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# taz.de -- Bundestagswahl 2021: Die Ausgeschlossenen
> Millionen Menschen dürfen am kommenden Sonntag nicht wählen – weil sie
> keinen deutschen Pass haben. Was bedeutet das für sie?
Bild: Am Sonntag demonstrierten „Die Vielen“ für ein Wahlrecht für alle v…
Die erste Wahl, an der ich nicht teilhaben durfte, war eine parteiinterne
Abstimmung bei meinem damaligen SPD-Ortsverein. Ich war etwa neunzehn Jahre
alt und es ging darum, Delegierte zu wählen. Ich war Klassensprecher und
Schulsprecher gewesen – alles war gut. In meiner Welt habe ich gewählt und
ich wurde gewählt. Aber dann erklärte man mir, dass ich gemäß der Satzung
der SPD bei dieser Wahl nicht mit abstimmen darf. Nur deutsche Staatsbürger
durften teilnehmen. Das war echt hart für mich.
## Birol Koca: „Ich engagiere mich, aber mitwählen darf ich am Ende nicht“
Ich bin in Hessen geboren und aufgewachsen, aber habe die türkische
Staatsbürgerschaft. Es gab ja eine Zeit, in der die doppelte
Staatsbürgerschaft möglich war, aber ich habe mich nicht rechtzeitig darum
gekümmert. Dann wurde diese Möglichkeit abgeschafft. Den deutschen Pass
bekam nur, wer die türkische Staatsbürgerschaft abgab. Dafür musste man
damals in der Türkei aber einen verkürzten Wehrdienst leisten und 10.000
Euro zahlen. Ich habe mit einundzwanzig geheiratet und eine Familie
gegründet – und hatte die 10.000 Euro nicht.
Hinzu kam: Ich bin ja irgendwie beides. Ich bin sehr stark von meiner
Familie geprägt, einer klassischen Gastarbeiterfamilie. Mein Vater ist
Anfang der Siebziger nach Deutschland gekommen, meine Mutter wenige Jahre
später. Ich habe beide Kulturen in mir. Mir war das immer ein bisschen zu
banal zu sagen, du musst jetzt den Pass abgeben und dann den nehmen, dann
darfst du hier auch mitmachen. Damit bin ich nicht klargekommen. Und so
blieb ich erst einmal türkischer Staatsbürger.
Nach der Realschule habe ich eine Berufsausbildung bei dem
Industrieunternehmen John Deere in Mannheim gemacht. Währenddessen habe ich
mit der Gewerkschaftsarbeit angefangen, war erst Vertrauensmann der IG
Metall, dann Betriebsrat. Seit vier Jahren bin ich stellvertretender
Vorsitzender des Betriebsrats, außerdem Gewerkschaftskoordinator der IG
Metall am Standort, Ortsvorstand der IG Metall in Mannheim und ich sitze in
der großen Tarifkommission in Baden-Württemberg der Metall- und
Elektroindustrie. Ich engagiere mich auch im Migrationsbeirat in Mannheim
und bin Mitglied der SPD. Da gibt es gerade besonders viel zu tun, viele
Infostände. Aber mitwählen darf ich am Ende nicht.
Ich verstehe, dass meine Vorstellung – das [1][Wahlrecht von der
Staatsbürgschaft zu entkoppeln] – politisch keine Mehrheiten findet, wenn
man nicht zusätzliche Regularien schafft. Die könnten sein, dass man hier
geboren ist und in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt hat, oder schon
sehr lange in Deutschland lebt. Da muss die Politik ran. SPD, Linke und
Grüne haben das Thema zwar in ihrem Programm stehen, aber man muss schon
sehr lange suchen, bis man an der Stelle ankommt, und in den
Koalitionsverhandlungen kippt es dann schnell hinten runter.
Wir diskutieren ja sehr oft darüber, warum Parallelgesellschaften
entstehen. Und da spielt natürlich mit hinein, dass es die Menschen an
einen Staat bindet, wenn sie wählen dürfen. Ich habe das bei meiner Familie
erlebt: Es war bei uns zwar immer wichtig, politisch informiert zu sein –
da mussten abends die Nachrichten geschaut werden und die Kinder still
sein, während Helmut Kohl sprach. Aber wählen war Sache der Deutschen und
der Anspruch auf politische Teilhabe nicht so groß. Das hat sich geändert,
als meine Eltern Mitte der Neunziger die deutsche Staatsbürgerschaft
bekommen haben. Ab diesem Moment sind sie Infostände abgelaufen, plötzlich
lagen bei uns zu Hause Flyer der Spitzenkandidaten herum.
