# taz.de -- SPD vor Ampel-Gesprächen: Schönmalen nutzt nichts | |
> Die SPD redet sich die mögliche Ampel-Koalition schön. Es wäre | |
> Nüchternheit angesagt: Mit der FDP zu verhandeln, wird für die Genossen | |
> strapaziös. | |
Bild: Großer Jubel am Wahlabend in der SPD-Zentrale | |
Oberflächlich gesehen existiert das alte Volksparteiensystem noch. Merkel | |
geht, Scholz kommt, wahrscheinlich. Die Union ist zu kaputt, um | |
weiterzuregieren. Ein Wechsel von Volkspartei zu Volkspartei. Wie im | |
Bilderbuch. | |
Das ist ein Irrtum. Das Bild ist neu: Die Großen sind darin kleiner, die | |
Kleinen größer. Das alte System ist nicht implodiert wie in Italien. Die | |
bundesdeutsche Version der Post-Volkspartei-Ära sieht vertraut aus – und | |
ist doch etwas Neues. | |
Die SPD klingt derzeit allerdings manchmal, als sei sie nach einem Albtraum | |
wieder in der heilen, alten Volksparteienwelt aufgewacht. Das Treffen von | |
Grünen und FDP verkleinerte sie zur Vergangenheitsbewältigung. Dabei war | |
das gelb-grüne Gruppenfoto eine Ansage für die Zukunft: FDP und Grüne haben | |
zusammen mehr gewählt als die SPD. Wenn die SPD trotzdem glaubt, sie | |
verkörpere wieder das große Ganze und FDP und Grüne seien zweitrangige | |
Milieuparteien, dann hat sie die Wahl missverstanden. Dann wird auch die | |
Ampel nur kurz flackern. Die Zeit der Koch-und-Kellner-Metapher ist | |
vorbei. | |
Man kann die Euphorie der [1][SPD], die schon auf dem Weg ins Nichts | |
schien, verstehen. Aber nach dem Rausch sollte sie ausnüchtern und | |
erkennen: Sie ist eine von vier mittelgroßen Parteien. Ihren Sieg verdankt | |
sie Olaf Scholz und ihrer Selbstversöhnung mit der Agenda-Politik – aber | |
auch der [2][taumelnden CDU] und verkrampften Grünen. | |
## Sinnstiftende Erzählung gesucht | |
Neben Selbstüberhöhung droht der [3][SPD] noch eine Gefahr: der rosarote | |
Blick auf die Ampel. Schon bevor man sich getroffen hat, verklären die | |
Genossen die Ampel zum historischen Ereignis. Sogar der kühle Scholz | |
erinnert an Willy Brandts sozialliberale Koalition. Die setzte nach 1969 | |
überfällige Reformen um und verband erstmals seit 1949 kleinbürgerliche | |
Arbeiterbewegung und liberales Bürgertum. Die Ampel wird aber nichts | |
Vergleichbares. Sie ist kein Ausdruck gesellschaftlichen Reformdrucks, | |
sondern machtpolitischer Zwänge. Deshalb wirken auch die Versuche, nun | |
rasch eine sinnstiftende Erzählung für sie zu erfinden, akademisch. | |
Die Ampel wird für die SPD strapaziös. Die SPD ist wiederauferstanden, weil | |
sie glaubhaft soziale Gerechtigkeit verkörpert. Wie das mit einer absehbar | |
starrsinnigen FDP zusammengehen soll, ist offen. Die Abschaffung des Solis | |
für Reiche ist ein 10-Milliarden-Euro-Geschenk genau für die, die die SPD | |
doch zur Kasse bitten will. | |
Mag sein, dass an der Ampel kein Weg vorbeiführt. Aber sie jetzt | |
schönzumalen, wird die Enttäuschung noch bitterer schmecken lassen. Bleibt | |
auf dem Boden, GenossInnen! Dann wird der Fall nicht so schlimm. | |
30 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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