| # taz.de -- Mögliche Koalitionen nach der Wahl: Rote Socken, gelbe Socken | |
| > Jamaika war einmal. Zwei Wochen vor der Wahl stehen zwei andere | |
| > Koalitionsmodelle im Fokus: Rot-Grün-Rot und die Ampel. Welches wäre | |
| > besser? | |
| Bild: In welcher Farbkombination soll Deutschland künftig regiert werden? Die … | |
| ## Rote Socken, meint Anna Lehmann | |
| Wer hat die größte Angst vor roten Socken? Nicht der Pensionär in Lügde | |
| oder die Verwaltungsangestellte in Verden, sondern die Parteispitzen von | |
| SPD und Grünen. Warum sonst gehen Saskia Esken, Olaf Scholz, [1][Annalena | |
| Baerbock] und Robert Habeck zurzeit fast panisch auf Distanz zur Linken, | |
| erklären sie für regierungsuntauglich und verlangen Bekenntnisse zur Nato, | |
| als wäre diese die heilige Hüterin der Demokratie? | |
| Dabei übersehen sie geflissentlich, was führende Linke gerade für | |
| Verrenkungen machen, um sich als solide Partner:innen zu empfehlen. Sie | |
| legen ein Sofortprogramm auf, in dem die Auflösung der Nato noch nicht mal | |
| erwähnt wird. Sie zeigen mögliche Kompromisslinien auf, die wie kopierte | |
| Textbausteine aus den Wahlprogrammen von Grünen und SPD wirken. | |
| Und sie betonen mantraartig, dass man sich bei Bundeswehreinsätzen schon | |
| einigen könne – und das ganz ohne das übliche Störfeuer aus den eigenen | |
| Reihen. Die Linken führen gerade einen lupenreinen | |
| Mitte-links-Lagerwahlkampf, und sie treten dabei in letzter Zeit so | |
| geordnet auf, wie die Kruzianer beim Weihnachtskonzert. Der Wahlkampf und | |
| die Furcht vor der Bedeutungslosigkeit disziplinieren auch die radikalsten | |
| Anarcholinken, Regierungsverantwortung erst recht. | |
| Wenn eine selbstbewusste Wahlgewinnerin SPD von Grünen und Linken in die | |
| Mitte genommen würde, wäre dass die progressivste unter allen derzeit | |
| denkbaren Konstellationen. Die Grünen würden einem SPD-Kanzler Olaf Scholz | |
| Tempo beim Klimaschutz abverlangen und die Linke Druck machen bei der | |
| Sozialpolitik. Nur mit dieser Regierung würde es eine Steuerreform geben, | |
| die von Reich nach Arm umverteilt, eine Milliardenoffensive für den | |
| öffentlichen Nahverkehr und eine Wohnungspolitik im Interesse von | |
| Mieter:innen. | |
| Umgekehrt würden Sozialdemokraten und Grüne weder eine echte Verkehrswende | |
| zustande bekommen noch eine Steuerreform, wenn sie sich mit der FDP | |
| verbünden. Und Hartz-IV-Empfänger:innen könnten dann schon froh sein, | |
| wenn ihnen nichts weggenommen wird, weil der Staat nämlich keinen | |
| zusätzlichen Cent hätte und ein Finanzminister Christian Lindner die | |
| Haushaltskasse schon für die Reichen geplündert hätte. | |
| Mit den Vermögenden müsste sich Mitte-links dagegen anlegen, wenn sie | |
| glaubwürdig sein wollen, und nicht nur mit ihnen. Auch mit der | |
| Immobilienlobby, mit Autofetischist:innen, Wirtschaftsliberalen, kurz mit | |
| allen Besitzstandswahrer:innen. [2][Rot-Grün-Rot] hätte Gegenwind. Die | |
| Angst von SPD und Grünen ist also nicht unberechtigt. Ein bisschen Beistand | |
| sicher hilfreich. Doch statt auf Glaubensbekenntnisse zu hoffen, sollten | |
