# taz.de -- Nach der Räumung des Dannenröder Forstes: Der große Vertrauensve… | |
> Vor drei Monaten fiel im Dannenröder Forst das letzte Baumhaus. Aber die | |
> Aktivist*innen sind noch immer vor Ort. Was treibt sie an? | |
Bild: Die letzten Baumhäuser im Dannenröder Forst im Dezember vergangenen Jah… | |
DANNENROD taz | „Da drüben war „Unterwex“, sagt Coyote und deutet auf ei… | |
weite Fläche aus zerhacktem Holz. „Unterwex“ hieß ein Baumhausdorf, das es | |
nicht mehr gibt, „Coyote“ nennt sich der Anfang 20-jährige Aktivist mit | |
schwarzen Haaren und runder Brille. Er steht an einem mit Natodraht | |
gesicherten Bauzaun. Dahinter Sägespäne, Äste und Zweige, ein paar | |
Baumstümpfe. Kein Transpi, kein Seil oder sonst etwas, [1][was an die | |
Besetzung erinnern könnte]. Neben Coyote steht Linda und blickt durch den | |
Baumzaun auf die autobahnbreite Schneise der Zerstörung: „Für mich ist das | |
wie ein anderer Realitätsstreifen.“ | |
Vor drei Monaten fiel im ehemals besetzten Dannenröder Forst das letzte | |
Baumhaus. Seit Oktober 2019 hatten Klimaaktivist*innen den alten | |
Mischwald in Mittelhessen besetzt. In 13 Baumhausdörfern lebten sie in | |
teilweise mehrstöckigen und isolierten Baumhäusern, bauten eine | |
Versorgungsinfrastruktur aus und eine Gemeinschaft auf. | |
Obwohl sie die Waldwege aufwändig verbarrikadiert, sich mit Beton in | |
Erdlöchern befestigt und immer wieder neue Bäume besetzt hatten, räumte die | |
Polizei den Wald mit einem Riesenaufgebot innerhalb von vier Wochen. Noch | |
immer patroullieren Beamt*innen Tag und Nacht auf der abgesperrten | |
Schneise, die den Wald in zwei Hälften teilt. Alle paar Meter steht ein | |
Flutlichtmast, nachts ähnelt der Kahlstreifen einer Flugzeuglandebahn | |
mitten im Wald. | |
Noch laufen die Aufräumarbeiten, aber sobald der Waldboden von Holzresten | |
und Munitions-Altlasten befreit ist, soll hier planiert und betoniert | |
werden. Mit dem Ende der Rodungssaison am 1. März übergab die | |
Autobahngesellschaft die Baustelle an die Bau- und Betreibergesellschaft | |
Strabag. Die will ab Mitte des Jahres massive Betonpfeiler in tiefe | |
Erdschichten des Trinkwasserschutzgebiets rammen. Zwar besetzten | |
Baumschützer*innen in den vergangenen Wochen immer wieder einzelne | |
Bäume am Rande der Trasse. Doch den meisten ist klar, dass eine Handvoll | |
Leute nicht verhindern wird, was im Herbst nicht gelang, [2][als der | |
„Danni“ für ein paar Wochen zum Hotspot der Klimabewegung wurde]. | |
## Frühling bringt Hoffnung | |
„Wir sehen darin keinen Grund aufzugeben“, sagt Linda. Die 27-jährige sitzt | |
in der zarten Mittagssonne eines kalten Märztages auf einer Bierbank und | |
trinkt frisch gepressten Orangensaft aus einer Blechtasse. Auf dem Hof vor | |
dem Gasthof im 160-Seelen-Ort Dannenrod sitzen mit einigem Abstand 15 | |
weitere Personen, rauchen und unterhalten sich. Entspannte Elektromusik | |
schallt über den Hof, Corona scheint weit weg. | |
Linda ist seit sechs Monaten hier, ein WG-Zimmer in der Stadt aus der sie | |
kommt, hat sie nicht mehr. Die Januarnächte bei minus 17 Grad, als der Tee | |
im Becher gefror, seien hart gewesen, sagt sie. Der Frühling habe für alle | |
Erleichterung gebracht, jetzt kämen auch wieder mehr Leute vorbei. Den | |
Zeltplatz, auf dem die meisten Zelte leer stehen, haben die | |
