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# taz.de -- Wahlergebnis der Grünen: In der Realität gelandet
> Die Grünen haben das Kanzleramt angestrebt – und bleiben weit hinter
> ihren Zielen zurück. In der Partei ist die Gefühlslage ambivalent.
Bild: „Wir wollten mehr, das haben wir nicht erreicht“, sagte Baerbock am W…
Berlin taz Als Annalena Baerbock [1][Mitte April in der Malzfabrik], einem
Industriedenkmal in Berlin-Schöneberg, die Bühne betrat, schien alles
möglich. „Ich möchte heute hier mit meiner Kandidatur ein Angebot machen
für die gesamte Gesellschaft“, sagte die frisch gekürte Kanzlerkandidatin
der Grünen.
Ein kurzer Hype begann. Baerbock lächelte von den Magazincovern, die Grünen
schossen in den Umfragen nach oben und überholten sogar die Union. Eine
grüne Kanzlerin, sie schien denkbar.
Verglichen mit diesen paar Traumwochen sind die Grünen am Wahlabend recht
unsanft in der Realität gelandet. [2][Rund 14 Prozent], das ist deutlich
weniger, als sie sich erhofft hatten. Um 18.47 Uhr betreten Baerbock und
ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck auf der Wahlparty in der Kreuzberger
Columbia-Halle die Bühne. Alle sind da, die Rang und Namen in der Partei
haben. Cem Özdemir, Renate Künast, die Hamburgerin Katharina Fegebank.
„Wir wollten mehr, das haben wir nicht erreicht“, sagt Baerbock nach dem
obligatorischen Dank. Sie räumt Fehler zu Beginn des Wahlkampfes in der
Kampagne ein – und auch eigene Fehler. „Dieses Mal hat es noch nicht
gereicht, aber wir haben einen Auftrag für die Zukunft.“ Wirklich glücklich
klingt das nicht.
Habeck zieht sein Mikro aus der Tasche – und dankt seiner Parteifreundin
überschwänglich. Baerbock sei „eine Kämpferin“ und habe „ein Löwenher…
sei eine Speerspitzen-Aufgabe gewesen, die erste Kanzlerkandidatin in der
grünen Geschichte zu sein – mit vielen emotionalen Aufs und Abs. „Du hast
es gestanden.“ In den nächsten Wochen gehe es nun darum, endet Habeck, die
Wirklichkeit zu verändern. Die Grünen, heißt das, wollen regieren.
## Ambivalente Gefühle
Zuvor gab es in der Halle einen seltsamen Moment, nämlich als die Balken
mit den ersten Prognosen auf dem Bildschirm erschienen. Plötzlich jubelten
dutzende Grüne um Renate Künast herum los und lagen sich in Armen. Sie
beklatschten das Grünen-Ergebnis der Berliner Abgeordnetenhauswahl. In
ersten Prognosen lagen sie hier ganz vorne, dabei könnte es auch nach der
Auszählung aller Stimmen bleiben. Die Partei, die die Kanzlerin stellen
wollte, freute sich als allererstes über das Ergebnis in einem Stadtstaat –
das passte zu dem ambivalenten Gefühl der Grünen.
Rund 14 Prozent der Wählerstimmen im Bund, das ist im Vergleich mit dem
8,9-Prozent-Ergebnis von 2017 zwar ein deutlicher Zugewinn. Aber damals war
die Debattenlage eine andere: Die Klimakrise schien ferner als heute, es
gab noch keine so brutalen Dürresommer, keine Flutkatastrophe mitten im
Wahlkampf und auch noch keine globale Jugendbewegung Fridays for Future,
die engagierten Klimaschutz fordert. Auch hatten die Grünen damals nicht
drei erfolgreiche Jahre hinter sich, in denen sie in Umfragen stabil bei 20
Prozent lagen.
Der Verweis auf 2017 taugt deshalb nicht wirklich, höchstens als
Entschuldigung. Gemessen an dem, was möglich war, an dem, was die Partei
als eigenen Anspruch ausgegeben hatte – das Land zu führen –, und gemessen
daran, was durch die Klimakrise auf dem Spiel steht, ist das Ergebnis nur
so mittel okay.
Ein Grund für das mäßige Abschneiden war sicher, dass viele Menschen der
40-jährigen Baerbock, die keine Erfahrung als Ministerin oder
Ministerpräsidentin hat, das Kanzleramt am Ende nicht zutrauten. Die
Kandidatin schnitt bei der Kanzlerfrage deutlich schlechter ab als Olaf
Scholz, ihre Fehler bei den Nebeneinkünften, beim Lebenslauf und beim Buch
trugen dazu bei.
