# taz.de -- Brasch-Biopic „Lieber Thomas“ im Kino: „Er war zärtlich und … | |
> Der Film „Lieber Thomas“ porträtiert den Autor und Regisseur Thomas | |
> Brasch. Sein früherer Produzent Joachim von Vietinghoff erinnert sich an | |
> ihn. | |
Bild: Wut auf die DDR: der Schriftsteller Thomas Brasch (Albrecht Schuch) in �… | |
Poet, Rebell, Dissident, Frauenheld, Kokser, Filmemacher, Intellektueller. | |
Viele Identitäten hatte Thomas Brasch, der 2001 mit 56 Jahren starb, fast | |
in Vergessenheit geraten war und nun wiederentdeckt wird. Jahrelang | |
arbeiteten Andreas Kleinert und sein Drehbuchautor Thomas Wendrich an einem | |
biografischen Film über Brasch, fanden in Albrecht Schuch einen | |
Hauptdarsteller, der sich in den ausufernden zweieinhalb Stunden von | |
„Lieber Thomas“ die Seele aus dem Leib spielt. | |
Bei einem so reichen Leben wie dem von Brasch muss vieles notgedrungen | |
wegfallen, anderes verdichtet werden. Wendrich und Kleinert wählen einen | |
impressionistischen Ansatz, skizzieren anekdotenhaft das Leben Braschs, der | |
als Sohn des hohen SED-Funktionärs Horst Brasch aufwuchs. Dieser | |
betrachtete [1][das künstlerische Wesen von Brasch und seinen Geschwistern] | |
skeptisch – und verriet seinen Sohn an die Stasi. | |
Ein Bruch, der nie gekittet wurde und als loser roter Faden von „Lieber | |
Thomas“ dient. In schwarz-weißen Breitwandbildern (Kamera Johann Feindt) | |
skizziert Kleinert einen Mann, der zeit seines Lebens auf der Suche nach | |
sich selber war, der trotz enormer Energie verhältnismäßig wenig | |
veröffentlichte, viele Gedichte, einige Theaterstücke, in den 80ern vier | |
Filme. Mit dem Fall der Mauer verstummte Thomas Brasch, arbeitete bis zu | |
seinem Tod an einem uferlosen Manuskript für einen Roman über den | |
Mädchenmörder Karl Brunke. | |
Kein klassischer biografischer Film ist „Lieber Thomas“, vielmehr eine | |
Collage aus Bildern und Momenten, die nicht unbedingt die Wahrheit über | |
Thomas Brasch erzählen, aber dem Wesen eines komplizierten, streitbaren, | |
faszinierenden Menschen nahekommen. Zum Start von „Lieber Thomas“ spricht | |
der Filmproduzent Joachim von Vietinghoff, der seinerzeit Braschs ersten | |
Film „Engel aus Eisen“ (1981) produzierte, über Brasch, verliebtes | |
Produzieren und die Schwierigkeit, mit einem exzessiven Künstler zu | |
arbeiten. | |
taz: Herr von Vietinghoff, wie haben Sie Thomas Brasch kennengelernt? | |
Joachim von Vietinghoff: Als Brasch Anfang 1977 in den Westen kam, war sein | |
erster Besuch bei Günter Grass, die Schriftsteller unter sich, und da sagte | |
er: „Ich muss unbedingt meinen Film machen.“ Da hat Grass ihn zu Volker | |
Schlöndorff geschickt, der gerade die Verfilmung der „Blechtrommel“ | |
vorbereitete. Thomas hat gehofft, dass er den Film produziert. Schlöndorff | |
hat ihn dann zu mir geschickt, so ging es los. Da kam Thomas mit der Kathi | |
([2][Katharina Thalbach], d. Red.) in mein Münchner Büro, das war nicht | |
alternativ, das war in Schwabing, mit Art-déco-Möbeln, ein riesiger | |
Schreibtisch, total Hollywood, auch wenn wir alternative Filme gemacht | |
haben. | |
Wie hat Brasch da auf Sie gewirkt? Als Filmemacher war er ja noch völlig | |
unerfahren. | |
Er hat sich schon als Genie gesehen, ganz klar. Er ist ja auch überall | |
hofiert worden, aber jetzt wollte er was. Rührend war, dass er immer mit | |
