# taz.de -- Interview mit einem ehemaligen DDR-Häftling: "Es geht ja immer wie… | |
> Als junger Mann machte sich Wolfgang Schlott über die DDR lustig, beim | |
> Versuch zu fliehen wurde er festgenommen. An der Forschungsstelle | |
> Osteuropa in Bremen wurde er bespitzelt und Sascha Anderson meldete ihn | |
> der Stasi. Ein Gespräch über die Möglichkeiten von Zivilcourage. | |
Bild: Beim Interview im Café: Wolfgang Schlott. | |
Herr Schlott, würden Sie sagen, dass Sie in der DDR ein Widerständler | |
waren? | |
Wolfgang Schlott: Wir waren drei Kommilitonen, die keine großen Heldentaten | |
vollführt haben, sondern eher kleine subversive Aktionen. Der eine war ein | |
streng gläubiger Katholik, der andere Protestant aus dem Erzgebirge. Wir | |
bekamen Disziplinarverfahren, weil wir uns lustig gemacht hatten über | |
Disziplinierungsmaßnahmen bei der Vorbereitung auf so ein genanntes | |
fröhliches Jugendtreffen, und wir haben da und dort heimlich Losungen im | |
slawistischen Institut angebracht. Das führte dazu, dass alle Studenten | |
ihre Empörung in Protestnoten formulieren mussten. Wir haben die Frechheit | |
besessen und sind in die Aufklärungskommission gegangen. | |
Was waren das für Parolen? | |
Etwas wie: "Das Institut wird umgetauft in ideologische | |
Samenbeschauanstalt". Später habe ich beim Einmarsch der Warschauer | |
Pakt-Staaten Losungen an die Bäume angebracht. Gott sei Dank habe ich das | |
nur einmal gemacht, denn in der nächsten Nacht patrouillierten Angehörige | |
der Betriebskampfgruppen und freiwillige Staatsbürger, SED-Genossen, durch | |
die Straßen. | |
Ihr Werdegang war ein ganz anderer als der Ihrer späteren Kollegen an der | |
Bremer Uni. | |
Ich durfte nicht studieren, weil meine Verwandtschaft im Westen war. Ich | |
habe als Kraftfahrer und in der Landwirtschaft gearbeitet, fast wäre ich | |
ausgebildeter Landwirtschaftsverwalter geworden. Später, nach meiner | |
Übersiedlung in die Bundesrepublik, habe ich eine akademische Karriere | |
gemacht, so eine Seiteneinstiegsgeschichte. | |
Haben Sie den Kontakt in die DDR dennoch behalten? | |
Ich war oft in Leipzig und Ost-Berlin. Dort war ich einmal mit Sascha | |
Anderson zu einem Rundgang durch den Prenzlauer Berg verabredet. Am Ende | |
habe ich zu ihm gesagt: "Über diese subversive Kulturszene müsste man doch | |
eine Studie schreiben." Als ich das nächste Mal wieder nach Ost-Berlin | |
reisen wollte, hatte ich Einreiseverbot. Später fand ich in meiner Akte in | |
der Gauck-Behörde eines der vielen Pseudonyme von Sascha Anderson, der | |
einen Bericht über mich angefertigt hatte. Ich habe ihn dann 1991, nachdem | |
die ersten Enthüllungen über ihn veröffentlicht wurden, hier in Bremen | |
getroffen. Es war völlig hirnrissig, er reagierte gar nicht auf meinen | |
Vorwurf, sondern fing an, dumme Sachen zu erzählen. | |
Was für Sachen? | |
Er sagte, dass er auch im Knast gewesen sei und fing an, irgendwelche | |
Onanierszenen von dort zu erzählen. Bespitzelt wurde ich dann auch an der | |
Bremer Uni, wo ich für Polen zuständig war und die Samisdat-Forschung, also | |
die nicht systemkonformen Schriften, bearbeitete. Aber unser Direktor hat | |
es bis heute nicht für nötig befunden, die Akten anzufordern. | |
Wer hat in der DDR denn Mut bewiesen? | |
In den 70er Jahren nach Biermanns Ausweisung waren es die arrivierten | |
Autoren, deren Bücher auch in Westeuropa publiziert wurden - die weniger | |
bekannten Autoren hatten, mit wenigen Ausnahmen, diesen Mut nicht. Und das | |
DDR-Regime war sehr anfällig, was das Renommee der großen Autoren betraf, | |
weil viele der Verlage auf die West-Lizenzen angewiesen waren. | |
Nach Ihrer Verhaftung wegen Republikflucht sind Sie im Gefängnis einem | |
Physiker begegnet, der Sie besonders beeindruckt hat. | |
Das war Dietrich Koch, der in den Fall mit dem Plakat verwickelt war. Zur | |
Eröffnung des Bachfestivals im Gewandhaus Leipzig hatten Freunde von ihm | |
mit Hilfe eines Weckers einen Mechanismus entwickelt, der in dem Moment, in | |
dem die Fernsehübertragung begann, ein riesiges Plakat herunterrollen ließ. | |
Darauf stand: "Wir fordern den Wiederaufbau der Universitätskirche | |
Leipzig". Koch wurde dann wegen einer anderen Geschichte, der Verbreitung | |
von Flugblättern, von jemandem denunziert, den man im Knast weichgekocht | |
hatte. Er war neun Monate in Einzelhaft, bevor er gerade zu mir in die | |
Zelle kam. Ich saß immer alleine da, wahrscheinlich hielten sie mich für | |
