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# taz.de -- Berlinwahl lokal: Was macht eigentlich Müller?
> Nicht nur neue Vor- und Nachnamen: In vielen Bezirken und Wahlkreisen
> sind Veränderungen möglich oder stehen spannende Duelle an.
Bild: Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will in den Bundestag
Am Ende könnte der Weg zur SPD-Kandidatur im Wahlkreis
Charlottenburg-Wilmersdorf schwieriger gewesen sein als der Sieg am Wahltag
selbst: Michael Müller liegt bei einer Prognose der Plattform election.de
klar vor seiner Konkurrenz von CDU und Grünen, Klaus-Dieter Gröhler und
Lisa Paus. Demzufolge gewinnt er den Wahlkreis am Sonntag mit
93-prozentiger Wahrscheinlichkeit.
2017 hatte hier Gröhler mit fünf Prozentpunkten Vorsprung vor der SPD
gesiegt, Paus kam nur auf 14,7 Prozent. Doch Gröhler hat inzwischen weniger
Rückhalt in seiner eigenen Partei, der Bundestrend spricht zudem klar für
den SPD-Bewerber, und nicht zuletzt ist dieser aktuell als Regierender
Bürgermeister der beliebteste Politiker der Stadt.
Da war der Weg zur Nominierung durch den Kreisverband der SPD
Charlottenburg-Wilmersdorf härter. Müller wollte eigentlich in seinem
Wohnbezirk Tempelhof-Schöneberg kandidieren. Doch dort überließ er, um eine
offene Konfrontation zu vermeiden, dem jungen stellvertretenden
SPD-Bundesvorsitzenden [1][Kevin Kühnert] das Feld. Stattdessen bewarb er
sich bei seinen Parteifreunden im benachbarten SPD-Kreisverband, den lange
sein enger Vertrauter und Senatskanzleichef Christian Gaebler führte.
Doch dort traf er überraschend auf Konkurrenz aus eben dieser
Senatskanzlei: [2][Sawsan Chebli,] von Müller 2016 zur Staatssekretärin für
bürgerschaftliches Engagement gemacht, wollte auch in den Bundestag. Die
örtliche SPD setzte deshalb im vergangenen Oktober eine Mitgliederbefragung
im Bezirk an. Dabei kam Müller auf 58,4 Prozent der Stimmen, Chebli auf
40,2 Prozent.
Zu seiner Zukunft im Bundestag sagte Müller jüngst eher zurückhaltend, er
wolle erst sehen, wo dort sein Platz ist und wie er sich einbringen kann.
Früher hatte er allerdings durchblicken lassen, dass er nichts gegen einen
Kabinettsposten als Bau- oder Wissenschaftsminister hätte – beide Ressorts
leitete er schon im Senat. Diese Aussage kam zu Zeiten, als die SPD
gefühlte Lichtjahre von eben jenem Kabinettstisch entfernt war. Mit dem
mutmaßlichen Wahlsieg sieht das deutlich realistischer aus.
## Der Ströbele-Wahlkreis
Vor vier Jahren traten [3][Canan Bayram (Grüne), Pascal Meiser (Linke) und
Cansel Kiziltepe (SPD)] schon einmal gegeneinander an im
Bundestagswahlkreis 83, der Friedrichshain, Kreuzberg und einen Teil von
Prenzlauer Berg umfasst. Ergebnis damals: ein knapper Sieg für die grüne
Bayram, der es damit gelang, den erstmals 2002 vom ebenfalls grünen
Christian Ströbele eroberten Wahlkreis zu verteidigen. Bei den Zweitstimmen
siegte die Linkspartei jedoch deutlich.
Nun gibt es eine Neuauflage dieses Triells der drei Anhänger*innen von
Rot-Rot-Grün im Bund. Wahrscheinlich wird Kiziltepe bei dessen Ausgang
wenig mitzureden haben – es sei denn, sie profitiert überproportional vom
aktuellen Scholz-Hype. Ob Bayram oder Meiser am Ende vorne liegen, ist
schwerer vorherzusagen.
