selten beliebt.
Wir tun uns selbst keinen Gefallen, wenn wir auf dieser Macho-Klaviatur
spielen. Nach dem Motto: Der soll sich nicht so anstellen, wenn er
abwertend nach einem Geschlechtsorgan benannt wird. Der ist doch ein Kerl,
der muss abgehärtet sein. Alle Menschen haben das Recht, empfindsam zu sein
und es kränkend zu finden, vor Publikum Pimmel, oder Titte, genannt zu
werden.
Ärgerlicherweise ist das Verfahren wegen Beleidigung gegen den Zitatgeber
noch offen, wie die Staatsanwaltschaft am Dienstag mitteilte. Den
Strafantrag zurückzunehmen sei in dem Fall nicht möglich gewesen, heißt es
aus der Innenbehörde. Erst wenn es eingestellt ist, wird die
„Pimmel“-Kampagne hoffentlich versanden.
Kaija Kutter
26 Oct 2021
## LINKS
[1] /Hausdurchsuchung-wegen-eines-Tweets/!5799732
[2] /Schon-wieder-Shitstorm/!5693556
[3] /Portraets-von-Spitzeln-uebermalt/!5326757
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
Kaija Kutter
## TAGS
Hamburg
Polizei Hamburg
Rote Flora
Andy Grote
GNS
IG
Rot-Grün Hamburg
Hamburg
Schwerpunkt Stadtland
IG
Hamburg
Andy Grote
Polizei Hamburg
Polizei
## ARTIKEL ZUM THEMA
Nach Verdacht der Vorteilnahme: Die nächste Andy Grote-Affäre
Die Hamburger Staatsanwaltschaft wollte die Wohnung des SPD-Innensenators
durchsuchen. Beschützte ihn der Generalstaatsanwalt davor?
„Pimmelgate“-Verfahren eingestellt: Zu klein für öffentliches Interesse
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr: Nun ist die kleine Affäre um
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) und das Wort „Pimmel“ endlich
vorbei.
#Pimmelgate offiziell beendet: 3:2 für die Rote Flora
Mit dem Verzicht auf einen Strafantrag beendet Hamburgs Innensenator Andy
Grote (SPD) das Spiel um das Beleidigen seiner Person als „Pimmel“.
Polizist klagt wegen Beleidigung: Du Schülerlotse!
In Hamburg muss ein Ladenbesitzer vor Gericht. Er hat einen Polizisten bei
einem Einsatz in seinem Laden als „Schülerlotse“ bezeichnet.
Neues vom Hamburger „Pimmelgate“: Polizei überpinselt „Pimmel“
An der Fassade der Roten Flora wird Hamburgs Innensenator Andy Grote erneut
gedisst. Die Polizei sieht schwarz und kommt mit Farbe.
Anzeige gegen Hamburgs Innensenator: Andy Grote hat es nicht leicht
Corona-Party, Pimmel-Tweet: Der Hamburger Innensenator steht in der Kritik.
Nun gibt es gegen ihn wohl eine neue Anzeige wegen eines Corona-Verstoßes.
Morddrohung nach „Pimmelgate“-Skandal: Schluss mit lustig
Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) hat eine Drohnachricht erhalten, in
der auf Walter Lübcke verwiesen wird. Der Staatsschutz ermittelt.
#Pimmelgate: Lass' es, Andy!
Andy Grotes Problem ist, dass es wirkt, als gälten für ihn andere Regeln –
als Polizeisenator und als Mann.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.