ziemlich blöd und dachten, den Koch können wir ja zu dem Trottel stecken. | |
Und dann hat er mir im Flüsterton die Geschichte erzählt. | |
Koch hatte neun Monate in Einzelhaft verbracht. | |
Wissen Sie, was das bedeutet? | |
Nein. | |
Ich wusste es damals auch nicht. Ich hatte gerade mal zweieinhalb Monate | |
abgesessen bis zu diesem Zeitpunkt. Und das ist auch schon ganz schön hart. | |
Es war ein richtig mittelalterlicher Knast bei der Stasi in Leipzig. Die | |
Zelle war eineinhalb Meter breit und zweieinhalb Meter lang, ein oder zwei | |
Pritschen, ein Klo - das wars. | |
Es redete den ganzen Tag niemand mit einem? | |
Nein. Es sei denn, man wird zum Verhör gebracht. Es gibt ja nur Nummern, | |
eine Anrede wird sowieso nicht gepflegt. Da und dort bekam man bei guter | |
Führung das Neue Deutschland. | |
Haben Sie später mit anderen über Ihre Erfahrungen in der Haft gesprochen? | |
Ich habe 1971 an der Reformuniversität Bremen zwei Semester studiert und | |
hatte dort Gelegenheit, mit DKP-Professoren aus dem Studienbereich Jura zu | |
reden. Ich kam direkt aus dem Gefängnis und erzählte ein wenig über die | |
Gerichtsverfahren, bei denen man keinen Verteidiger hat, beziehungsweise er | |
nur auftaucht, wenn man die Chance hatte, in die Bundesrepublik abgeschoben | |
zu werden. "Interessant", sagten die Professoren. "Wie haben Sie das | |
verarbeitet? Sie gingen überhaupt nicht auf das Gerichtsverfahren ein, die | |
Juristen haben nicht gefragt, wie es sein konnte, dass ich zweimal für den | |
gleichen Sachverhalt, nämlich versuchte illegale Grenzüberschreitung in | |
Rumänien, verurteilt wurde. | |
War die kritische Distanz zur DDR in Ihrem Elternhaus angelegt? | |
Nicht unbedingt. Mein Vater kam 1948 aus der sowjetischen | |
Kriegsgefangenschaft zurück und versuchte sich zu arrangieren. Er war | |
Mitglied der deutsch-sowjetischen Freundschaft. Widerstand bin ich am | |
ehesten im Umkreis der protestantischen Kirche begegnet - wobei ich selbst | |
kein überzeugter Christ bin, sondern Pantheist. Ich glaube, es hat etwas | |
damit zu tun, zu überprüfen, ob man in bestimmten Situationen richtig | |
handelt, im Gruppen-Gespräch, was ja eine Diktatur immer wieder unterbinden | |
will. | |
Was kann man aus dieser Diktatur lernen? | |
Man kann sehen, wie eine Diktatur Angst erzeugt und man kann den | |
Widerspruch erkennen zwischen der staatlichen Ideologie und der sozialen | |
Realität. Und man kann versuchen, zu verstehen, warum eine überwältigende | |
Mehrheit erstarrt ist, sich anpasst, auch feige ist in Situationen, wo man | |
gar nicht feige sein muss. Aber es geht ja immer wieder um das Ego, die | |
bedrohten Dimensionen der eigenen Existenz - das sehen wir ja auch im | |
Kapitalismus, wo wir Tag für Tag gezwungen werden, an das Überleben zu | |
denken, einen Arbeitsplatz zu verteidigen. | |
Wo ist Ihnen Zivilcourage begegnet? | |
Ich habe Leute bewundert, die ich im Knast getroffen habe, die über Jahre | |
hinweg Flugblätter produziert haben, die involviert waren in kleinere oder | |
größere Störaktionen und dafür Monate in Untersuchungshaft verbracht haben. | |
Ich habe aber auch Leute getroffen, die verbittert darüber waren, dass sie | |
drei Jahre bekommen haben für einen politischen Witz. Das war die | |
DDR-Justiz Ende der 60er Jahre. Später waren die Strafen etwas milder, | |
dafür war der psychologische Druck viel, viel größer. Wenn man Häftlinge | |
auf Bewährung entließ, mussten sie sich regelmäßig bei den zuständigen | |
Behörden melden, außerdem wurden sie ohnehin von den Inoffiziellen | |
Mitarbeitern der Stasi, meist Arbeitskollegen, überwacht. | |
Ist Ihr Engagement für den Exil-PEN, in dem sich Schriftsteller vereinigt | |
haben, die vor Diktaturen geflohenen sind, eine Art Dank, dass Ihnen ein | |
längerer Aufenthalt unter diesen Bedingungen erspart blieb? | |
Bestimmt. Aber es geht mir auch um ein Engagement in der Demokratie, die | |
anfällig geworden ist, vor allem aufgrund der Tatsache, dass ihre | |
Legitimation schwieriger geworden ist. Die Finanzsysteme kollabieren, die | |
Parteien sind schwach und der Kapitalismus ist ein in sich fragwürdiges | |
System, das nicht unbedingt demokratische Entwicklungen fördert. | |
11 Oct 2009 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
## TAGS | |
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Prenzlauer Berg | |
Stasi | |
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