Anders als vor vier Jahren ist die 55-jährige Bayram längst keine
Unbekannte mehr; sie hat sich in vielen rechtspolitischen Fragen bundesweit
einen Namen gemacht. Im Wahlkreis fiel sie durch die Unterstützung der
linken Szene vor allem in Friedrichshain auf. Aber auch Meiser (46) hat
sich etabliert, was sich etwa darin ausdrückt, dass er sich beim Kampf um
Platz 2 auf der Linken-Landesliste für den Bundestag gegen den langjährigen
Berliner Fraktionschef Udo Wolf durchsetzte. Meiser dürfte damit sicher im
Bundestag sein, ebenso wie die ebenfalls über die Liste abgesicherte
Kiziltepe. Für Bayram gilt das nicht: Sie muss das Mandat direkt gewinnen –
und versucht daraus, ein Argument für ihre Wahl zu machen.
## Kampf um Pankow
Direkt neben dem Bundestagswahlkreis 83 liegt in Pankow eine weitere linke
Hochburg – wobei man nicht genau weiß, ob sich links nur auf die
gleichnamige Partei bezieht. Zuletzt hatte Stefan Liebich den Wahlkreis
deutlich mit fast 30 Prozent der Erststimmen gewonnen, doch er zieht sich
aus dem Bundestag zurück. Seine Nachfolge will Udo Wolf antreten, bis 2020
Fraktionschef der Linken im Abgeordnetenhaus.
Doch Wolf sollte sich des Siegs nicht zu sicher sein. Denn mit dem
Wohnungspolitiker [4][Klaus Mindrup] (SPD) und dem grünen Verkehrsexperten
Stefan Gelbhaar hat er zwei ernst zu nehmende Konkurrenten, die mit
bürger*innennaher Politik punkten wollen. Dazukommt die CDU, die mit
Manuela Anders-Granitzki eine eher unbekannten Kandidatin aufgestellt hat,
aber 2017 fast 20 Prozent Erst- wie Zweitsteimmen holte.
Sollte Wolf gewinnen, dürfte das bei seiner Partei für besondere Euphorie
sorgen: Zuletzt war deren bundesweiter Abwärtstrend in Umfragen so
dramatisch, dass manche mutmaßten, die Linke könnte gar an der
Fünfprozenthürde scheitern. Um das zu umgehen, reichen drei direkt
gewonnene Wahlkreise.
## Alles Herrmann oder was?
Es gibt keine Bezirksbürgermeisterin, die bundesweit so präsent ist wie
Monika Herrmann, die grüne Chefin von Friedrichshain-Kreuzberg. Das liegt
daran, dass einige Themen aus dem Ost-West-Bezirk für Furore oder Ärger
gesorgt haben: sei es das Camp von Geflüchteten auf dem Oranienplatz, oder
jüngst die Pop-up-Radwege in der Pandemie.
Monika Herrmann kandidiert nun für das Berliner Abgeordnetenhaus und will
sich dort unter anderem um Verkehrspolitik kümmern. Ihre [5][Nachfolgerin
als Bürgermeisterin soll Clara Herrmann werden]. Die 36-Jährige hat sich
bislang als Stadträtin um Finanzen, Umwelt, Kultur und Weiterbildung
gekümmert und ist nicht verwandt oder verschwägert mit ihrer
Namensvetterin.
Gleichwohl könnte die Namensgleichheit ein Vorteil sein und den
Wähler*innen Orientierung geben, die ja ein umfassendes Paket an
Wahlzetteln für Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksparlament ausfüllen
müssen. Da kann ein bekannter Name – und das ist Herrmann in
Friedrichshain-Kreuzberg auf jeden Fall – helfen. Und wie erzählte Canan
Bayram, grüne Direktkandidatin für den Bundestag in dem Bezirk: „Manchmal
fragen mich die Leute, ob Ströbele nicht mehr im Bundestag ist.“ Dabei hat
der sich bereits 2017 aus der Politik zurückgezogen.
## Showdown in Ma-He
Während Petra Pau von der Linkspartei 2017 souverän für Marzahn-Hellersdorf
per Erststimme in den Bundestag einzog, sah es bei der Abgeordnetenhauswahl
2016 anders aus: Im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf 1 bekam Gunnar Lindemann
von der AfD mit 30,6 Prozent ein [6][Direktmandat].
