# taz.de -- Sonneborn und Latour über „Die Partei“: „Stalin hätte das a… | |
> Alles nur ein Spaß? Parteichef Martin Sonneborn und seine Beraterin | |
> Claudia Latour über den Einzug der Realpolitik in das Satireprojekt „Die | |
> Partei“. | |
Bild: Martin Sonneborn beim Interview im Maschinenraum der taz | |
taz: Fangen wir mal mit der Frage an, ohne die es dieser Tage nicht zu | |
gehen scheint: Wie halten Sie es mit [1][der Linkspartei]? | |
Martin Sonneborn (MS): Im Prinzip eine gute Partei. Ich hab mich ein paar | |
Mal mit Gregor Gysi getroffen, wir haben uns auf der Bühne unterhalten. Das | |
ist dann verschriftlicht worden. Wir haben festgestellt, dass sich unsere | |
Ansichten zu 95 Prozent decken. | |
Dann braucht es Die Partei ja gar nicht. | |
MS: Wir sind eine Partei, die junge Leute politisiert. Und viele junge | |
Leute an Politik heranführt. In Ostdeutschland existieren Orte, da gibt es | |
nach dem Ende der Jugendklubs dort oft nur noch zwei | |
Identifikationsangebote für junge Leute: Nazis und Die Partei. Und | |
andererseits – ich habe mal versucht vor dem Karl-Liebknecht-Haus … | |
… der Parteizentrale der Linken in Berlin … | |
MS: … auszuparken. Da standen drei, vier Parteimitglieder meinem Auto im | |
Weg. Ich hab dann gehupt, aber das hat keiner von denen gehört. Also das | |
ist eher eine Partei für ältere Herrschaften. | |
Claudia Latour (CL): Wenn man mit der Linken ins Gericht gehen wollte, was | |
uns ja nicht fernliegt, dann ist es schon so, dass die Linke ihren | |
Kernauftrag aufgegeben hat. Durch ihre jeweiligen neuen inhaltlichen | |
Ausrichtungen stellt sie nicht mehr systematisch stets das Gegengewicht | |
her, was ich als Dialektikerin aber fordere. | |
Werden nur verschiedene Spielarten derselben politischen Melodie angeboten, | |
ohne dass dazu ein dialektischer Gegenentwurf formuliert wird – dann nutzt | |
das der gesellschaftlichen Entwicklung nicht wirklich. Da springen wir dann | |
als Die Partei für die Linken in die Bresche und machen das, was die Linke | |
nicht mehr macht: aufzeigen, dass man eine Gesellschaft völlig anders | |
denken und organisieren kann. | |
MS: Und … Interview fertig! Oder haben Sie noch eine zweite Frage? | |
CL: Es geht ja auch darum, die politische Utopie in unserer Gesellschaft | |
wieder zu entzünden. | |
Die Linke bemüht sich, etwas in der Gesellschaft zu verändern und macht | |
Realpolitik. Und Die Partei spielt mit einer Utopie herum. Da machen Sie es | |
sich doch leicht. | |
MS: Ja! | |
CL: Nein. | |
MS: Natürlich machen wir es uns leicht. Wir haben punktuell utopische | |
Vorstellungen formuliert, aber wir haben keinen konkreten | |
Gesellschaftsentwurf. Klar, mit dem kleinen Apparat, den wir haben, mit | |
unseren vier, fünf strategischen Köpfen, müssen wir es uns leicht machen. | |
CL: Nein, ich finde, man macht es sich überhaupt nicht leicht, wenn man | |
eine Utopie formuliert. Im Gegenteil: Leicht macht es sich, wer auf | |
realpolitische Notwendigkeiten einschwenkt und eben nicht das Kreuz auf | |
sich nimmt, mit einer Utopie auf der Schulter herumzulaufen. Nach dem | |
dialektischen Prinzip ist das ja auch für die gesellschaftliche Entwicklung | |