| sich die verzagten Parteispitzen an einer anderen Botschaft aufrichten: | |
| Fürchtet euch nicht! | |
| ## Gelbe Socken, meint Jan Feddersen | |
| Drei große bundesdeutsche Erzählungen, die Sehnsüchte und Wünsche | |
| formulieren, müssen in einer neuen Regierung zur Geltung kommen. Die eine | |
| muss die Politiken zur Klimakrise realisierbar machen, die andere Fragen | |
| der sozialen Gerechtigkeit spürbar zu beantworten suchen, die dritte muss | |
| die liberalen, nichtparteigrünen Mittelschichten mit ihren Ansprüchen nach | |
| Freiheit, Digitalisierung und Modernisierung wichtig nehmen. Es kann | |
| mithin, soll eine neue, sozialökoliberale Politik mit dem Mief (und dem | |
| Modernisierungsversagen) der stumpfen Merkel-Jahre aufräumen, nur [3][eine | |
| rot-grün-gelbe Koalition] sein. | |
| Persönlich wäre Rot-Grün-Rot in einer Hinsicht besser: Den Zehntausenden | |
| verfassungspatriotisch gesinnten Linksparteileuten (gemeint auch: die | |
| Politiken, die in Ramelows Thüringen entfaltet werden) zu signalisieren, | |
| dass sie inkludiert sind ins grundgesetzlich Ganze, dass sie sich beweisen | |
| müssen und womöglich auch können – dass sie Verantwortung für ein ganzes | |
| Land zu tragen bereit sind, einschließlich allen Schmutzes, den man eben | |
| mitbeschließen muss, also den Kompromissen, die dazugehören. | |
| Also eine Regierung mit Susanne Hennig-Wellsow, René Wilke, Klaus Lederer – | |
| aber die Linkspartei trüge bei allen wichtigen Politikfeldern nicht zur | |
| gesellschaftlichen Mehrheitsfähigkeit bei, wäre ein Faktor, der Hass auf | |
| sich zöge … Nein, das möge nicht riskiert werden, von schillernden | |
| Verhältnissen Putin, Maduro und Kuba gegenüber zu schweigen. Die | |
| Linkspartei wäre eine Truppe mit viel zu vielen unsicheren Kantonist*innen, | |
| Anti-Israel-Leuten, Verabscheuern der Nato und | |
| Kapitalismusvulgärkritiker*innen. | |
| Dass Scholz besser als Laschet wäre – klar. Dass außerdem die Grünen sich | |
| auf Klimapolitik zu fokussieren haben und regieren müssen – kein Zweifel. | |
| Aber eine linke Perspektive erachtet auch die nicht nur blinddarmhafte | |
| Teilhabe der FDP an der Regierung als politisch wertvoll. Wer soll denn die | |
| Start-ups und Mittelstandsunternehmen sonst repräsentieren, die man ja | |
| braucht, um Klimapolitik nicht nur zu fordern, sondern auch durchzusetzen? | |
| Außerdem: Ohne eine Partei, die auf Individualität hält, die auch das | |
| Soziale mitdenkt, aber als Teil einer Freiheitsidee, die wird gebraucht. | |
| Die FDP war, aus der Perspektive vieler 68er, eine wichtige freiheitliche | |
| Kraft in der antikonservativen Regierung mit der SPD und Kanzler Willy | |
| Brandt an der Spitze. Walter Scheel hat gewusst, was Christian Lindner | |
| gewiss auch drauf hat: Man setzt auf Kompromiss – und pointiert die | |
| liberalen Wünsche, ohne die sozialen und ökologischen Notwendigkeiten zu | |
| ignorieren. Scheel, damals, wusste, dass ohne soziale Unterfütterung, also | |
| Sozialstaat, keine liberale Gesellschaft funktionieren kann. Rot-Grün mit | |
| gelben Socken – hot shit. | |
| 11 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Lehmann | |
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