Inzwischen habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und bekomme
dann so eine Art türkischen Pass light. Ich gehe davon aus, dass ich Ende
dieses Jahres eingebürgert werde.
Birol Koca, 45, ist Betriebsrat. Er lebt in Mannheim und hat die türkische
Staatsbürgerschaft
## Hasan Ze Alnoon: „Eine Wahl hatte ich nie. Ich durfte immer nur Baschar
al-Assad wählen“
Seit ich wählen darf, gibt es auf unseren Stimmzetteln immer nur einen
Namen: Baschar al-Assad. Eine Wahl hatten wir nicht. In Syrien ist es
verboten, zu Hause zu bleiben. Jeder muss seine Stimme abgeben. Wenn du mit
einer Nadel in die Haut stichst und mit deinem blutigen Daumen wählst, bist
du ein besonders guter Bürger. Das ist nicht verpflichtend, aber du bist
dann ganz toll. Seit zwanzig Jahren müssen wir diesen Mörder wählen, und
die dreißig Jahre davor seinen Vater Hafis al-Assad. Also haben wir
insgesamt fünfzig Jahre nur für einen Mann und seinen Sohn gestimmt.
Ich habe mich [2][am Wahltag] immer versteckt. Aber als ich in die
Universität kam, wurde das schwierig, weil die Türen verriegelt wurden und
man nicht rausdurfte, bevor man gewählt hatte. Deswegen bin ich an diesem
Tag zu Hause geblieben. Aber am nächsten Tag gab es viele Probleme: Warum
bist du nicht gekommen? Wo warst du? Von der Demokratie habe ich nur in
Büchern gelesen und im Fernsehen gesehen. Ausprobieren durfte ich sie
nicht.
Ich habe in Damaskus gelebt und Jura studiert, aber ich bin auch Dichter.
Vorgetragen habe ich meine Gedichte nie, denn über Freiheit und Politik
durften keine Texte veröffentlicht werden. Nur Gedichte über Liebe oder
Romantik hätte ich vortragen dürfen. Als ich meine Heimat verlassen habe,
war mein Traum, dass ich endlich das demokratische Leben ausprobieren kann.
Ich hoffte, endlich das Gefühl von Freiheit zu spüren, wählen zu dürfen,
wen ich möchte. Aber leider habe ich auch in Deutschland keine Wahl.
Deutschland hat mir viele Rechte gegeben, aber immer noch fehlen mir auch
viele. Ich weiß, dass ich in einer Demokratie lebe, aber teilhaben kann ich
daran nicht. Ich kann verstehen, warum ich nicht wählen darf. Aber wenn
alle ausländischen Bürger und auch Kinder ab sechzehn Jahren das Wahlrecht
hätten, würden die Entscheidungen ehrlicher, gerechter und freier sein. Und
die Wahlen würden abbilden, wie vielfältig die Gesellschaft ist.
Ich bin ein Mensch, mit oder ohne deutschen Pass. Ich habe großes Interesse
an Politik. Ich schaue jeden Tag Nachrichten und gehe zu Veranstaltungen.
Ich lese jeden Tag in Zeitungen darüber, was die einzelnen Parteien machen.
Wenn ich wählen dürfte, wüsste ich ganz genau, wen.
Hasan Ze Alnoon, 35, ist Jurist und Lyriker. Seine Gedichte hat er in
Deutschland zum ersten Mal veröffentlicht. Er wohnt in Berlin und hat einen
syrischen Pass
## May Zeidani Yufanyi: „Ich halte nicht viel von Nationalstaaten, aber von
Teilhabe“
Es gibt mehr als 10 Millionen Erwachsene in Deutschland, die von den Basics
der politischen Teilhabe ausgeschlossen sind. Dazu gehöre auch ich. Ich bin
seit 18 Jahren in Deutschland, mit 19 bin ich hier angekommen. Ich habe
noch nie anderswo Steuern gezahlt oder eine Wohnung angemietet. Berlin ist
die einzige Heimat, die ich kenne. Ich verbringe die meiste Zeit damit,
mich für die deutsche Gesellschaft zu engagieren. Ich protestiere auf der
Straße, arbeite in einem Antidiskriminierungsprojekt gegen
Islamfeindlichkeit, bin im Vorstand des postmigrantischen Netzwerks neue
deutschen organisationen aktiv, aber am Ende des Tages gehöre ich zu keiner
Zielgruppe der Politiker*innen. Es gibt keine Anreize, mich anzusprechen.