Aktivist*innen gerade wieder als „Versammlung“ bei der Stadt | |
verlängert, für April planen sie hier ein Klimacamp. Im Gasthof kochen die | |
Aktivist*innen zwei Mal täglich 40 Portionen Essen, waschen Wäsche und | |
organisieren ihr tägliches Miteinander. | |
Was wollen sie noch? „Zwar konnten wir die Bäume nicht retten, aber der | |
Kampf um die Mobilitätswende ist noch lange nicht verloren“, sagt Linda. | |
Die A49 sei schließlich nicht die einzige Autobahn in Planung, die | |
Bundesregierung will in den nächsten Jahren [3][noch hunderte Kilometer | |
Fernstraßen durchs Land bauen]. Dagegen vernetzen sich Aktivist*innen | |
jetzt bundesweit – ein Erfolg, der aus der Danni-Besetzung hervorgegangen | |
ist. | |
## Zentrum des Klimaaktivismus | |
Die Aktivist*innen wollen außerdem den Gasthof kaufen, um ihn als | |
Zentrum des Klimaaktivismus zu erhalten. „Wenn wir dauerhaft etwas bewirken | |
wollen, muss unser Widerstand nachhaltig sein“, so Linda. Deshalb sei sie | |
hier. Das Geld wollen sie per Crowdfunding sammeln, 300.000 Euro sind im | |
Gespräch. Klingt unrealistisch? „Mit Realismus hat man noch nie Revolution | |
gemacht“, sagt Linda. | |
Mit Realismus kennt sich Barbara Schlemmer gut aus, sie ist Stadträtin der | |
Grünen in Homberg, wo die Autobahn lang führen soll. Die Räumung der | |
Klimaschützer*innen, teilweise mit Polizeigewalt, war [4][für die hessische | |
Ökopartei nicht gerade glorreich]. Auf ihre Partei sei sie wütend, sagt sie | |
am Telefon, vom hessischen Verkehrsministers Tarek Al-Wazir fordere sie | |
nicht nur den Rücktritt, sondern gleich den Parteiausschluss. „Was hier | |
passiert, ist nicht nur ungrün, sondern sehr weit im kriminellen Bereich“, | |
sagt Schlemmer, die auch Sprecherin des Aktionsbündnisses „Keine A 49“ ist. | |
In dem Bündnis sind auch Anwohner*innen und Naturschutzverbände | |
vertreten. Manche von ihnen engagieren sich schon seit 40 Jahren gegen die | |
Autobahnpläne. | |
Mit dem „kriminellen Bereich“ meint Schlemmer illegale Rodungen im Februar, | |
die außerhalb der genehmigten Flächen im angrenzenden Maulbacher Wald | |
vorgenommen wurden. Von wem, ist unklar, Anwohner*innen hatten sie | |
entdeckt und gestoppt, aber weder das Forstamt noch das Verkehrsministerium | |
in Wiesbaden will sie in Auftrag gegeben haben. Schlemmer hat Strafanzeige | |
gegen unbekannt gestellt. Sie führt einen nervenaufreibenden Papierkrieg | |
gegen die Autobahnbefürworter*innen. Es geht um Richtlinien, die | |
überschritten werden, Anträge zu Planänderungsbeschlüssen und alternative | |
Planfälle. [5][Bezüglich der Vereinbarkeit mit europäischen | |
Wasserrichtlinien liegen schon vier Gutachten vor], die sich gegenseitig | |
widerlegen. | |
„Natürlich ist das frustrierend“, sagt Schlemmer. „Aber es ist die einzi… | |
Chance, die es noch gibt.“ Erschwerend kommt hinzu, dass sich schon im | |
nächsten Landkreis niemand mehr für den kleinteiligen Verwaltungsstreit | |
interessiert. Auch das sei frustrierend, sagt die Stadträtin, denn die | |
Auswirkungen der Autobahn wären schließlich alles andere als lokal. Eine | |
halbe Million Menschen im Rhein-Main-Gebiet beziehen ihr Trinkwasser aus | |
dem Gleental, durch das die Autobahn gehen soll. | |
## Erste Bürgerwehr | |
Gegen die illegalen Rodungen hat sich in Maulbach jetzt eine Bürgerwehr | |
