Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Film „Meine Mutter, ein Krieg und ich“: Wandernde Splitter und …
> In „Meine Mutter, ein Krieg und ich“ begibt sich Tamara Trampe mit
> Regiepartner Johann Feindt auf die Suche nach der Geschichte ihrer
> Mutter.
Bild: Tamara Trampe und ihre Mutter 1943.
Stellen wir uns vor, wir seien im Feld geboren worden. Zwischendurch,
mitten im Krieg. Nicht in irgendeinem Krieg, sondern im Großen
Vaterländischen, wie er im Russischen bis heute heißt. Eine Sanitäterin
wäre unsere Mutter, ein Ungenannt-Unbekannter der Vater. Stellen wir uns
dann vor, wir wüssten um die möglichen Dramaturgien des Dokumentarfilms
ebenso gut Bescheid wie um jene der Lebens(ver)läufe im 20. Jahrhundert.
Und schließlich: Wir spielten ein Leben lang mit der Idee, all die
Bruchstücke der Erinnerung, die vergilbten Fotos, die immer wieder
gemurmelten eigenen Kindersätze („Papas Splitter wandern im Kopf“) und die
wenigen, so warmherzigen und doch schrägen Aussagen der Mutter („Ich habe
dich auf dem Feld verloren“) zusammenzufügen.
Wir wären wahrscheinlich da, wo Tamara Trampe stand, als sie beschloss,
sich gemeinsam mit Johann Feindt, ihrem Regiepartner schon im Fall „Weiße
Raben – Alptraum Tschetschenien“ (2005) oder „Wiegenlieder“ (2009) an i…
persönlichstes Filmprojekt zu wagen.
Angekommen bei der Frage nach den eigenen gesungenen, vielleicht aber auch
nie gesungenen Wiegenliedern. Ein Zurückkehren zur eigenen Geburt. Wie
schon ihre Helden im Tschetschenienfilm ist auch sie selbst ein Produkt des
kriegstraumatisierten Ostens, wie ihre Protagonisten in „Wiegenlieder“ ist
auch sie eine radikal In-die-Welt-Geworfene.
Und auch die maximal einfühlsame Direktheit bleibt dieselbe, mit der Tamara
Trampe immer schon Menschen adressierte (kombiniert mit einer rauen
Warmherzigkeit im Tonfall, die oft die Schwelle zum Pathos zu übertreten
bereit war – was nicht immer nur auf Gefallen stieß).
## Reise in die Ukraine
Im neuesten Film geht all das auf, sogar: wunderbar auf. Die Mutter stirbt
in der Nacht nach dem Geburtstag ihrer Tochter, 90-jährig. Erst zwei Jahre
vor ihrem Tod war sie – endlich – bereit, zu sprechen, Antworten zu
versuchen auf Fragen nach den Möglichkeiten einer Liebe an der Front und
auch auf diese: „Wo kommen die bitte schön her, die Sommersprossen hier?
Von deinem Kommissar vielleicht?“ Denn Papa Willi, dem Nachkriegsvater,
sieht Tamara kein bisschen ähnlich.
Ihre Mutter hat nie für die geebnete Bahn optiert, besonders bei der
Partnerwahl. Weder der deutsche Interbrigadist noch jener obendrein bereits
verheiratete Offizier der Roten Armee scheinen die Idealbesetzung für eine
Frontkrankenschwester der Sowjetunion zu sein.
Zunächst geht es auf der Reise, die Tamara Trampe zurück zu ihren
ukrainischen Herkunftsstationen unternimmt, um den Zeugungsakt (wie bei
vielen vermutlich) zwischen radikaler Undenkbarkeit und absoluter
Alltäglichkeit. So stößt sie auf ihrer Recherche im Umfeld der ehemaligen
Partisaninnen-Sanitäterinnen auf Frauen, für die die Vorstellung von
„Liebe“ nicht gegeben war – die Front war ein Ort, an dem es ausschließl…
um Achtung für den Menschen (den Mann wie die Frau) ging.
Von „Verletzung der Kampfesdisziplin“ spricht ein anderer Veteran und
davon, dass einer schwangeren Frontsoldatin damals sicher keine gute
Position in der sowjetischen Gesellschaft vorbehalten war. Mit jeder neuen
Interviewpartnerin, an die das minimalistische „deutsche Filmteam“
herankommt, öffnet sich das Panorama dessen, was dieser Krieg vor allem für
den meist ausgeblendeten weiblichen Teil der Kriegsgeneration bedeutete.
Immer wieder läuft die Kamera dabei an, wird trocken gewischt – eine Geste,
die dem zwischendurch befreienden Wegwischen der tränenschwangeren
Ich-Suche zwischen Vergangenheit und Gegenwart den adäquaten, pragmatischen
Rahmen gibt. Selten nur werden intime Wahrheiten mit so viel Feinsinn
vermittelt. Selten entsteht dabei so viel mehr.
13 Feb 2014
## AUTOREN
Barbara Wurm
## TAGS
Volker Schlöndorff
Stasi
Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Volker-Schlöndorff-Film auf der Berlinale: Zündschnur am Louvre
1944, die Nazis wollen Paris zerstören. Ein Wehrmachts-General und ein
schwedischer Generalskonsul ringen in „Diplomatie“ um die Stadt.
Berlinale Staralbum: Mélanie Laurent: Die Stilikone
Mélanie Laurent ist Festivalprofi, trotzdem scheint ihre Lust an der Pointe
immer wieder durch. Kann jemand, der so blendend aussieht, auch noch Talent
haben?
Berlinale-Film über Sascha Anderson: Feigheit vor dem Freund
Sascha Anderson war der Star des Underground-Betriebs von Ostberlin, bis er
als Stasi-Spitzel enttarnt wurde. Annekatrin Hendel rollt sein Leben auf.
Afghanistan auf der Berlinale: Gewissenskonflikte in Uniform
Im Wettbewerbsfilm „Zwischen Welten“ von Feo Aladag geht es um Soldaten in
Afghanistan. Oder um Kosslicks Idee von politischem Kino.
Filmfestival: Berlinale goes Knast
Zehn Jahre lang gab es keine Kinovorstellungen in der JVA Tegel. Dank der
Berlinale ändert sich das.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.