# taz.de -- Klimaschurke Australien: Wischiwaschi aus Canberra | |
> Australiens Regierung denkt nicht daran, die heimische Kohleindustrie in | |
> die Schranken zu weisen. Experten halten die Klimapläne für „Lügen“. | |
Bild: Es hat gebrannt – und der Koala keine Bäume mehr zum Klettern | |
CANBERRA taz | Der in Melbourne lehrende deutsche Klimaprofessor [1][Malte | |
Meinshausen] hat es vorausgesagt. Er rechne mit einem „Wischiwaschi-Ziel | |
mit vielen Schlupflöchern“, sagte der Akademiker zur taz schon vor der | |
blumigen Ankündigung des australischen Ziels der Klimaneutralität im Jahr | |
2050 durch Premierminister Scott Morrison in der vergangenen Woche. | |
Und Wirtschaftsprofessor Richard Holden meinte nach der Rede Morrisons, | |
„‚Business as usual‘ wird uns nicht zu Klimaneutralität führen. Es ist … | |
Lüge. Und die Lügner, die diese Lüge erzählen, wissen, dass sie eine Lüge | |
ist.“ | |
Australien hat unter den Industrieländern weltweit pro Kopf die höchsten | |
Klimaemissionen. Es generiert rund 70 Prozent des Stroms mit Kohle. | |
Außerdem ist Down Under der weltgrößte Kohleexporteur. Mit diesen Ausfuhren | |
ist das Land für fünf Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. | |
Zum Vergleich: Deutschland hat mehr als dreimal so viele Einwohner wie | |
Australien, ist aber „nur“ für zwei Prozent der klimawirksamen Emissionen | |
verantwortlich. Australien ist zudem führend im Export von klimaschädlichem | |
Flüssigerdgas. | |
## CO2 mit Technik reduzieren | |
Australien leidet zwar unter offensichtlich von der [2][klimabedingten | |
Dürre mitverursachten Waldbränden], die Korallen im [3][Great Barrier Reef] | |
sterben wegen des Klimawandels ab. Die [4][Klimapolitik des Landes halten | |
Fachleute jedoch für schwach], das von Premier Morrison angekündigte | |
Neutralitätszieljahr 2050 ist für sie unzureichend. | |
Diese Grenze werde ohne Anstrengung erreicht, weil Australien derzeit | |
weniger Urwälder abholzt, sagt Meinshausen. Das reiche aber nicht, täte das | |
Land mehr, könnte die Klimaneutralität früher erreicht werden. Außerdem | |
seien die Emissionen aus Industrie und Bergbau gestiegen. Laut Morrison | |
will Australien künftig vor allem mit Technologie Treibhausgase reduzieren. | |
Energieminister Angus Taylor meint, Australien sei „schon heute führend in | |
Solarstrom. Ein Viertel aller Dächer haben Solarzellen.“ Wie Morrison | |
selbst scheint der Politiker eine bemerkenswerte ideologische Wende | |
durchgemacht zu haben. Jahrelang galt Taylor als vehementer Gegner | |
erneuerbarer Energien, der die Windkraft als die „neue Klimareligion“ | |
verhöhnte. | |
Immer noch legt Canberra dem Sektor Steine in den Weg: Ein Vorschlag für | |
den Bau einer Riesensolaranlage in Westaustralien wurde jüngst von der | |
Regierung abgelehnt. Hingegen gibt es Pläne für 50 neue Kohleminen oder die | |
Expansion bestehender Anlagen. Der Gassektor soll massiv ausgebaut werden, | |
mit Hilfe von Milliarden an Steuergeldern. | |
## CCS technisch noch nicht ausgereift | |
Kernstück der australischen Klimastrategie ist die Kohlenstoffabscheidung | |
und -speicherung ([5][CCS]). Die Endlagerung des CO2 im Boden ist | |
allerdings noch nicht technisch ausgereift. Meinshausen hält CCS auch nicht | |
für sinnvoll: „Erneuerbare sind heute schon günstiger als Strom aus neuen | |
Kohlekraftwerken“, sagt der Klimaexperte. | |
Auch eine andere, zumindest in der Theorie klimafreundliche Technologie | |