Kathi da war, die haben immer Händchen gehalten, waren total verliebt. Da | |
kam er also und sagte: „Ich hab Film studiert, habe keinen Abschlussfilm | |
gemacht.“ Aber er hatte da schon diese Bestimmtheit, die faszinierend war, | |
da habe ich mich gleich in ihn verliebt. | |
Und haben zugestimmt, seinen Film zu produzieren? | |
Ja, das konnte ich nicht an mir vorbeigehen lassen, das wollte ich machen. | |
Lustig war aber, dass es gar nichts gab, es gab kaum ein Treatment, nur | |
einen kurzen Entwurf. Dann hat er ein Drehbuch geschrieben und das war ein | |
fertiger Film, das war eine gigantische Geschichte, ein Unikat für die | |
Zeit, ein Kunstfilm, in Schwarz-Weiß. | |
War die Finanzierung des Films „Engel aus Eisen“ schwierig? | |
Das Problem war, dass Brasch, was Film anging, ein Nobody war, völlig | |
unbeleckt. Bei der Finanzierung habe ich immer gesagt, das ist kein | |
Problem, ich stelle ihm gute Leute zur Seite. Aber dennoch war es ein | |
großes Risiko, das war mit drei Millionen Mark ein verhältnismäßig teurer | |
Film. Mir war aber klar, dass das gut werden würde, mit so einem Menschen | |
ging das gar nicht anders. Diese Faszination erstreckte sich auch auf das | |
Team, der Kameramann (Walter Lassally, d. Red.) hatte ja schon zwei Oscars | |
gewonnen, der war auch von Thomas an Land gezogen. | |
Trotz des Erfolgs mit der Einladung nach Cannes und anderen Auszeichnungen | |
gab es nach „Engel aus Eisen“ einen Bruch. | |
Witzigerweise war das für ihn schwerer als für mich, weil er das ganze | |
Geschäft nicht verstanden hat. Er kam ja aus einem ganz anderen System, der | |
Defa. Für sein nächstes Projekt, „Domino“, hat ihn direkt der NDR angefra… | |
und er hat gar nicht verstanden, dass ich als Produzent da gar nicht | |
gefragt werde. Er aber hat das als eine Art Fremdgehen aufgefasst und | |
wollte danach zurück in die Ehe, so hat er das gesehen. | |
Christian Delius, Braschs erster Verleger im Westen, den er sofort verließ, | |
als Suhrkamp anklopfte, hat gesagt: „Nie bin ich von einem Autor so | |
verraten worden … Ich versuchte meine Enttäuschung abzubauen mit der These: | |
Er ist ein Genie, Genies sind Verräter, sie können nichts dafür, nimm ’s | |
ihm nicht übel.“ | |
Thomas konnte dir an einem Tag das Messer ins Herz stecken und wenn du ihn | |
am nächsten Tag gesehen hast, hat er dich um den Finger gewickelt. Eine | |
Geschichte dazu: Wann immer wir uns bei ihm getroffen haben, für eine | |
Besprechung oder sonst was, sagte er, warte mal, ließ mich stehen, ging zu | |
seiner Plattensammlung, legte Musik auf. Immer! Und dann saß man da und war | |
fast wie ein Liebespaar, zusammen Musik zu hören hat ja etwas sehr Intimes. | |
Es ist nicht so, dass wir zusammen getanzt haben, dafür waren wir viel zu | |
sehr hetero, ansonsten wären wir vielleicht ein Liebespaar geworden. Aber | |
Thomas war schon ein richtiger Kerl, den man auch als Freund haben wollte. | |
Wenn man einfach so gesessen hat und er hat vor sich hingelabert, das war | |
gnadenlos gut, mitreißend, energetisch, auch ohne Drogen, ohne Koks. | |
Dennoch scheinen die Drogen eines der Probleme bei der zweiten | |
Zusammenarbeit, „Der Passagier“, gewesen zu sein? | |
Auch. Thomas war inzwischen zu einem Popstar geworden. Irgendwas ist da in | |
seinem Kopf explodiert, als er gemerkt hat, wie viel Freiheit er hat, auch | |
wie viel Macht. Auch die Freiheit, das Geld zu nehmen und dennoch nicht | |