notwendig. Es braucht ein Movens. | |
Wie geht man dann mit der Realität um? | |
CL: Man verhält sich dialektisch dazu. | |
Im Vorwort zu Ihrem gerade erschienenen Manifest sprechen Sie von Utopie | |
und von Eutopia, als dem guten Land. Ist das denn auch zu erreichen oder | |
ist das ein Bullerbü? | |
MS: Das ist eine gemeine Frage. Nach alldem, was wir in der politischen | |
Arbeit bis jetzt gesehen haben, ist es nicht zu erreichen. Es gibt wenig, | |
was sich zum Positiven entwickelt hat. Wir betrachten die Satire ja auch | |
als eine Art Notwehr. Und wir könnten jeden Tag mit den Dingen, die wir in | |
der Europäischen Union beobachten, drei, vier Texte schreiben und ins Netz | |
stellen, und es würde sich doch nichts ändern. | |
Es ist ein niederschmetterndes Bild von der Demokratie, das da von Ihnen | |
gezeichnet wird. Eine Dystopie, über die dann gewitzelt wird. | |
CL: Ja? Wir versuchen doch eher die Menschen dazu zu animieren, sich mit | |
der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Wir beschreiben doch nur, was ist. | |
Wie lautet dieses uralte Bonmot von Karl Marx? „Man muss den Verhältnissen | |
ihre ureigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen.“ In unserem | |
Manifest beschreiben wir ja wirklich nur die Verhältnisse und machen dann | |
in einer Zuspitzung vielleicht einen Witz, auch als Blitzableiter für | |
unsere eigene Wut. Zynisch ist das in jedem Fall nicht gemeint. | |
Viele jüngere Leute in der Klimabewegung gehen mit einem heiligen Ernst | |
auf die Straße. Kann man die mit einer Pointe erreichen oder müssten Sie | |
nicht viel ernster sein? | |
MS: Wir können nicht ernst. Wir kommen ja von Ihrer Printkonkurrenz, von | |
der Titanic. Das ist halt unsere Art, sich mit den Dingen | |
auseinanderzusetzen. Es würde uns, glaube ich, keinen Spaß machen, uns | |
ernsthaft mit den Dingen auseinanderzusetzen. | |
Aber moralisch ist die Partei doch? | |
MS: Das ganze hat natürlich einen ernsten Anspruch, nur unsere Methoden | |
sind fragwürdig. | |
So hat es Die Partei ins EU-Parlament geschafft. Wie geht es weiter? | |
MS: Wir haben jetzt weitaus mehr als 200 Leute in deutschen | |
Kommunalparlamenten. Auch deswegen gibt es gerade eine Diskussion in der | |
Partei, ob wir realpolitisch werden sollen oder ob es satirisch bleiben | |
soll. Interessant ist für uns die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am | |
Sonntag. Das Portal wahlkreisprognose.de hat uns hier drei Monate lang | |
gesondert ausgewiesen. | |
Normalerweise ist Die Partei bei den „Sonstigen“ einsortiert. | |
MS: Ja, die Einzelergebnisse für uns waren bei den Umfragen zur Berlin-Wahl | |
6, 4,5 und 5 Prozent. In Berlin entscheidet sich, ob es mit der Partei | |
weitergeht. Ich habe die besten Köpfe der Partei zusammengezogen: Tom | |
Hintner, einer der Gründer noch aus Titanic-Zeiten, Anna Katz, die auch zu | |
den Gründerinnen zählt. Ich stehe ebenso auf der Liste und dazu junge Leute | |
aus Berlin. | |
Wenn wir wirklich 5 Prozent kriegen, sind wir mit zehn bis zwölf Leuten im | |
Abgeordnetenhaus. Dann können wir zeigen, dass wir hier das Gleiche | |