In der letzten Legislatur vertrat er die Interessen von Marzahn-Hellersdorf
etwa auf Auslandsreisen wahlweise bei einem russisch-nationalistischen
Motorradklub (den „Nachtwölfen“), auf der Krim oder auf Einladung des
Assad-Regimes in Syrien. Vom Antifaschistischen Pressearchiv und
Bildungszentrum Apabiz wird er zum [7][völkischen Parteiflügel der AfD]
gezählt, der im Osten der Stadt ohnehin stark ist.
Nach einem [8][Konflikt mit der Grünen June Tomiak] auf Twitter musste
Lindemann eine saftige Abmahnung zahlen, weil er fälschlich verbreitet
hatte, sie hätte auf einer Demo Steine geworfen. Jetzt tritt Tomiak gegen
ihn in der AfD-Hochburg an: „Um Paroli zu bieten gegen Lindemann und gegen
die AfD insgesamt“, wie sie sagt. Zu gewinnen gibt es für die Grünen in
diesem Außenbezirk allerdings wohl nichts – in dem Wahlkreis holten sie bei
der vergangenen Berlinwahl nur 4,1 Prozent.
## Heimat im Wedding
Wer zwischen Gesundbrunnen und Soldiner Kiez durch den Wedding spaziert,
der begegnet Fortschritt: Tuba Bozkurt, Cem Erkisi und Melis Yeter lauten
die Namen auf den Wahlplakaten. Hier im Wahlkreis 6 in Mitte treten bei der
Abgeordnetenhauswahl gleich drei Menschen mit Eltern aus der Türkei an.
Wer sich aber über den Wahlkreis informiert, versteht, dass er zugleich für
einen nicht so progressiven Umstand steht: [9][Um die 44 Prozent der
Erwachsenen] hier dürfen gar nicht wählen, denn sie haben keinen deutschen
Pass. Von den Wahlberechtigten hat 2016 nur etwa die Hälfte gewählt.
Damals erhielt der Sozialdemokrat Ralf Wieland, in dessen Fußstapfen Melis
Yeter treten möchte, 25 Prozent der Erststimmen. Die Grünen landeten mit
24,5 Prozent dahinter, die CDU bekam 10,4, die Linke 19,1 Prozent.
Für die Linke tritt hier übrigens Stefan Böhme an. Der wird es nicht leicht
haben in dem sehr türkischsprachigen Wahlkreis gegen drei türkeistämmige
Kandidat:innen – die auch dafür stehen, dass sich die türkeistämmige
Bevölkerung längst auch mit Bezug auf deutsche Parteipolitik
ausdifferenziert hat.
Im 60. Jahr des Anwerbeabkommens mit der Türkei konkurrieren hier also
verschiedene postmigrantische Erzählungen. Grünen-Kandidatin Bozkurt
beantwortet Fragen nach Identität und Ungleichheit ganz anders als
CDU-Kandidat Erkisi: Während der eine [10][den Haken am s in seinem
Nachnamen Erkişi] der Verständlichkeit halber lieber weglässt und in
Deutschland und der CDU seine Heimat unwidersprochen gefunden zu haben
glaubt, kritisiert die andere weniger harmonisch immer noch gegenwärtige
rassistische Zustände und Bildungsungerechtigkeit.
25 Sep 2021
## LINKS
[1] /Kevin-Kuehnert-kandidiert-fuer-Bundestag/!5700090
[2] /Duell-Sawsan-Chebli-gegen-Michael-Mueller/!5721965
[3] /Umkaempfter-linker-Wahlkreis-in-Berlin/!5800220
[4] /SPD-Liste-fuer-den-Bundestag/!5761015
[5] /Gruene-Hochburg-Friedrichshain-Kreuzberg/!5746672
[6] /AfD-in-Berlin-Marzahn/!5347875
[7] /Mutmasslicher-AfDler-auf-Nazi-Demo/!5758238
[8] /Fuenf-Jahre-AfD-im-Abgeordnetenhaus/!5797759
[9] /Hunderttausende-duerfen-nicht-waehlen/!5797714
[10] https://plus.tagesspiegel.de/gesellschaft/was-ein-tuerke-tritt-bei-den-wah…
## AUTOREN
Bert Schulz
Gareth Joswig
Volkan Ağar
Stefan Alberti
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