# taz.de -- Umgang mit der AfD im Wahlkampf: Zwei Pole in der CDU | |
> Marco Wanderwitz und Hans-Georg Maaßen sind beide CDU-Mitglied und | |
> kandidieren für den Bundestag. Was sie trennt: ihr Umgang mit der AfD. | |
Bild: Marco Wanderwitz vor einem Plakat, mit dem die sächsische CDU sich mit d… | |
Irgendwann reicht es Marco Wanderwitz. „Sie müssen mich ja nicht wählen“, | |
sagt er zu der älteren Frau, die an seinen Wahlkampfstand gekommen ist, um | |
sich zu beschweren. Er stelle 25 Prozent der Bevölkerung in die rechte | |
Ecke, sagt sie empört. „Die stellen sich selbst in die rechte Ecke“, | |
antwortet er. Sie fordert, er müsse kompromissbereit sein. „Nicht mit | |
Rechtsradikalen“, sagt er. Sie wirft ihm vor, er habe ein schwieriges | |
Demokratieverständnis. Er entgegnet, das hätten doch wohl eher die anderen. | |
So geht das hin und her, fast zehn Minuten lang. Aber die Frau will nicht | |
gehen. | |
Wanderwitz, 45, ist Christdemokrat, parlamentarischer Staatssekretär im | |
Wirtschaftsministerium und Ostbeauftragter der Bundesregierung. Er hat | |
seinen Wahlkampfstand am Rand des Wochenmarktes in Hohenstein-Ernstthal | |
aufgebaut, ein Städtchen mit alter Innenstadt im Westen von Chemnitz. | |
Wanderwitz lebt hier, bei der Bundestagswahl am Wochenende will der Sachse | |
den Wahlkreis zum sechsten Mal direkt gewinnen. Auf dem mit orangefarbenem | |
Stoff überzogenen Stehtisch liegen neben Flyern auch Kugelschreiber, | |
Grillzangen, Brausewürfel und andere Give Aways. Besonders die hölzernen | |
Grillzangen, auf denen Wanderwitz’ Name steht, gehen gut weg. Die Frau, die | |
auf Wanderwitz einredet, will keine. | |
Seit 2002 sitzt Wanderwitz im Bundestag, 2013 hat er seinen Wahlkreis mit | |
49,6 Prozent der Erststimmen geholt, sein bestes Ergebnis. Vier Jahre | |
später waren es nur noch 35,1 Prozent. Jetzt könnte er den Wahlkreis an die | |
AfD verlieren. Sein Kontrahent von der extrem rechten Partei steht nur | |
wenige Meter hinter Wanderwitz an seinem eigenen Wahlkampfstand. „Kein | |
Politikgelaber“ steht auf dem Plakat, das darüber hängt. | |
Wanderwitz hat beobachtet, wie die AfD in Sachsen immer stärker und | |
gleichzeitig immer radikaler wurde. Da ist er in „den Kampfanzug | |
gestiegen“, wie er es selber nennt. Statt auf Zuhören und Verständnis setzt | |
er auf Konfrontation mit den Anhänger:innen der AfD. „Ich habe mich | |
entschieden, den betreffenden Leuten deutlich den Spiegel vorzuhalten.“ In | |
einem Podcast der FAZ vor einem halben Jahr sorgte er damit auch jenseits | |
von Sachsen für Furore. Die Ostdeutschen seien teilweise so | |
„diktatursozialisiert“, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der | |
Demokratie angekommen seien, sagte Wanderwitz. Ein Teil der Bevölkerung | |
habe „gefestigte nichtdemokratische Ansichten“, der größte Teil der | |
AfD-Wähler:innen sei die für die Demokratie verloren. | |
## Grillzangen am Wahlkampfstand | |
Das gefiel nicht allen in der eigenen Partei. Manche meinen, Wanderwitz | |
habe dieser damit geschadet. „Wenn die CDU hier ein schlechtes Ergebnis | |
macht, dann geht das auf Ihre Kappe“, wird am Abend bei Wahlveranstaltung | |
in Dresden eine Frau zu Wanderwitz sagen, der auf Platz 1 der sächsischen | |
Landesliste steht. | |
Wanderwitz ist einer der Pole der Ost-CDU im Umgang mit der AfD und ihren | |
Anhänger:innen. Der andere ist ein Westimport und tritt knapp 200 Kilometer | |
weiter westlich an: Hans-Georg Maaßen, 58, Ex-Chef des Bundesamtes für | |