Mein Vater ist Palästinenser, meine Mutter Israelin, ich habe einen
israelischen Pass – bin also keine EU-Bürgerin und habe damit nicht einmal
ein kommunales Wahlrecht.
Praktisch gibt es eine Einteilung in Menschen erster, zweiter und dritter
Klasse – deutsche Staatsangehörige, EU-Bürger*innen und zuletzt alle
anderen. Das ist ein enormes Demokratiedefizit und auch nicht zeitgemäß.
Die Nationalidentität des deutschen Volks ist nicht mal 150 Jahre alt. Die
Teilung zwischen denen, die danach gekommen sind, und denen, die davor
schon da waren, ist sehr willkürlich. Migration gab es schon immer,
Menschen haben sich schon immer bewegt – nicht erst seit dem Abkommen mit
der Türkei, nicht erst seit dem zweiten oder dem ersten Weltkrieg. Deswegen
ist es wichtig, dass wir aktuell bleiben, und dass die Menschen, die hier
leben, sich regieren, wie es sich in einer echten Demokratie gehört.
Ich halte nicht viel von Nationalstaaten, aber von Teilhabe. Demokratie
heißt nicht nur, alle vier Jahre zu wählen. Demokratie ist viel mehr als
das. Es heißt, Minderheiten zu schützen und Demokratie zu schützen. Die
Wahlen sind aber ein entscheidendes Element für Demokratie. Und da
ausgeschlossen zu werden, ist sehr schwer. Wir von den neuen deutschen
organisationen fordern das Wahlrecht für alle: das Kommunalrecht für alle,
die mehr als drei Jahre in Deutschland sind und das Bundeswahlrecht für
alle, die seit mehr als fünf Jahren hier leben.
Die Frage ist nicht, ob wir Migration wollen oder nicht, sondern wie wir
leben wollen. Und wenn ich und alle anderen eine Stimme haben, müssten die
Parteien viel repräsentativer sein. Weiße Heterofrauen in den Institutionen
sind nur ein sehr kleiner Schritt dahin.
May Zeidani Yufanyi, 37, lebt in Berlin und hat die israelische
Staatsbürgerschaft
## Serges Guilaince Takeng: „Ich darf nirgendwo wählen. Auch wir haben
Rechte!“
Praktisch darf ich gerade nirgendwo wählen. Ich bin 2015 aus Kamerun nach
Deutschland gekommen. Nach gut sieben Jahren im Ausland müsste ich mich
wieder in Kamerun niederlassen und erneut als Wähler registrieren lassen.
In Deutschland darf ich auch nicht wählen. Aber ich betrachte Deutschland
als mein eigenes Land. Ich habe keinen anderen Ort.
Als jemand, der schon so lange hier ist, denke ich, dass ich das Recht
haben sollte, zu wählen. Auch weil die Politik hier einen großen Einfluss
auf mein Leben hat: Ich habe eine Duldung, die ich alle drei bis vier
Wochen erneuern muss. Ich darf nicht arbeiten, obwohl ich in Kamerun
Mechatronik gelernt habe und hierhergekommen bin, um zu arbeiten und
Steuern zu zahlen. Und ich wohne in einem Heim, wo wir zu dritt in einem
Raum sind. [3][Während der Pandemie war das sehr schwer].
Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch, der zwei Jahre in Deutschland ist,
bleiben will und volljährig ist, das Wahlrecht haben sollte. Denn es sind
Menschen, die es gewohnt sind, in ihrem Land zu wählen und die Kompetenz
haben! Und wenn ihr Leben sie dazu zwingt, in einem anderen Land zu leben,
warum sollte man ihnen dann auch noch das Wahlrecht vorenthalten?