schaffen können wie in Brüssel. Transparenz herstellen mit komischen | |
Mitteln, Politik unterhaltsam vermitteln und die Konservativen ärgern. | |
CL: Das mag schon ein Wagnis sein. Aber es gibt doch kein | |
gesellschaftliches Projekt, das nicht durch Kritik verbessert werden | |
könnte. | |
MS: Stalin hat das anders gesehen. | |
CL: Ob diese Kritik nun außerparlamentarisch wie bei Fridays for Future | |
oder im Parlament geübt wird, ist letztlich unbedeutend. Bedeutend ist, | |
dass sie geübt wird, einfach um diese dialektischen Kontrapunkte zu setzen. | |
Steht uns da ein Kampf bevor zwischen Realos und Satiros? | |
MS: Ich finde eine Synthese gut. Und die leben wir ja vor. Wir treiben | |
Kritik mit komischen Mitteln. Wir machen Realpolitik damit, dass wir junge | |
Leute politisieren, interessieren und auch an die Wahlurnen bringen. | |
Gar nicht so leicht in diesen Zeiten, wo man als Komiker in so viele | |
Korrektheitsfallen tappen kann. Das war früher sicher einfacher. Würden Sie | |
heute noch einmal das Projekt Satirepartei starten? | |
MS: Wir waren 17 Jahre jünger, es hat uns einfach Spaß gemacht und traf auf | |
eine Zeit, in der viele wirklich nicht mehr wussten, was sie auf dem | |
Wahlzettel ankreuzen sollten. Aber heute würde ich das nicht noch mal | |
starten. | |
Hat das mit dem Humor zu tun, der sich verändert? | |
MS: Es wird in jedem Fall schwieriger. Im Unterschied zu einem | |
traditionsreichen Satiremagazin wie Titanic, das seinen Platz in einem | |
schwindenden Markt behaupten muss, ist Die Partei ein modernes | |
Satireprojekt. | |
CL: Uns fällt schon auf, dass das Urteilsvermögen derer, die sich an | |
politischen Debatten beteiligen, gerade in sozialen Netzwerken, dass das | |
teilweise von der menschlichen zur künstlichen Intelligenz gewandert ist. | |
Wie jetzt? | |
CL: Solche Menschen funktionieren wie Algorithmen, die nicht in der Lage | |
sind, ein Wort zu kontextualisieren oder die Intention des Autors zu | |
erfassen. Da wird auf bestimmte Wörter reagiert, ohne sie einzuordnen. | |
MS: Indianerhäuptling zum Beispiel. | |
Das Wort war [2][Bettina Jarasch], der aktuellen Bürgermeisterkandidatin | |
der Berliner Grünen, mal rausgerutscht. Später hat sie das als | |
„unreflektierte Kindheitserinnerung“ bezeichnet. Haben Sie Angst, dass | |
Ihnen ein Megashitstorm mal das ganze Projekt verhageln könnte? | |
MS: Es gibt eine Blase von Leuten, die Die Partei als rassistisch, | |
sexistisch … | |
CL: … misogyn … | |
MS: … ableistisch bezeichnen. Hab ich jetzt was vergessen? | |
Der Frauenanteil in der Partei ist aber wirklich nicht sehr hoch. | |
MS: Ja, wir haben eine Frauenquote wie CSU, AfD und FDP, aber wir tun etwas | |
dagegen. Die drei Spitzenkandidatinnen in Berlin jetzt sind Frauen. Wir | |
hatten auch mal einen 100-tägigen Aufnahmestopp für Männer. Wir stellen | |
Frauen auf die vorderen Plätze, wo es geht. Da sind wir auch nicht anders | |
als die Grünen. | |
Haben Frauen einfach einen anderen Humor? | |
MS: Ich beobachte, dass bei Titanic jetzt mehr weibliche Redakteurinnen | |
arbeiten. Gleichzeitig ist das Heft auch ein bisschen überraschungsfreier, | |
ein bisschen weniger frech. Es fehlt das Unverschämte. Aber das hängt | |