soll laut Premier Morrison eine wichtige Rolle spielen: „Grüner“ | |
Wasserstoff. Wasserstoff emittiert bei der Verbrennung nur Dampf. Wirklich | |
„grün“ ist diese Alternative zu Diesel für den Schwer- und Schiffsverkehr | |
jedoch nur, wenn der Strom dafür mit Solar- oder Windenergie hergestellt | |
wird. | |
Dem Verfahren stehen noch viele technische und finanzielle Hürden im Weg – | |
der Brennstoff ist heute viel zu teuer. Es gibt allerdings private Pläne | |
für den Bau großer Solar- und Windanlagen zum Betrieb von | |
Wasserstofffabriken. Einzelne australische Bundesstaaten haben die Chancen | |
der Technologie erkannt und unterstützen Investoren mit großzügigen | |
Subventionen. | |
Morrison, der bis vor wenigen Tagen gar nicht nach Glasgow reisen wollte, | |
musste sich beim Klimaziel gegen die Klimaskeptiker in seiner eigenen | |
konservativen Regierungskoalition durchsetzen, die die Interessen der | |
Kohleindustrie vertreten. Bis vor Kurzem zählte auch der Regierungschef | |
selbst noch zu den Klimazweiflern. Als Schatzkanzler hatte er einst einen | |
Klumpen Kohle ins Parlament gebracht, um [6][dem Volk] zu zeigen, dass es | |
vor dem fossilen Brennstoff „keine Angst haben“ müsse. | |
## Spenden für die Parteien | |
Die Kohleindustrie unterstützt die beiden Regierungsparteien und auch die | |
oppositionelle Labor Party mit Spenden in Höhe von jährlich | |
Hunderttausenden Euro. Viele Mitarbeiter von Ministern waren Funktionäre | |
der Rohstoffbranche. Im Gegenzug arbeiten Expolitiker gerne als hoch | |
bezahlte Lobbyisten für den Kohlesektor. | |
Als vor Monaten die USA, Großbritannien und die EU forderten, Australien | |
müsse endlich seinen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten, sah sich | |
Canberra zum Handeln gezwungen. Die Befürchtung, dass australische Güter | |
von der EU wegen ihres hohen „CO2-Fußabdrucks“ mit signifikanten | |
Einfuhrzöllen belastet werden, war offenbar ausschlaggebend für Morrison, | |
das Ziel zu setzen. Einzelheiten nannte er keine: die Regierung wies jede | |
Forderung nach Berechnungen und Prognosen zurück. | |
Ein Kritiker meinte am Donnerstag, Australien werde in Glasgow versuchen, | |
„das Klimaproblem auf dem Rücken der Weltgemeinschaft lösen zu lassen“. | |
Laut Meinshausen hätte Australien dank seines Reichtums an Sonne durchaus | |
Potenzial, zu einer nachhaltigen „Superpower“ zu werden. Deutschland hat | |
wohl deswegen mit Canberra ein Abkommen über die Entwicklung von „grünem“ | |
Wasserstoff abgeschlossen. | |
Doch Kritiker warnen: Australien spreche zwar von „sauberem Wasserstoff“, | |
wolle ihn bei genauem Hinsehen aber auch mit Strom aus Erdgas herstellen – | |
oder sogar aus Braunkohle. Angesichts solch rhetorischer Kunstgriffe müsse | |
die Welt „Australien genau auf die Finger schauen“, sagt auch Meinshausen. | |
Der Ruf des Landes, ein verlässlicher Vertragspartner zu sein, hat ohnehin | |
gelitten. Das sehe man bei den internationalen Klimaverhandlungen, aber | |
auch bei der jüngsten Volte Morrisons, einen U-Boot-Liefervertrag mit | |
Frankreich zu stornieren. Der Premier hatte den französischen Präsidenten | |
Emmanuel Macron per SMS über den Entscheid informiert – und damit eine | |
Vertrauenskrise zwischen Europa und Australien ausgelöst, die bis heute | |
anhält. | |
31 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Urs Wälterlin | |
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