Verfassungsschutz. Er will den Wahlkreis 196 in Südthüringen gewinnen – | |
und umwirbt dafür die AfD-Anhänger:innen. Die Kämpfe um die beiden | |
Wahlkreise sind also auch eine Art Fernduell um die Frage, wie die CDU in | |
Ostdeutschland gegen die AfD Wahlen gewinnen kann. | |
Die ältere Frau hat Wanderwitz’ Stand verlassen, der CDU-Mann sich | |
orangefarbene Taschen und einige der Grillzangen geschnappt. „Darf ich | |
Ihnen was mitgeben“, fragt er zwei Frauen, die vorbeigehen, und reicht zur | |
Tasche eine Zange gleich mit: „Die kann man immer gebrauchen.“ Die Frauen | |
greifen zu, die eine sagt: „Ich hab euch schon gewählt“, dann ziehen sie | |
weiter. Eine Frau nickt Wanderwitz anerkennend zu und sagt: „Strengt euch | |
an!“ Ein Mann klopft ihm auf die Schulter. | |
Doch es dauert nicht lange, da ist der nächste da, der Wanderwitz’ Weg für | |
den falschen hält. „Ich muss Ihnen mal was sagen“, setzt er an. „Von Ihn… | |
fühlen sich viele beleidigt.“ Wie Wanderwitz denn behaupten könne, hier | |
seien alle rechtsradikal. Wanderwitz, der sich ohnehin gerade hält, streckt | |
in seinem dunkelblauen Jackett den Rücken durch. „Ich habe die AfD-Wähler | |
gemeint“, sagt Wanderwitz. Und dass die Verwerfungen in Folge der Wende | |
doch kein Grund seien, eine rechtsradikale Partei zu wählen. Wanderwitz’ | |
Ton ist jetzt streng. Die Taschen und Grillzangen hat er längst zum | |
Verteilen an einen Mitarbeiter abgegeben. | |
Er sei wirklich in Sorge um das Land, sagt Wanderwitz später im Auto auf | |
dem Weg nach Dresden zum nächsten Termin. „Das kann hier auch kippen.“ | |
Schon würden Leute erwägen wegzuziehen, weil sie merken, dass die | |
Rechtsradikalen sich immer mehr ausbreiten. Dass der neue Sporttrainer der | |
Kinder in der NPD sei. Und Unternehmen würden sich wegen der Stärke der AfD | |
nicht ansiedeln. „Ich will hier auch in Zukunft noch gut leben können.“ | |
Am Abend zuvor sei er gemeinsam mit Ministerpräsident Michael Kretschmer in | |
einem Museum in Oelsnitz im Erzgebirge bei einer Diskussion zum Thema | |
Kulturhauptstadt gewesen, erzählt Wanderwitz. Vor der Tür hätten die | |
„Freien Sachsen“, eine rechtsextreme Sammlungsbewegung, gestanden und sie | |
aggressiv angebrüllt. Insgesamt mehr als hundert Leute. Er hat davon ein | |
Foto gepostet. „Vor der Tür blanker Hass“, steht dabei. Und ein Dank an die | |
Polizisten, die ihn und Kretschmer schützten. | |
An dem Abend, als Wanderwitz in Chemnitz von Rechtsextremen angeschrien | |
wird, sitzt Hans-Georg Maaßen auf einer großen Bühne im CongressCenter in | |
Suhl, die Regionalzeitungen haben die sechs Direktkandidat:innen vor | |
Ort zu einer Wahlarena geladen. Unter den Reportern vom Freien Wort heißt | |
es, man habe Sorge, dass es vor der Tür Proteste gebe. Von der Antifa. | |
Wegen des Kandidaten von der AfD, aber auch wegen Maaßen. | |
## Maaßen ist überraschend zur Kandidatur gekommen | |
Maaßen ist recht überraschend zu der Kandidatur in Südthüringen gekommen, | |
der alte Bundestagsabgeordnete vor Ort musste im März wegen eines | |
Maskenskandals zurücktreten. Maaßen war als Verfassungsschutzchef | |
rausgeflogen, weil er in einem Bild-Interview behauptet hatte, bei einer | |
Demonstration in Chemnitz im August 2018 habe es keine Hetzjagd auf | |
Migranten gegeben. Belege blieb er schuldig. Er war damit der Kanzlerin | |
öffentlich in den Rücken gefallen. Seitdem macht Maaßen keinen Hehl mehr | |
aus seiner Opposition zu Angela Merkel. | |
