| # taz.de -- Berlinale-Film über Sascha Anderson: Feigheit vor dem Freund | |
| > Sascha Anderson war der Star des Underground-Betriebs von Ostberlin, bis | |
| > er als Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Annekatrin Hendel rollt sein Leben | |
| > auf. | |
| Bild: Geschichtsstunde im Filmstudio: Die Küche von Ekkehard Maaß, originalge… | |
| „Da macht man sich ja ooch dreckig“, sagt Sascha Anderson, als er die | |
| verstaubten Ordner aus einem Karton holt. Darin sind wohl Kopien der | |
| Berichte über Freunde und Mitstreiter aus der dissidenten Kulturszene zu | |
| finden, die Anderson von 1975 bis zum Ende der DDR an die Staatssicherheit | |
| geliefert hat. Hin und wieder blättert er darin, gelesen hat er sie nie, | |
| sagt er. „Irgendwie muss der Mensch zu einem Gleichgewicht zwischen Selbst- | |
| und Fremdbild kommen.“ | |
| Seit ihn Wolf Biermann öffentlich als „Sascha Arschloch“ geoutet hatte, | |
| klaffen Fremd- und Selbstbild weit auseinander. „Sascha Anderson ist uns | |
| auch nach einem Vierteljahrhundert ein Rätsel geblieben“, sagt Regisseurin | |
| Annekatrin Hendel aus dem Off. „Die Verletzungen sitzen noch tief. Und so | |
| ist seine Geschichte, ob es uns passt oder nicht, auch unsere Geschichte.“ | |
| Wie tief die Verletzungen sitzen, zeigt ein Zitat von Ekkehard Maaß, der | |
| Anderson mit einem Zimmer, mit Essen und Zigaretten versorgte, was diesen | |
| nicht daran hinderte, über den Freund zu berichten: „In anderen | |
| Gesellschaften hätte man ihn nicht überleben lassen. Da steht auf | |
| Freundesverrat der Tod.“ Bei der Premiere am Dienstag wird Anderson aus dem | |
| Publikum als „Monster“ bezeichnet. | |
| ## Junger Mann mit Omnipotenzfantasien | |
| Anderson erklärt sein Tun unter anderem aus jugendlicher Loyalität | |
| gegenüber dem antifaschistischen Staat und der Unfähigkeit, Gefühle zu | |
| spüren aufgrund eines traumatischen Knastaufenthalts im Jahr 1977. | |
| [1][„Anderson“] entfaltet Stück für Stück das schillernde Bild eines jun… | |
| Mannes mit Omnipotenzfantasien, der glaubte, er könne der Stasi, „dem | |
| einzigen Berührungspunkt mit dem System“, berichten und zugleich den | |
| Underground-Betrieb von Ostberlin am Laufen halten, dessen Manager, | |
| Propagandist und Star er war. | |
| „Anderson“ zeigt, wie recht diejenigen haben, die Anderson als Beispiel | |
| dafür nehmen, was passiert, wenn man die poststrukturalistischen Theorien | |
| von unpersönlichen Machtstrukturen verabsolutiert: Wer glaubt, nur mit | |
| Systemen zu spielen, kennt keine Menschen mehr. | |
| Für Holger Kulick, der damals für „Kennzeichen D“ die Szenerie beobachtet | |
| hat, waren Inoffizielle Mitarbeiter der Stasi entscheidende Spieler, um die | |
| Szene zu entpolitisieren, zu entsolidarisieren und zu entschärfen. | |
| Tatsächlich schürt „Anderson“ den Zweifel am Glauben an die subversive | |
| Kraft des Ästhetischen: Der Ostberliner Underground wurde als kollektiver | |
| Kunstproduzent Staat und Stasi nie gefährlich. Nur dort, wo er sich | |
| politisierte, richtete er etwas aus. | |
| ## Papenfuß zeigt Größe | |
| Wie ein anarchistischer Jesus erscheint in dieser Geschichte Andersons | |
| Freund, der ebenfalls von ihm bespitzelte Dichterkollege Bert Papenfuß, der | |
| längst wieder Gedichtbände zusammen mit Anderson herausbringt und sagt: | |
| „Wenn man jemanden, der in die Ecke gedrängt wird, noch mehr bedrängt, kann | |
| man nicht erwarten, dass dabei Wahrheit auf den Tisch kommt.“ So sieht | |
| menschliche Größe aus. | |
| Talking Heads prägen das Bild von „Anderson“. Zwischendrin gibt es | |
| historische Fotos und Filmaufnahmen zu sehen, und Anderson selbst, immer | |
| noch schlank, vermutlich wegen der Zigaretten, in schwarzem Hemd und Jeans. | |
| So zeigt ihn die Kamera beim Schachspiel gegen sich selbst. Der genialste | |
| Schachzug der Regisseurin ist es aber, die Küche von Ekkehard Maaß, einst | |
| Treffpunkt der Szene, in einem Filmstudio aufbauen zu lassen. Jede Tasse, | |
| jedes Lesungsplakat, jedes Küchenmöbel wird aus Maaßens Wohnung ins Studio | |
| transferiert. | |
| In diesem Erinnerungsraum sitzt Anderson und sagt: „Feigheit vor dem Freund | |
| ist schlimmer als Feigheit vor dem Feind. Ich war völlig unfähig, die | |
| Situation zu klären, aber es hätte sein müssen.“ So wird „Anderson“ do… | |
| noch zur Beichte. | |
| 13 Feb 2014 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.berlinale.de/de/programm/berlinale_programm/datenblatt.php?film_… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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