# taz.de -- Porträtfilm über Sascha Anderson: Es hätte sein müssen | |
> Sascha Anderson hat die schizoide Maske abgelegt und gibt sich | |
> aufgeräumt. Die große Verratsoper bleibt aus in Annekatrin Hendels | |
> „Anderson“. | |
Bild: Sascha Anderson – ohne schizoide Maske. | |
Ich ist ein anderer. Auf diesen poetischen Glaubenssatz lief am Ende | |
hinaus, was eine Beichte hätte werden sollen. Doch mit dem Genie | |
existenzialistischer Selbst- und Fremdvernebelung hatte es schon früher | |
niemand mit Sascha Anderson aufnehmen können. Warum hätte also die | |
„Autobiografie“ so viel verständlicher werden sollen, die der berüchtigte | |
Poet vom Prenzlauer Berg 2002 vorlegte. | |
In einer kruden Mischung aus Romantik und Poststrukturalismus versuchte der | |
Mann, dem Wolf Biermann den unsterblichen Nickname „Arschloch“ eingebrannt | |
hatte, zwischen Ich und dem anderen, der seine Literaturfreunde an die | |
Stasi verraten hatte, einen dicken Keil zu treiben. Tausend blaue | |
Poesieblumen ließ der Verfemte in seinem Machwerk blühen. Nur eines hörte | |
man nicht: Ein Bekenntnis, ein Geständnis, eine Bitte um Entschuldigung. | |
Gemessen an dem pseudoexpressionistischen Gestammel, mit dem er vor zwölf | |
Jahren um den heißen Brei herum schrieb, kommt Sascha Anderson in | |
„Anderson“, dem jüngsten Film der Berliner Filmemacherin Annekatrin Hendel, | |
ungewohnt aufgeräumt daher. Er hat die schizoide Maske abgelegt, die die | |
Rezensenten seiner Memoiren weiland so in Rage gebracht hatte. | |
Derart nüchtern und reflektiert, wie er die Geschehnisse von damals | |
rekapituliert, wirkt der jetzt 61-Jährige wie ein abgebrühter | |
Erinnerungssachbearbeiter seiner selbst: „Da macht man sich doch die Finger | |
schmutzig“ lacht er, als er mit der Filmemacherin in den Keller seiner | |
Frankfurter Wohnung stapft und die alten Akten heraus kramt, als seien sie | |
Belege vom Finanzamt. | |
## Kunstgriff für die Konstruktion | |
Hendel, Jahrgang 1964, nach eigenem Bekunden „Zaungast“ der Szene vom | |
Prenzlauer Berg, bekennt sich zu der „andauernden Faszination“, die von | |
deren poetischem Leitwolf ausging. Ihr geht es nicht um die neuerliche | |
Abrechnung mit einem „Monster“ – wie Anderson heute noch geschmäht wird. | |
Die Regisseurin weiß um die Aporien ihres Rekonstruktionsversuchs. Das | |
Künstliche ihrer filmischen Recherche, das Konstruierte jeder Erinnerung | |
macht sie auch durch einen Kunstgriff kenntlich. | |
Im Studio Babelsberg hat Hendel die Wohnküche des Liedermachers Ekkehard | |
Maaß nachbauen lassen, einst Treffpunkt der Szene in der Schönfließer | |
Straße in Berlin-Prenzlauer Berg. Über weite Strecken des Films hört man | |
Anderson aus dieser, mit Metallklemmen gesicherten Sperrholzbox reden, | |
umgeben von alten Leseplakaten, Kaffeetassen und Bildern. „Sascha Anderson“ | |
hatte Anderson vor zwölf Jahren seine verquasten Bekenntnisse genannt. | |
„Anderson“ nennt Hendel ihren Film kurz und bündig. Wieder einmal wird das | |
inzwischen etwas verblasste Drama vom Täter her aufgezäumt. Der darf die | |
„Riesenlast“ beklagen, die auf ihm lastete. Und rettet sich in die sattsam | |
bekannten Rechtfertigungen: Die antifaschistische Imprägnierung der | |
Familie, der Größenwahn des Kindes, das gern Geheimdienst spielt, die | |
Loyalität zum sozialistischen Staat. | |
Profihaft wie ein Psychiater, immer unscheinbar in dunkler Jeans, blauem | |
Hemd und silbern schimmerndem Dreitagebart, erläutert er seine Unfähigkeit, | |
nach der Enttarnung, bei dem entscheidenden Treffen mit den alten Freunden, | |
den Verrat zuzugeben. „Das war reine Psyche. Du kannst doch deine eigene | |
Situation nicht übern Haufen werfen.“ Wo andere vielleicht Erinnerung oder | |
Scham überwältigt hätten, bleibt Anderson cool: „Ich hatte die Kraft dazu | |
nicht.“ Immerhin weiß er: „Es hätte aber sein müssen.“ | |
## Das ewige Rätsel | |
Erstaunlich milde urteilen in Hendels eher unambitioniertem Film „die | |
Opfer“. Wilfriede Maaß, Ekkehard Maaß’ Exfrau und Andersons nachmalige | |
Lebensgefährtin – sie sitzt auf dem Drehstuhl ihrer Töpferwerkstatt und | |
sagt beiläufig „Ja“ auf Hendels Frage, ob sie ihren Frieden mit Anderson | |
gemacht habe. Ihr Exmann gibt einen aufschlussreichen Einblick in die | |
kollektive Psyche der „subversiven Szene“, wenn er davon spricht, wie sie | |
diesem „Popstar“ gegenüber „bis zur Entblößung ausnutzbar“ gewesen s… | |
Und doch zahlt es sich aus, dass die Regisseurin darauf verzichtet, noch | |
einmal die große Verratsoper aufzunehmen. | |
Hendels Erkenntnisse zu dem Topos „Verrat“ – „Anderson“ soll den zwei… | |
Teil einer Trilogie zum Thema hergeben – kommen zwar über das „Gespinst aus | |
Halbwahrheiten, Lügen und Denunziation“ nicht hinaus, welches der Lyriker | |
Bert Papenfuß schon immer um Anderson wahrgenommen haben will. Doch so | |
unvoreingenommen die Regisseurin alle Beteiligten nach diesem ewigen Rätsel | |
befragt, fördert sie dann doch einen Aspekt zu Tage, der vielleicht erst | |
jetzt, aus der Distanz von fast 15 Jahren, benannt werden kann. Es ist der | |
Moment, in dem die Regisseure Thomas Plenert und Lars Barthel am heimischen | |
Küchentisch halb betreten, halb bewundernd von dem sprechen, was in | |
Andersons Verrat auch noch schlummere: „eine enorme Kreativität“. | |
3 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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