In Suhl trägt Maaßen Anzug und Schlips, sein früher obligatorischer | |
Dreiteiler würde hierher nicht passen. Der Moderator will es locker angehen | |
und fragt, wie die Kandidat:innen hergekommen seien, es soll dann um | |
Mobilität gehen. „Mit dem Verbrennungsmotor“, antwortet Maaßen. Das gefä… | |
seinen Anhänger:innen im Publikum. | |
Immer wieder sagt Maaßen an diesem Abend Sätze, die auch von dem | |
AfD-Kandidaten neben ihm stammen könnten. „Ich bin der Meinung, dass ein | |
Volk mit 82 Millionen Einwohnern die Fachkräfte, die wir brauchen, selbst | |
hervorbringen kann“, ist so ein Satz. Dass man auf E-Mobilität umsteigen | |
könne, wenn man in Berlin-Prenzlauer Berg oder auf der Elbchaussee in | |
Hamburg wohne, ist ein anderer. Oder dass die 100 Millionen Euro, die | |
Außenminister Heiko Maas den Taliban zur Verfügung stelle, doch besser in | |
die Absicherung der Rente stecken solle. Maaßen, das ist schnell klar, will | |
auch AfD-Wähler:innen zu sich holen. | |
Im Netz wird Maaßen regelmäßig noch deutlicher. „Keine neue | |
Masseneinwanderung“, postet er und setzt den öffentlich-rechtlichen | |
Rundfunk mit Propaganda gleich. Inzwischen hat der Thüringer Neonazi Tommy | |
Frenck zur Wahl Maaßens aufgerufen, die Junge Freiheit den AfD-Kandidaten | |
in einem Kommentar aufgefordert, er solle seine Kandidatur zugunsten des | |
CDU-Mannes zurückziehen, damit dieser nicht gegen Frank Ullrich verliert, | |
einen ehemaligen Biathleten und früheren Bundestrainer, der in der Region | |
einen gewissen Promistatus hat. Ullrich tritt für die SPD an. | |
Die taz hatte auch bei Maaßen angefragt, ob es möglich sei, ihn zu | |
begleiten. Dafür habe dieser keine Zeit, hieß es. Informationen zu seinen | |
Wahlkampfständen wollte sein Team nicht herausgeben. | |
## CDU-Ministerin Prien bekennt sich zu SPD-Kandidaten | |
In der CDU-Spitze ist man alles andere als begeistert von Maaßens | |
Kandidatur. Während Parteichef Armin Laschet laviert, hat sich zumindest | |
Karin Prien klar positioniert. Die schleswig-holsteinische | |
Bildungsministerin, die Mitglied in Laschets Kompetenzteam ist, empfahl | |
jüngst in einer Talkshow den SPD-Kandidaten zur Wahl. | |
Aber Maaßen bekommt auch Unterstützung. Der Polizeigewerkschaftschef Rainer | |
Wendt, selbst ein Populist, war da, der frühere CDU-Innenpolitiker Wolfgang | |
Bosbach und auch mehrere Mitglieder aus dem sogenannten Berliner Kreis, in | |
dem sich die Rechten in der CDU organisieren. Ex-Sozialdemokrat Thilo | |
Sarrazin wird am Donnerstag erwartet. Aber auch die eigentlich als liberal | |
geltende ehemalige Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht | |
ließ sich beim Wandern mit Maaßen ablichten. Obwohl sie dessen Positionen | |
oft nicht teile, sagte sie Zeit Online, sei für diesen Platz in ihrer | |
Volkspartei. Das suggeriert, Maaßen sei einfach nur etwas konservativer als | |
andere Christdemokrat:innen. Zahlreiche Extremismusexperten sind sich | |
einig, dass Maaßen längst unterwegs im Grenzbereich zur Neuen Rechten ist. | |
In der CDU gibt es viele, die auf sein Scheitern hoffen. Nicht nur, damit | |
der Mann in der neuen Unionsfraktion nicht sein Unwesen treibt. Sondern | |
auch, weil sie glauben, dass damit endlich der Beweis erbracht sei: dass | |
die CDU auch im Osten mit einer Anbiederung an die AfD nicht gewinnen – und | |
die extrem rechte Partei vor allem so nicht schwächen kann. | |
22 Sep 2021 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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