Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Proteste im Dannenröder Wald: Journalist soll Räumung bezahlen
> Ein Journalist soll der Polizei Geld zahlen, weil sie ihn aus einem
> Baumhaus im Dannenröder Wald geräumt hat. Nun klagt er dagegen.
Bild: Protests im Dannenröder Wald im November 2020
Ein freier Journalist soll mehr als 1.200 Euro für polizeiliche
[1][Räumungen im Dannenröder Wald] bezahlen. Der freie Fotograf und
Dokumentarfilmer David Klammer, 50, arbeitet unter anderem für
journalistische Medien wie Spiegel, Zeit, Stern und auch für die taz. Von
September bis Dezember 2020 drehte Klammer auf den Baumhäusern im
Dannenröder Wald, auch während Räumungen durch die Polizei.
Klammer hat nun zwei Kostenbescheide vom Hessischen Polizeipräsidium für
Technik in Wiesbaden erhalten. Darin werden ihm für zwei Räumungseinsätze
im Dezember 2020 einmal 793,46 und einmal 442,70 Euro berechnet. Klammer
sieht sich jedoch nicht in der Pflicht. „Ich habe mich deutlich als
Pressevertreter zu erkennen gegeben“, sagt Klammer der taz, „und zu jeder
Zeit mit den Einsatzkräften kooperiert.“
Der [2][Dannenröder Wald in Hessen] war zwischen 2019 und Ende 2020 von
Umwelt- und Klimaaktivist*innen besetzt. Sie wollten Baumfällungen
für den Bau der Autobahn A49 verhindern. Ab 1. Oktober 2020 wurde das
fragliche Areal vom Forstamt zum Sperrgebiet erklärt. In den folgenden
Wochen wurden die Waldbesetzer*innen durch Mannschaften der
Kletterpolizei geräumt.
David Klammer hat in seinem Dokumentarfilm die letzten Tage der
Waldbesetzung festgehalten. Der Film, den Klammer in Eigeninitiative
erstellt hat, soll im Herbst auf einem Filmfestival Premiere haben.
Zwischen Klammer und der Polizei besteht nun Streit darüber, ob er sich als
Dokumentarfilmer im Sperrgebiet nach eigenem Ermessen frei bewegen durfte,
oder ob er sich dabei an Vorgaben der Polizei hätte halten müssen.
## Im Einverständnis mit Einsatzkräften
Klammers Film, den die taz einsehen konnte, zeichnet sich durch besondere
Nähe zu den Aktivist*innen aus. Dafür drehte Klammer mehrfach auf
Baumhausstrukturen in luftigen Höhen – auch während Räumungen im Gange
waren. Die Polizei wirft ihm vor, sich durch seinen unerlaubten Aufenthalt
auf den Baumhäusern in Gefahr gebracht und damit die fachgerechte Bergung
seiner Person nötig gemacht zu haben. Somit wäre er nach dem hessischen
Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HGSO) haftbar, ebenso
wie die Aktivist*innen. Die Frage ist, ob das Gesetz für Journalist*innen,
die Zeitgeschehen dokumentieren, angewendet werden muss. David Klammer
jedenfalls hat gegen die Kostenbescheide Klage beim Verwaltungsgericht
Wiesbaden eingereicht.
Die Polizei bezieht sich auf zwei Ereignisse am 3. und 4. Dezember 2020. An
beiden Tagen filmt Klammer das Räumungsgeschehen im „Danni“ von Baumhäuse…
aus. In beiden Fällen wurde er von der Polizei nach unten eskortiert. Die
Einsatzkräfte sind verpflichtet, sämtliche Personen [3][auf den
Baumhäusern] speziell gesichert herunterzulassen. Beim ersten Fall, am 3.
Dezember, geschieht das mittels einer Hebebühne von einem mit 4 bis 5
Metern Höhe vergleichsweise niedrigen Baumhaus. Am folgenden Tag lassen die
polizeilichen Einsatzkräfte Klammer an einer Seilwinde von einem 25 Meter
hohen Baumhaus herunter.
Klammers Angaben zufolge hat er sich an beiden Tagen deutlich als
Pressevertreter zu erkennen gegeben. Er habe den Einsatzkräften dies
zugerufen, sobald sie in Hörweite gewesen seien. Bei der Aufnahme der
Personendaten im Anschluss habe er jeweils seinen Presseausweis vorgezeigt.
Zudem habe er am zweiten Tag morgens bei der Polizeidienststelle in Gießen
angerufen und dem Beamten am Telefon das Baumhaus durchgegeben, auf dem er
sich befand. David Klammer sagt weiter, er habe sich immer im gegenseitigen
Einverständnis mit den Einsatzkräften empfunden.
## „Ich bin kein Aktivist“
Er habe einige Tage vor den genannten Fällen schon mal bei einer Räumung
gefilmt und dies mit Beamt*innen des Einsatzkommandos abgesprochen. Er
sei von diesen als Pressevertreter mit Respekt behandelt. Das SEK habe ihn
sogar als Letzten heruntergelassen, damit er den Einsatz von oben habe
filmen können. Klammers Filmmaterial zeigt Szenen, in denen Polizisten die
Anwesenheit der Kamera während der Räumung auf einem Baumhaus offenbar
akzeptieren und sogar teils in Richtung der Kamera sprechen.
