| # taz.de -- Dokumentarfilm „Familie Brasch“: Man hört die stumme Kulisse | |
| > In ihrem Dokumentarfilm lässt Annekatrin Hendel Marion Brasch erzählen | |
| > und vorlesen. Ein Familienporträt aus der DDR. | |
| Bild: Die Mischpoke: Marion Brasch erzählt die Geschichte ihrer Familie | |
| Höchstwahrscheinlich stimmt, was Oscar Wilde einst sagte: dass Kinder ihre | |
| Eltern zu Anfang lieben, sie später beurteilen und ihnen vielleicht | |
| irgendwann vergeben. Die Regisseurin Annekatrin Hendel erzählt in ihrem | |
| neuen Dokumentarfilm „Familie Brasch“ eine schwierige Familiensaga aus der | |
| DDR, in der es um genau diese Dinge geht, um Liebe, Urteil und Vergebung. | |
| Es ist die Geschichte vom Berliner SED-Funktionär Horst Brasch, dessen | |
| oppositionelle Söhne Thomas, Klaus und Peter unter dem Druck | |
| zusammenbrachen beziehungsweise aufgaben; von seiner Frau Gerda, die an | |
| nicht erreichten Lebenszielen scheiterte. Und von der Überlebenden, dem | |
| Nesthäkchen Marion, auf deren Biografie ihrer „fabelhaften Familie“, die | |
| vor ein paar Jahren erschien, sich Hendels Film liebevoll stützt. | |
| Liebe, Urteil, Vergebung – und eine politische Hingabe, die an Liebe | |
| grenzt, bei der es immer wieder um den „wahren Sozialismus“ geht, und die | |
| letztlich auf allen Seiten zu Traumata führt: Vater Brasch verrät seinen | |
| regimekritischen Sohn. Später wäre der Funktionär bereit gewesen, für die | |
| Partei Selbstmord zu begehen, und seine Tochter zurückzulassen. | |
| Der begabte Dramatiker und Künstler Thomas will dagegen das Land, die DDR, | |
| verlassen, weil sie ihm nicht „sozialistisch genug“ sei. 2001 stirbt er an | |
| Herzversagen, ein paar Monate nach seinem Bruder, dem Schriftsteller Peter | |
| Brasch. Der Schauspieler Klaus Brasch starb bereits 1980 mit fast 30 Jahren | |
| an einem Mix aus Alkohol und Tabletten. | |
| ## Marion Brasch ist die besondere Erzählerin | |
| All das lässt Hendel die heute 57-jährige Radiomoderatorin und Autorin | |
| Marion Brasch erzählen und vorlesen. Dazu hat sie Zeitzeugen, FreundInnen | |
| interviewt. Vom Schriftsteller Florian Havemann stammt die Aussage über die | |
| Ausreisegründe seines Freundes Thomas; die Liedermacherin Bettina Wegner, | |
| die mit Thomas ein Kind hat, und ebenfalls von der Stasi verhört wurde, | |
| erzählt von den Problemen mit Braschs Eltern. | |
| Vor jedem der Kapitel, die sich den einzelnen Angehörigen widmen, blendet | |
| Hendel ein Gemälde ein – Marion sitzt als kleines Mädchen vorn, daneben die | |
| Eltern, flankiert von den stehenden, streitenden Brüdern. Im Laufe des | |
| Films aber leert sich das Gemälde – ein so unheimliches wie effektives | |
| Psychogramm des Familiennarrativs. | |
| Hendels Filme behandelten oft den Umgang mit einem Land, das nicht mehr | |
| ist, und waren dabei stets vom persönlichen Zugang geprägt. In | |
| „Vaterlandsverräter“ kommt sie 2011 dem Schriftsteller und IM Paul Gratzig | |
| sehr nahe, über den Lyriker und Stasi-Spitzel Sascha Anderson hat sie 2014 | |
| einen emotionalen Film geschaffen, der eine ganze Szene porträtiert. Bei | |
| den Braschs hat sich die Regisseurin ein wenig zurückgehalten – um die | |
| Intimität der Familienbande nicht zu stören, und um der Erzählerin Marion | |
| freie Hand zu geben. | |
| ## In stummer Kulisse in Szene gesetzt | |
| Doch Hendel weiß genau, wo und mit wem sie spricht – die stumme Kulisse, in | |
| der sich die Interviewten befinden, die Atmosphären der Räume sind zuweilen | |
| genauso hörbar wie die Gesprächsinhalte: Neben Katharina Thalbach, einer | |
| weiteren Exfreundin Thomas’, lehnt ein Gewehr an der Wand, die | |
| Schauspielerin Ursula Andermatt wird beim Nähen in einem Atelier besucht, | |
| die rauchende Bettina Wegner scheint in einem gemütlichen Garten zu sitzen. | |
| So ist „Familie Brasch“ viel mehr als nur die Bebilderung von Marion | |
| Braschs Romanbiografie oder das Porträt einer vor allem in der Kulturszene | |
| der ehemaligen DDR enorm prominenten Familie. Denn eigentlich bietet die | |
| Regisseurin den Braschs, zumindest den noch lebenden Mitgliedern, eine Art | |
| Möglichkeit zur Familienaufstellung an – vor (Kino-)Publikum, wie bei | |
| diesem Verfahren üblich, aber ohne therapeutischen Druck. Damit ist Hendel | |
| in ihrem eindrucksvoll empathischen Werk der Sprung vom Privaten zum | |
| Politischen gelungen. Und sogar wieder zurück. | |
| 16 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
| ## TAGS | |
| DDR | |
| Dokumentarfilm | |
| deutsche Literatur | |
| Hanna Schygulla | |
| Prenzlauer Berg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Brasch-Biopic „Lieber Thomas“ im Kino: „Er war zärtlich und zerstöreris… | |
| Der Film „Lieber Thomas“ porträtiert den Autor und Regisseur Thomas Brasch. | |
| Sein früherer Produzent Joachim von Vietinghoff erinnert sich an ihn. | |
| Film „Fassbinder“: Schnarchende Hunde treten | |
| Gröber geht's nimmer: Annekatrin Hendel versucht sich an einem Porträt | |
| Rainer Werner Fassbinders. Werk und Leben setzt sie umstandslos in eins. | |
| Porträtfilm über Sascha Anderson: Es hätte sein müssen | |
| Sascha Anderson hat die schizoide Maske abgelegt und gibt sich aufgeräumt. | |
| Die große Verratsoper bleibt aus in Annekatrin Hendels „Anderson“. |