vielleicht auch mehr mit meinem Alter und dem Alter der neuen Redaktion | |
zusammen als mit dem Geschlecht. Auch die Männer sind mittlerweile zahmer. | |
Heißt zahm korrekter? Wäre ein mal erschienener Titanic-Titel zur K-Frage | |
mit dem Titel „Warum nicht mal ein N*…?“ heute noch möglich? | |
MS: Das haben Sie jetzt gesagt! Nein, heute würde Roberto Blanco auch nicht | |
mehr als Ehrengast zur Titanic-Feier eingeladen werden, weil man Angst hat. | |
Das sind merkwürdige Zeiten. Früher haben wir nicht über Hautfarbe, | |
Geschlecht oder sexuelle Orientierung nachgedacht. Das war vielleicht der | |
Höhepunkt der Freiheit unserer Zivilisation. Und heute guckt man erst mal | |
genau hin, bevor man etwas sagt, fragt sich immer, wer was gesagt hat. | |
Kann man da noch eine Satirepartei betreiben? | |
MS: Doch kann man. Und ich setze sehr auf die heute 13- bis 14-Jährigen. | |
Immer mit dieser politischen Korrektheit durchs Leben laufen, das geht | |
nicht. Da kommt eine Gegenreaktion. | |
25 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Linken-OB-Rene-Wilke-ueber-seine-Partei/!5798111 | |
[2] /taz-Talk-mit-Bettina-Jarasch/!5800895 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
Harriet Wolff | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Martin Sonneborn | |
Die Partei | |
Satire | |
GNS | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Die Partei | |
Ausstellung | |
Kolumne Provinzhauptstadt | |
Die Wahrheit | |
Gedicht | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
„Die Partei“ vor der EU-Wahl: Wahlkampf in der DDR | |
Ex-Berufssatiriker Martin Sonneborn will wieder ins EU-Parlament einziehen. | |
Alleine will er „den Scheiß“ für Die Partei aber nicht machen. | |
EU-Abgeordneter Nico Semsrott: „Ich hab's versucht“ | |
Satiriker Nico Semsrott hat nach fünf Jahren genug vom EU-Parlament. Ein | |
Gespräch über institutionelles Chaos, nötige Deals und animalische | |
Leistung. | |
Ausstellung über Satirezeitung „Pardon“: Feinsinn, Unsinn, Hintersinn | |
Das Caricatura Museum Frankfurt widmet sich der Satirezeitschrift „Pardon“. | |
Sie machte die Stadt am Main zur Witzhauptstadt der Bundesrepublik. | |
Jugendwahlen in der Schule: Politische Früherziehung | |
Demokratie in der Schule scheitert oft daran, das sie gefaket ist, findet | |
die Kolumnistin. Manchmal aber auch an einem Känguru. | |
Die Wahrheit: Die Letzten streicheln die Katzen | |
Was die CDU jetzt plant, um sich aus den Fängen ihrer Fiaskos zu befreien. | |
Ein exklusiver Werkstattbericht der Wahrheit. | |
Die Wahrheit: Wer mit wem | |
Donnerstag ist Gedichtetag auf der Wahrheit: Heute darf sich die verehrte | |
Leserschaft an einem Poem über die Stille nach der Wahl erfreuen. | |
Umgang mit der AfD im Wahlkampf: Zwei Pole in der CDU | |
Marco Wanderwitz und Hans-Georg Maaßen sind beide CDU-Mitglied und | |
kandidieren für den Bundestag. Was sie trennt: ihr Umgang mit der AfD. | |
Linken-OB René Wilke über seine Partei: „Mangelnde Kompromissbereitschaft“ | |
René Wilke ist Linken-Politiker und OB von Frankfurt (Oder). Soll man mit | |
seiner Partei nach der Bundestagswahl regieren? Er rät den anderen davon | |
ab. |