„Ich bin kein Aktivist“, sagt Klammer der taz. „Ich habe als
Dokumentarfilmer kein Interesse daran, die Arbeit der Polizei zu
behindern.“
Das Hessische Polizeipräsidium für Technik in Wiesbaden möchte nicht zum
konkreten Fall äußern, mit Verweis auf die Klage, die Klammer eingereicht
hat. Im Statement an die taz heißt es aber, es sei vor Ort stets der
Hinweis erfolgt, dass eine Bergung aus dem Gefahrenbereich
Kostenforderungen zur Folge haben könnten. „Darüber hinaus ist der
hessischen Polizei kein Fall einer erfolgten Bergung bekannt, in der sich
die betroffene Person im Vorfeld gegenüber den Einsatzkräften klar als
Journalistin oder Journalist zu erkennen gegeben hätte.“
## „Extra abgesteckte Räume“
Dass Klammer also, wie er angibt, im Einverständnis mit den Beamten filmte,
telefonisch seinen Standort durchgab, durch rufen auf sich Aufmerksam
machte und seinen Presseausweis zeigte, darüber will die Polizei keine
Aufzeichnungen haben. Grundsätzlich sei jeder Aufenthalt im betreffenden
Bereich zum fraglichen Zeitpunkt eine Ordnungswidrigkeit gewesen, heißt es
weiter vom Polizeipräsidium. Dennoch sei es nach vorheriger Anfrage
Pressevertreter*innen möglich gewesen, in polizeilicher Begleitung
Zugang zum Rodungsgebiet zu erhalten. Für ein sicheres Arbeiten der
Journalisten habe man „extra abgesteckte Räume für ihren geschützten
Aufenthalt“ zur Verfügung gestellt.
Lutz Fischmann, Geschäftsführer des Berufsverbands Freelens für freie
Fotojournalist*innen, sieht das kritisch. „Fotojournalisten und Filmer sind
darauf angewiesen, nah am Geschehen zu arbeiten – ansonsten können sie
nicht berichten.“ Freelens unterstützt Klammer finanziell bei seiner Klage
gegen die hessische Polizei. Es dürfe nicht sein, dass die Polizei wahllos
„sichere Bereiche“ definiere. „Das ist mit der Pressefreiheit unvereinbar…
Klammer sei auf eigenes Risiko hochgeklettert, habe keine Dritten
gefährdet. „Es mag Ausnahmen der Einschränkung der Berichterstattung geben,
wie zum Beispiel bei einer Bombenentschärfung, et cetera“, sagt Fischmann,
„aber die lagen hier nicht vor.“
Ebenfalls problematisch findet das Vorgehen der Polizei der
Landtagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion in
Hessen, Torsten Felstehausen. „Unabhängiger Journalismus muss mehr tun, als
bloß die Sichtweise der Polizei unreflektiert zu übernehmen“, sagt
Felstehausen, der selbst von Oktober bis Dezember 2020 regelmäßig als
parlamentarischer Beobachter im Danni war. „Um das Einsatzgeschehen
unabhängig zu dokumentieren, braucht es daher auch andere Formen der
Berichterstattung – also auch die, die in 25 Metern Höhe ins Baumhaus
klettert.“
## Ein Film als Zeitdokument
Die Linken-Fraktion im hessischen Landtag hat eine kleine Anfrage gestellt,
unter anderem um herauszufinden, ob mehr Journalist*innen wie Klammer
Einsätze berechnet worden sind. „Kein verantwortungsvoller Journalist wird
Einsatzkräften mutwillig zwischen den Füßen herumstolpern“, sagt
Felstehausen. „Und das ist ja hier auch nicht der Vorwurf. Vielmehr hat die
Polizei eine Räumung vorgenommen und schickt nun einem unbeteiligten
Journalisten dafür die Rechnung. [4][Damit ist die Polizei zu weit
gegangen.]“
Im Oktober soll Klammers Dokumentarfilm „Barrikaden“ erstmals gezeigt
werden. Wo und wann, dazu äußert sich Klammer bisher nicht. Aufgrund der
Nähe des Filmers zu den Aktivist*innen und seiner zurückhaltenden
Anwesenheit bei den Räumungen wird der Film ein Zeitdokument sein. Eines,
das von abgesteckten Sicherheitsbereichen aus so wohl nicht entstanden
wäre.
16 Sep 2021
## LINKS
[1] /Raeumung-des-Dannenroeder-Forsts/!5734763
[2] /Dannenroeder-Forst/!t5730290
[3] /Waldbesetzungen-in-ganz-Deutschland/!5769172
[4] /Nach-der-Raeumung-des-Dannenroeder-Forstes/!5756251
## AUTOREN
Peter Weissenburger
## TAGS
Schwerpunkt Pressefreiheit
Aktivismus
Dannenröder Forst
Polizei Hessen
Hessen
GNS
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Aktivistin in der Politik: Vom Tagebau in den Bundestag
Vor Kurzem hat Kathrin Henneberger noch Kohlebagger besetzt, jetzt will sie
für die Grünen ins Parlament. Kann das funktionieren?
A49 in Hessen: Ausbau schafft neues Risiko
Nach der Rodung des Dannenröder Walds für die A49 in Hessen befürchten
Aktivist:innen Wasserverschmutzung bei Extremwetter.
Schnellstraße durch Berliner Wuhlheide: Kleines Baumhaus gegen große Straße
Aktivist:innen haben in der Wuhlheide ein Baumhaus errichtet. Sie
demonstrieren gegen das Straßenbauprojekt Tangentiale Verbindung Ost.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.