gegründet. Ramona Endres organisiert sie in einer Whatsapp-Gruppe. Die | |
Anwohnerin hat das Vertrauen in die Behörden verloren. Seit sie manchmal | |
auf Demos spricht, fühle sie sich nicht mehr sicher im Ort. Kürzlich sei | |
sie beim Schlittenfahren mit ihren beiden Kindern nahe der Trasse von | |
Polizist*innen beobachtet worden. | |
„Die Ohnmacht ist das schlimmste“, sagt Endres. Für die eigene Psyche sei | |
es besser, alles versucht zu haben um sich zu wehren. Wohnen bleiben will | |
sie in dem 420-Einwohner*innen-Örtchen Maulbach wohl aber nicht, wenn die | |
Autobahn da ist. Diese wird das Dorf dann von zwei Seiten einschließen, an | |
einen Lärmschutz hat wohl niemand gedacht. Endres sagt: „Ich glaube, die | |
meisten hier können sich noch gar nicht vorstellen, was das bedeutet.“ | |
Dabei kann man das schon ganz gut sehen. Die plattgewalzte Erde reicht bis | |
auf 10 Meter an das Grundstück von Thorsten Müller heran. [6][Laut | |
Planfeststellungsbeschluss] müsste der Abstand 45 Meter betragen. Das | |
Grundstück ist nicht groß, der Abstand der zukünftigen Autobahnkante zum | |
hölzernen Geländer der Terrasse des Hauses beträgt etwa 15 Meter. Ein | |
Fenster sei schon durch die Erschütterungen zu Bruch gegangen, sagt Müller. | |
Wenn er spricht, hört man ihm an, wie wütend er ist: „Die | |
Autobahngesellschaft kommt für mich gleich nach der Mafia“, sagt er | |
zwischen zwei Zügen an seiner selbst gedrehten Zigarette. Zwei Bäume auf | |
seinem Grundstück standen zu nahe an der Trasse, die Deges kam mit Baggern, | |
zerstörte das Gartentor und fällte sie. Dabei seien die Strom- und die | |
Wasserleitung kaputt gegangen, ein Schaden von 17.000 Euro. Er sei an dem | |
Tag beruflich im Ausland gewesen und habe nichts geahnt. Ramona Endres und | |
ihr Mann seien mit ein paar Nachbar*innen herbei geeilt, hätten die | |
Fällarbeiten aber natürlich nicht aufhalten können. Alles sei voller | |
Polizei gewesen, sagt Endres, „albern“ sei das gewesen. Ihr Mann pflichtet | |
ihr bei: „Die Polizei nimmt hier niemand mehr ernst.“ Selbst ihr | |
achtjähriger Sohn habe neulich beim Spielen im Wald angefangen, eine | |
Barrikade zu bauen. | |
Auch ein Merkmal, das den Protest rund um den Dannenröder Forst | |
auszeichnet: Der Widerstand ist generationen- und spektrenübergreifend. | |
Bürgerliche und linksradikale Aktivist*innen arbeiten vertrauensvoll | |
zusammen, Anwohner*innen, die seit den 1970ern gegen die Autobahn kämpfen, | |
organisieren sich gemeinsam mit denen, die sich bei Fridays for Future | |
politisiert haben. Gerade von letzteren haben viele im Wald eine | |
Gemeinschaft gefunden, die sie nicht missen wollen. Der Danni ist ein Ort, | |
wo sie anpacken und sich ausprobieren können, wo ihnen niemand sagt, was | |
sie tun und lassen sollen. Gerade in Zeiten pandemiebedingter | |
Beschränkungen ist das viel wert, dieses kleine Stück Utopie. | |
13 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Protest-im-Dannenroeder-Wald/!5749448 | |
[2] /Widerstand-gegen-Autobahnbau/!5720081 | |
[3] /Strassenbau-in-Deutschland/!5729178 | |
[4] /Rolle-der-Gruenen-im-Dannenroeder-Wald/!5716026 | |
[5] /Dannenroeder-Wald-statt-A49/!5727529 | |
[6] https://www.stopp-a49-verkehrswende-jetzt.de/die-a49/planfeststellungsbesch… | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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