systemkonform zu sein. | |
War das vielleicht zu viel Freiheit? | |
Auf jeden Fall. Vor allem aber die Uferlosigkeit: „Geld interessiert mich | |
nicht, Vereinbarungen interessieren mich nicht“, hat er gesagt. Er hat sich | |
auch ein Terrain ausgedacht, in dem er Chaos erzeugen kann. Es geht im | |
„Passagier“ ja um ein Filmteam, das einen Film über einen Filmdreh dreht. | |
Was Thomas da gemacht hat, ist mit der Arbeit eines Künstlers im Atelier zu | |
vergleichen, er hat auf vielem bestanden, auf Drehen in Scope, auf | |
bestimmten Darstellern. Bei der Umsetzung hat er sich dann durch Drogen | |
komplett aus der Verantwortung gezogen. Das ist alles dokumentiert, auf | |
einem Making-of, doch das Material ist leider verschwunden, das ist ein | |
Jammer. Wenn das noch einmal auftaucht, wäre das eine Sensation, die haben | |
rund um die Uhr gedreht, Thomas wollte das. Aber da sind auch Sachen drauf | |
wie Thomas, der nachts um drei Tony Curtis anbellt, nach zwei Gramm Koks | |
und einer Flasche Wodka, und denkt, er spricht verständlich, aber nur | |
unverständliches Zeug brabbelt. | |
Sie hatten aber darauf bestanden, dass er vor den Dreharbeiten einen Entzug | |
macht? | |
Zwischen „Engel aus Eisen“ und dem Dreh von „Passagier“ hat sich bei Th… | |
viel geändert, anfangs war es nur Alkohol, später wurde es immer extremer | |
mit dem Koks. Einmal waren wir mit einem englischen Produzenten zum Essen | |
verabredet, der unbedingt in den Film investieren wollte. Thomas kam schon | |
betrunken an, hat dann nichts gegessen und nur weitergetrunken. Und dann | |
wurde er aggressiv, wurde beleidigend, wie so oft. Irgendwann war ich so | |
angepisst, dass ich gegangen bin. Und draußen vor dem Lokal schwöre ich | |
mir, den Film nicht mit Thomas zu machen. Am nächsten Morgen kam er völlig | |
nüchtern in mein Büro und bekniete mich, den Film doch zu machen. Und ich | |
habe mich breitschlagen lassen, trotz allem. | |
Wie hat er es geschafft, den Film im Schneideraum zu beenden? | |
Er hatte eine geniale Cutterin, die auch mit Wicki und anderen gearbeitet | |
hat. Die kannte die Wahnsinnigen. Er hatte Leute um sich, die ihm auf | |
Gedeih und Verderben gefolgt sind, die ihn geliebt haben, die ihm hörig | |
waren, ich war ihm ja auch hörig in gewisser Weise. Thomas war zärtlich und | |
zerstörerisch. Alles was er geliebt hat, hat er auch zerstört. | |
Auch sich selber? | |
Ja, klar, vor allem auch sich selber. | |
Während der 90er Jahre gab es dann kaum noch Kontakt? | |
Nein, nach dem „Passagier“ war der totale Krieg, das war eine | |
zerstörerische Geschichte, die vier Jahre, die die Produktion gedauert hat. | |
Da war kein Zugang mehr. Und ich war ja auch finanziell sehr beschädigt, es | |
gab unbezahlte Rechnungen, ich war fast pleite. | |
Erinnern Sie sich an die letzte Begegnung? | |
Ich hatte ihn lange nicht gesehen und dann, im Sommer 2000, habe ich auf | |
dem Darß in Ahrenshoop einen Film gedreht, eine riesige Produktion, die | |
einzige richtige Hollywoodproduktion, die ich gemacht habe. Und am Tag vor | |
dem Dreh gehe ich spazieren und in einem der wenigen Lokale, die direkt am | |
Strand sind, da saß Thomas mit ein paar Leuten und war ganz klar. Er hat | |
Bier getrunken, wir haben geredet. | |
11 Nov 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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