## Nicht nur Baerbock
Aber es wäre unterkomplex, Baerbock allein die Verantwortung für das
Ergebnis zuzuschieben. Die Grünen als Ganzes wirkten in einem Wahlkampf,
der von der Konkurrenz und manchen Medien brutal gegen sie geführt wurde,
manchmal überfordert, manchmal argumentierten sie mit Spiegelstrichen aus
der Trotzecke heraus, fielen also in eine Haltung zurück, die sie
eigentlich ablegen wollten. Ein Beispiel war die Woche im Juni, in der sie
die Veröffentlichung der ersten Plagiate in Baerbocks Buch mit
„Rufmord!“-Gebrüll konterten – was [3][kurze Zeit später nur noch
lächerlich wirkte].
Eigentlich war der Grünen-Wahlkampf der Versuch einer freundlichen
Einladung an die ganze Gesellschaft. Baerbock und ihr Co-Chef Robert Habeck
nutzten eine versöhnliche Sprache, bezeichneten Klimaschutz als Garanten
für Jobs und Wohlstand, und sie versuchten, den nötigen Wandel mit einem
Sicherheitsversprechen zu kombinieren. Nicht ohne Grund lautet der Titel
des Grünen-Grundsatzprogramms: „Veränderung schafft Halt.“ In ihrem jetzt
schon legendären Wahlwerbespot („Ein schöner Land“) zeichneten sie in
warmen Farben das Bild eines heimeligen Deutschlands.
Doch selbst die behutsam vorgetragene Veränderungsbotschaft war offenbar zu
viel für viele von Corona erschöpfte Deutsche. Rund 14 Prozent, das ist,
als habe die Gesellschaft müde abgewinkt. An dieser Erkenntnis werden die
Grünen noch lange knabbern.
## Habeck gewinnt
Im Binnenverhältnis der beiden starken Figuren verschieben sich durch das
Ergebnis die Gewichte. Baerbock hat als Kandidatin nicht das geliefert, was
sich viele erhofft haben. Habeck, der selbst gerne Kanzlerkandidat geworden
wäre, sich aber loyal verhielt, wird wichtiger.
Größere, öffentlich ausgetragene Friktionen sind allerdings nicht zu
erwarten. Die Grünen-Spitze weiß, dass sie in den anstehenden Sondierungen
geschlossen auftreten muss. „Annalena und Robert müssen das gemeinsam
wuppen“, hieß es vor der Wahl in der Fraktion. Beide seien zur
Gemeinsamkeit verdammt, um den Erfolg nicht zu gefährden.
Und nun? Ziehen die Grünen das durch, was sie sich vorgenommen haben.
Baerbock und Habeck wollen unbedingt mitregieren. Kompromissfähig sein,
neue Bündnisse eingehen, staatstragend ans große Ganze denken, all das
haben sie den Grünen als Vorsitzende eingebimst. Es ist wahrscheinlich,
dass eine Regierungsbeteiligung gelingt. Die Grünen wären laut ersten
Hochrechnungen bei zwei Optionen im Spiel, in einer Jamaika-Koalition oder
einem Ampelbündnis.
Oberste Priorität hat für sie die Einhaltung des 1,5-Grad-Zieles von Paris.
Die Grünen werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben können, durch den
das nicht glaubhaft möglich erscheint. In der Sozialpolitik hatte Baerbock
in einem taz-Interview als erste Priorität einen Mindestlohn von 12 Euro
genannt. Außerdem kündigte sie an, sich für eine Kindergrundsicherung
einzusetzen, um Kinder aus der Armut zu holen. Beide Ideen wären mit der
SPD leichter umzusetzen als mit der CDU.
Entscheidend aber ist: Die Grünen werden sich wahrscheinlich mit der FDP
arrangieren müssen. Für eine neue Regierung müssen Schnittmengen mit den
Liberalen gesucht und gefunden werden, was nicht ganz einfach, aber machbar
ist. Habeck organisierte 2017 erfolgreich eine Jamaika-Koalition in
Schleswig-Holstein. Und in der Opposition ist das Vertrauen zwischen beiden
Parteien gewachsen, auch weil man bei Themen wie der Wahlrechtsreform
erfolgreich zusammenarbeitete. Annalena Baerbock, die Kanzlerin werden
wollte, hat gute Chancen, Ministerin zu werden.
26 Sep 2021
## LINKS
[1] /Baerbock-wird-Kanzlerkandidatin/!5762149
[2] /Die-Bundestagswahl-in-Grafiken/!5803517
[3] /Plagiatsvorwuerfe-gegen-Baerbock/!5780337
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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