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# taz.de -- Debatte um Corona-Impfpflicht: Mehrheit dafür, Politik dagegen
> Braucht es eine Corona-Impfpflicht, zumindest für bestimmte Berufe?
> Wissenschaftler:innen und Bevölkerung sagen ja. Doch was sagt das Recht?
Bild: Die Zahl der freien Intensivbetten wird immer knapper – auch weil die I…
Wir brauchen eine partielle Impfpflicht, insbesondere für bestimmte
Berufsgruppen“, forderte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am
Mittwoch. „Das ist dringend notwendig, mindestens in sensiblen Bereichen,
beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern.“
Auch die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina forderte an
diesem Mittwoch eine „Impfpflicht für Multiplikatorengruppen“. Gemeint sind
insbesondere Pflegekräfte und Lehrer:innen. Eine schnelle Umsetzung der
Forderung ist aber nicht zu erwarten. Die Politik ist überwiegend
zurückhaltend – obwohl eine Corona-Impfpflicht rechtlich durchaus möglich
wäre.
Die Diskussion über eine Impfpflicht kommt immer wieder auf. Angesichts der
enorm steigenden Fallzahlen und der teilweise bereits überlasteten
Intensivstationen hat sich auch die Stimmung in der Bevölkerung gedreht.
Laut einer vom TV-Sender RTL veröffentlichten Forsa-Umfrage waren 53
Prozent der Bundesbürger:innen für eine allgemeine Corona-Impfpflicht.
Im August waren es nur 33 Prozent. Sogar 74 Prozent der Befragten
befürworten inzwischen eine Impfpflicht für Pflegekräfte, Kita-Personal und
Lehrer:innen.
In der Politik wird eine solche Pflicht aber weiterhin mit großer Mehrheit
abgelehnt. Als der Stuttgarter Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne)
vorige Woche eine Impfpflicht für Pflegekräfte forderte, stellten sich
seine Kolleg:innen bei der Gesundheitsministerkonferenz fast einhellig
dagegen.
Das Argument: Man wolle die Spannungen in der Bevölkerung nicht vertiefen.
Außerdem sei nichts gewonnen, wenn ungeimpfte Pflegekräfte dann den Job
aufgeben, statt sich impfen zu lassen. Aus diesen Gründen hat auch die
kommende Ampelkoalition keine Impfpflicht in ihren aktuellen Gesetzentwurf
zum Infektionsschutzgesetz aufgenommen.
Der neue NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verwies am Mittwoch auf
die bisherigen Zusagen der Politik, es werde in Deutschland keine
Impfpflicht geben. Man dürfe jetzt „nicht wortbrüchig“ werden. Als Bionte…
vor einem Jahr seinen Impfstoff vorstellte, fiel die Zusage noch leicht.
Damals wurde vermutet, dass „Herdenimmunität“ eintritt, wenn 60 bis 70
Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Diese Impfquote schien durch
freiwillige Impfungen leicht erreichbar.
Dann aber kam im Frühjahr die deutlich ansteckendere Delta-Variante, und
die Schwelle für die Herdenimmunität liegt nun bei 85 Prozent. Ein so hoher
Anteil der Bevölkerung muss also geimpft oder genesen sein. Das scheint
kaum noch machbar, zumal neue Umfragen zeigen, wie gefestigt die ablehnende
Haltung vieler Impfgegner:innen ist, die in der Impfung mehr Risiken
als Nutzen sehen. Rechtlich wäre eine Impfpflicht aber durchaus möglich.
Der Bundestag geht selbst davon aus, schließlich hat auch er eine seit März
2020 geltende Masernimpfpflicht eingeführt. Sie gilt für alle Kita- und
Schulkinder. Außerdem müssen Personen, die in Schulen, Kitas,
Krankenhäusern, Arztpraxen und Flüchtlingsheimen arbeiten, eine
Masernimpfung nachweisen. Wegen Corona wurde die Übergangsfrist für
Beschäftigte allerdings bis Ende 2021 verlängert.
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht abschließend über
die von Impfskeptiker:innen eingelegten Verfassungsbeschwerden
entschieden. Im Mai 2020 lehnten die Karlsruher Richter zwar einen Antrag
auf Eilanordnung gegen die Masernimpfpflicht ab. Doch die eigentlich für
dieses Jahr erwartete Hauptsache-Entscheidung musste wegen der vielen
Corona-Verfahren am Ersten Senat des Gerichts verschoben werden.
Klar ist jedenfalls, dass eine Impfpflicht für alle oder für bestimmte
Berufsgruppen nur per Gesetz eingeführt werden könnte, da es sich um einen
Eingriff in Grundrechte handelt. Dieser könnte mit dem Schutz der
Bevölkerung und des Gesundheitssystems gerechtfertigt werden. Bei der
Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht wäre dann zu prüfen, ob
die Pflicht geeignet, erforderlich und zumutbar ist, die Ziele zu
erreichen.
Zeitweise wurde argumentiert, eine Impfpflicht sei so lange nicht
erforderlich (und damit unzulässig), wie die Herdenimmunität auch durch
Appelle und Anreize erreicht werden kann. Doch angesichts der unter 70
Prozent stagnierenden Impfquote dürfte dieses Argument nun nicht mehr
ziehen. Spannend könnte allenfalls die Prüfung der Zumutbarkeit werden.
Hier muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, welchen Stellenwert der
Glaube an wissenschaftliche Außenseitermeinungen hat. Es ist denkbar, dass
die Richter:innen eine Ausnahme-Regelung für hartnäckige
Skeptiker:innen für erforderlich halten.
10 Nov 2021
## AUTOREN
Christian Rath
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