# taz.de -- Warnstreik der Berliner LehrerInnen: Der Druck ist bitter nötig | |
> Die Forderung der Gewerkschaft nach kleineren Schulklassen ist angesichts | |
> des Lehrkräftemangels Wunschdenken. Dennoch ist die Forderung richtig. | |
Bild: Muss immer mal wieder sein: Streiken für bessere Arbeitsbedingungen, hie… | |
Manche Sachen sind nur so lange aussichtslos, bis jemand für sie streitet. | |
[1][Kleinere Schulklassen], zum Beispiel: In Berlin sind dafür am Mittwoch | |
rund 500 Lehrkräfte an 28 Schulen einen Tag lang auf die Straße gegangen. | |
Die Gewerkschaft GEW, die den Warnstreik organisiert hatte, bat die | |
vielfach noch Homeschooling-gebeutelten Eltern um Solidarität, denn: „Auch | |
Ihre Kinder werden von kleineren Klassen profitieren.“ | |
Das ist so wahr und richtig, wie die Umsetzung der GEW-Forderung mindestens | |
schwierig (aber eben doch nicht ganz aussichtslos) ist: Die Gewerkschaft | |
will künftig über einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz mitreden, wie viele | |
SchülerInnen eine Lehrkraft maximal betreuen darf. Bisher gibt es im | |
Schulgesetz nur unverbindliche Richtlinien zu Klassengrößen. | |
Personalschlüssel sind Sache des Arbeitgebers, in dem Fall also der | |
Senatsbildungsverwaltung als oberste Dienstherrin der Berliner Schulen – | |
keine Angelegenheit also, die das Tarifrecht regeln kann. | |
Oder doch? In Berlin machen es gerade die Pflegekräfte an den landeseigenen | |
Krankenhäusern Vivantes und Charité vor: Sie sind dabei, sich einen | |
[2][Tarifvertrag Entlastung zu erstreiten.] Für Schichten, die in | |
Unterbesetzung gearbeitet werden, soll es künftig freie Tage geben, sprich | |
„Freizeitausgleich“. | |
Die Klinikleitungen müssten dafür natürlich definieren, was Unterbesetzung | |
heißt – und wären durch die Sanktionsmöglichkeit „Freizeitausgleich“ | |
gezwungen, ihre selbst gesetzten Mindest-Personalvorgaben wirklich | |
einzuhalten. Gelingt das an den Krankenhäusern, wäre es ein elegantes | |
Beispiel dafür, wie mittelbar über das Tarifrecht doch Einfluss genommen | |
werden kann auf die eigentlich dem Arbeitgeber obliegende Personalfrage. | |
## Die Pflegekräfte machen es vor | |
Die Lehrkräfte könnten es ähnlich machen: Sind die Klassen zu voll, gibt es | |
– nur mal als Beispiel – ein Freistundenkontingent für die Lehrkraft. Doch | |
dafür braucht es Druck von der Straße, denn von alleine wird sich | |
Noch-Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), der für Berlin die | |
Tarifverhandlungen in der Tarifgemeinschaft der Länder führt, kaum bewegen. | |
Zumal es ja stimmt, was KritikerInnen einwenden: Umsetzen ließe sich so | |
etwas in der Praxis ohnehin erstmal nicht. Es gibt schlicht zu wenige | |
LehrerInnen in Berlin. Schon jetzt ist [3][der Lehrermangel dramatisch], | |
mehr als 400 Stellen sind derzeit nach einer durchaus soliden Schätzung der | |
GEW nicht besetzt. Wie will man da die Klassen verkleinern – was nur noch | |
mehr Lehrkräfte kosten würde? | |
Anders gesagt: Wenn man die jetzigen Größen einigermaßen hält, kann man | |
schon froh sein. Oder, auch das ist wahrscheinlich: Es werden in Zukunft | |
noch deutlich mehr nicht-vollausgebildete Lehrkräfte unterrichten. Schon | |
jetzt sind nach GEW-Angaben rund 1.300 Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung | |
im Einsatz: Sie unterrichten, tauchen aber in der Personalstatistik der | |
Bildungsverwaltung nicht auf. | |
## Die Verbeamtung wird wenig Abhilfe schaffen | |
Die gerne [4][heiß diskutierte Verbeamtungsfrage], die [5][eine künftige | |
Koalition] beschäftigen dürfte, wird, ganz kühl betrachtet, auch nicht viel | |
lösen: Angesichts der vakanten Stellen und des noch steigenden Bedarfs in | |
den kommenden Jahren, weil die Verrentungsquote steigt, sind selbst ein | |
paar hundert Lehrkräfte nicht der Gamechanger. Zumal in keinem anderen | |
Bundesland die Verbeamtung bisher den Lehrkräftemangel in irgendeiner Weise | |
gelöst hätte. | |
Besser wird's erst, wenn mehr AbsolventInnen die Unis verlassen. Die | |
Ausbildungskapazitäten wurden in den vergangenen Jahren zwar hochgefahren, | |
aber noch macht sich das nicht bemerkbar, denn so ein Studium dauert. Und | |
dann muss sich der Nachwuchs tatsächlich noch dafür entscheiden, in Berlin | |
zu bleiben. Wichtiger als die Verbeamtungsfrage dürften für viele die | |
Arbeitsbedingungen sein. Kleine Klassen sind da schon mal ein Argument. | |
Gut, dass jetzt Druck gemacht wird. | |
9 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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