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# taz.de -- Buch über DDR-Punk "Otze" Ehrlich: Schleim aus Stotternheim
> DDR-Punklegende "Otze" Ehrlich starb 2005 in der Psychatrie. Legenden um
> "IM Richard", die Stasi und Sascha Andersons Rolle werden nun neu
> erzählt.
Bild: Coverbild von "Satan, kannst Du mir noch mal verzeihen?".
Der runde Geburtstag der 68er hat sich bislang kaum in der
Pop-Berichterstattung niedergeschlagen. Die Rückbesinnung auf die Punk-Ära
1976 ff. bleibt dagegen weiterhin Musikdiskursthema. Seit Jürgen Teipels
Oral-History "Verschwende Deine Jugend" (2001) ist Punk durch Bücher,
Plattenveröffentlichungen, Filme und Ausstellungen präsent. Auch im Osten
Deutschlands wird Aufarbeitung betrieben. Deutlich wird das an dem Band
"Satan, kannst Du mir noch mal verzeihen?". Zentral geht es darin um den
DDR-Punkrocker Dieter "Otze" Ehrlich.
Nicht erst seit Ehrlichs Tod in einer psychiatrischen Klinik, 2005, ranken
sich um ihn Gerüchte. Seine zusammen mit Bruder Klaus Ehrlich 1979 in
Stotternheim bei Erfurt gegründete Band Schleimkeim ist legendär. Anne Hahn
und Frank Willmann, Herausgeber von "Satan ", lassen 16, allerdings nur
männliche, Zeitzeugen zu Wort kommen: Ihre "Otze"-Anekdoten vermischen sich
dabei mit eigenen Erinnerungen. Bierfässer werden aus Kneipen gerollt und
Drogen durchgetestet. Interessanter sind die unterschiedlichen
Erinnerungsperspektiven auf die gleichen Geschehnisse.
Zum Beispiel, was die Geschichte über die erste Schallplatte einer
DDR-Punkband anbelangt. Genauer gesagt, die Einforderung der ausstehenden
Tantiemen nach deren Veröffentlichung bei Sascha Anderson. Auf dessen
Betreiben erschien 1983 das Album "eNDe - DDR von unten". Die vorgesehenen
Bands zogen auf Druck der Stasi ihre Teilnahme wieder zurück, bis auf die
Dresdner Künstlerband Zwitschermaschine und eben Schleimkeim, die sich auf
der Platte allerdings Sau Kerle nannten. Die Split-LP erschien damals auf
dem Westberliner Hardcore-Label "Aggressive Rockproduktionen". Labelchef
Dimitri Hegemann - im Berlin der Nachwendezeit Motor der Techno- und
Clubszene - wurde nach Veröffentlichung von "eNDe" mit Einreiseverbot in
die DDR belegt.
Von Anderson versprochene Belegexemplare und Westmark gelangten aber nie
nach Stotternheim, stattdessen klingelte die Stasi. "Otze" Ehrlich schaute
einige Zeit danach mit Verstärkung bei Anderson vorbei. Diese Begebenheit
spielt sich auf den Buchseiten, je nach Fantasie, sehr unterschiedlich ab.
Der eine lässt Anderson an einen Schaukelstuhl fesseln, beim Nächsten ist
gar niemand zu Hause. Die Haustür sei eingetreten worden, danach ist es zum
Handgemenge mit Anderson gekommen, bis dieser endlich das Geld rausrückt
habe.
Auch mit Jahreszahlen haben einige Zeitzeugen ihre Probleme. Weit vor dem
tatsächlichen Schleimkeim-Konzertdebüt im Dezember 1981 in Erfurt wird von
Konzerten berichtet, bei denen ihr Ruf ruiniert gewesen sein soll. Erfurter
Punks werden als "Wildschweinherde" bezeichnet, Ehrlich bekommt das Image
eines Schlägertypen angedichtet. Die abgedruckten niedlichen Fotos der
damals zwanzigjährigen Punks sprechen eine andere Sprache. Nicht
zweifelsfrei klären lässt sich auch, wie es 1999 zu den Ereignissen auf
einem Bauernhof kam, in deren Verlauf Otze seinen Vater erschlug.
Spannend sind jedoch die Schilderungen des ostdeutschen Punk-Alltags. Zum
Beispiel das Auftauchen von Walther Schilling. Schilling, Jahrgang 1930,
prägte in der DDR die "offene politische Jugendarbeit" der 70er- und
80er-Jahre. Inspiriert von 68 fand er vor allem in Thüringen Mitstreiter,
die Anfang der 80er (Kirchen-)Räume für die ersten Punkkonzerte zur
Verfügung stellten. Die "offene Jugendarbeit" war bis zum Herbst 1989
organisatorische Weggefährtin der Punkbewegung.
Anne Hahn skizziert in einem Text die Biografie von "Otze" Ehrlich unter
Zuhilfenahme von Stasi-Akten. Getreu dem Schleimkeim-Song "Spione im Café"
versucht sie Licht ins Dunkel des IKMO "Richard" zu bringen: Das war Otzes
Deckname, als er sich 1982/83 mit Mitarbeitern der Abteilung K1 gegen Bares
zum Plauderstündchen traf. Die K1 war nach außen eine Abteilung der
Kriminalpolizei. Seit 1990 ist allerdings bekannt, dass sie dem Ministerium
für Staatssicherheit unterstellt war. Die gesichteten Akten bergen keine
Überraschungen, "Richard" gab nur Mündliches zu Protokoll.
"Otze" taucht selber in zwei aufgezeichneten Gesprächen im O-Ton in dem
Sammelband auf. Seine Kraft, seine Sehnsüchte wie auch sein Wahnsinn sind
jedoch auf jeder Seite spürbar.
4 Apr 2008
## AUTOREN
Dirk Teschner
## TAGS
Podcast-Guide
Peter Fox
Prenzlauer Berg
Stasi
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