In der Politik werden die Flüchtlinge nicht wirklich gehört. Es gibt eine
Grenze zwischen Flüchtlingen und Deutschen. Das bedeutet auch, dass wir
unsere Stimme im deutschen Parlament nicht erheben können. Aber auch wenn
sich die meisten Politiker*innen nicht für uns interessieren – auch
wir haben Rechte! Aber während unserer Zeit in den Heimen haben wir
festgestellt, dass es an Menschenrechten mangelt und viele Flüchtlinge ihre
Rechte nicht kennen. Mit We’ll come united touren wir jetzt durch die Heime
und veranstalten Workshops, um das Bewusstsein zu schärfen und den Menschen
klarzumachen, dass sie ihre Rechte verteidigen müssen.
Serges Guilaince Takeng, 37, ist Mechatroniker und hat eine kamerunische
Staatsbürgerschaft. Er lebt in Brandenburg an der Havel
## Rachel Clarke: „Ich fühle mich von der Demokratie ausgeschlossen“
Wenn ich am Wahltag sehe, wie alle zur Wahl gehen, fühle ich mich von der
Demokratie ausgeschlossen. Es ist so, als ob jemand durch eine Menge an
Menschen gegangen wäre und sagt: Du darfst, du darfst nicht. Klar
beinhalten demokratische Rechte viel mehr als das Wahlrecht, aber es ist
eben doch ein wichtiger Teil.
Ich bin vor über zwanzig Jahren hierhergekommen, um Theaterregie zu
studieren – und geblieben. Nach fünfzehn Jahren in Deutschland habe ich das
Wahlrecht in meiner Heimat Schottland verloren. Weil Großbritannien Teil
der EU war, blieb mir das kommunale Wahlrecht. Das ist nicht unwichtig,
aber ich war immer traurig, dass ich in meiner Wahlheimat Berlin nicht auf
Landesebene mit abstimmen durfte. Dann kam der Brexit, und mit dem
Kommunalwahlrecht war es vorbei.
Warum ich keine deutsche Staatsbürgerin bin, hat drei Gründe: Die
bürokratischen Hürden sind extrem hoch, sie müssten gesenkt werden. Ich
habe als Selbstständige und Künstlerin alle Hände voll zu tun, um meinen
Lebensunterhalt zu verdienen. Ich habe die Staatsbürgerschaft beantragt,
alles eingereicht, was man einreichen muss, und bekam dann trotzdem einen
zwei Seiten langen Brief mit Kleingedrucktem über alles, was ich noch
zusätzlich einreichen sollte. Ich wusste, dass ich das neben der Arbeit
einfach nicht schaffe, und habe den Antrag in die Ecke gelegt. Da liegt er
noch immer.
Und das zweite: Die Hürden, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen,
sind für viele noch viel höher als für mich. Ich leite ein
Erzählkunstensemble, gerade sind wir mit einer bundesweiten Reihe zum
Wahlrecht für alle auf Tour. Für meine Kolleg*innen ist es schwer, einen
deutschen Pass zu bekommen, zum Beispiel, weil die Dokumente aus ihrem
Heimatland nicht anerkannt werden. Das ist nicht gerecht. Auch diese Leute
leben und arbeiten hier.
Außerdem finde ich, dass das Wahlrecht nicht von der Staatsangehörigkeit
abhängen sollte. Ich lebe hier, ich arbeite und zahle Steuern hier, ich
habe die Sprache gelernt und engagiere mich demokratisch. Ich denke, damit
habe ich mehr als genug Kriterien für eine Einbürgerung erfüllt.
Anfang 2020 wurde in Schottland das Wahlrecht für alle eingeführt, die eine
Aufenthaltserlaubnis besitzen, darunter auch Geflüchtete. Das Gesetz wurde
mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet. Was war die Begründung der
Regierung? Schottland sollte seiner Verpflichtung in Bezug auf die
Menschenrechte nachkommen und das Wahlrecht die Realität der modernen
schottischen Demokratie widerspiegeln. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass
auch das Wahlrecht in Deutschland modernisiert wird.
Manchmal während des Wahlkampfs gehe ich zu einem Stand einer Partei und
frage: Wollen Sie mit mir reden, auch wenn ich nicht wählen darf? Neulich
hat mich daraufhin eine Partei zu einer Veranstaltung für Menschen ohne
Wahlrecht eingeladen und gesagt, dass sie das universale kommunale
Wahlrecht einführen wollen, wenn sie an die Macht kommen. Da dachte ich:
Endlich. Ich will nicht sagen, wem ich meine Stimme geben würde, aber für
mich sind Klima und soziale Gerechtigkeit ganz wichtig.
Rachel Clarke ist Erzählkünstlerin in Berlin
## Giuseppe Silveira: „Ich darf nur bei Kommunalwahlen mitmachen“
Mein Name ist Giuseppe Silveira und ich wohne seit fast fünf Jahren in
Berlin. Nach Deutschland bin ich für meine Doktorarbeit im Ingenieurbereich
gekommen. Jetzt arbeite ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Universität.
Ich bin in Brasilien aufgewachsen, habe aber auch die italienische
Staatsbürger*innenschaft. In Deutschland werde ich deshalb formell als
EU-Bürger wahrgenommen. Aber da ich kein deutscher Staatsbürger bin, darf
ich nur bei Kommunalwahlen wählen – in Berlin für die
Bezirksverordnetenversammlung. Es ist frustrierend, kein Wahlrecht zu
haben, weil ich mich als sehr politische Person wahrnehme. Es ist so eine
Art Gegenschlag, der mir zeigt, dass ich eben doch nicht wie alle bin, die
hier geboren sind.
Ich bin überzeugt, dass politische Entscheidungen nicht nur in formellen
Räumen und Institutionen getroffen werden. Deswegen engagiere ich mich in
verschiedenen politischen Gruppen, die mit verschiedene Strategien
arbeiten, unter anderem auch mit zivilem Ungehorsam. Aber die
parlamentarischen Institutionen sind trotzdem ein wichtiger Ort, von denen
ich mich ausgeschlossen fühle. Zum Beispiel habe ich mich bei Deutsche
Wohnen & Co enteignen engagiert – aber wie viele andere Menschen in Berlin
darf ich mein Kreuz am Ende beim Volksentscheid doch nicht setzen. Das
trifft mich schon.
Die Wahlkampagnen und die Politik zielen auf die Menschen ab, die
wahlberechtigt sind. Aber jede*r dritte Berliner*in darf nicht wählen –
und da sind die illegalisierten Menschen noch nicht einmal dabei. Sie
werden einfach vergessen. Das muss sich ändern.
Aber der Ausschluss geht über die Institutionen hinaus. In vielen
politischen Gruppen, in denen ich mich bewege, habe ich das Gefühl, dass
ich ein bisschen auffalle. Nicht nur, weil ich als Migrant wahrgenommen
werde, sondern auch, weil viele Menschen mich als Person of Colour oder
nicht zugehörig sehen. Gruppen, in denen ich mich nicht so wohl fühle, sind
solche, die ausschließlich deutsch oder weiß sind und wo man sich nicht so
viele Gedanken darüber macht, wie es anderen Menschen dabei geht. Die
Klimagerechtigkeitsbewegung ist so ein Kontext, die zwar einige meiner
Anliegen verkörpert, in der ich mich aber gleichzeitig nicht immer
zugehörig fühle.
Gleichzeitig habe ich viele Privilegien, zum Beispiel, dass ich nicht
illegalisiert bin, einen Job habe und meine Miete zahlen kann. Und somit
auch ein Stück weit im Parlament repräsentiert bin. Wenn ich wählen dürfte,
würde ich wahrscheinlich für die Linken oder die Grünen stimmen. Hier in
Tempelhof, wo ich wohne, war die CDU in den letzten Jahren immer vorne und
die AfD hat auch viele Stimmen bekommen. Gegen die konservativen Kräfte
müssen wir Druck machen. Sowohl an der Wahlurne als auch auf der Straße!
Giuseppe Silveira, 29, möchte seinen richtigen Namen nicht nennen. Der
Ingenieur lebt in Berlin und hat die italienische Staatsbürgerschaft
22 Sep 2021
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## AUTOREN
Franziska Schindler
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Vermittelt von „Zeit Online“ hat sich unsere Autorin mit wem getroffen, der
in vielen Punkten ganz anderer Meinungen ist als sie. Ein Erfolg.
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abstimmen.
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Die Arbeitskraft von Migrant:innen wird ausgebeutet – wählen dürfen
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wird.
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