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# taz.de -- Ökoakustikerin über Biodiversität: „Das Insektensterben ist h�…
> Sandra Müller erforscht die Klangbilder von Biotopen. Sie erklärt, wie
> Veränderungen in der Umwelt durch Tonaufzeichnungen erkennbar sind.
Bild: Achtung, Aufnahme: Tonaufzeichnungen im Dienste der Artenvielfalt
taz: Frau Müller, Ökoakustik – dieser Begriff klingt in den Ohren
lärmgeplagter Städter*innen gut, aber er ist nicht selbsterklärend. Was
ist damit gemeint?
Sandra Müller: Es handelt sich um ein erst zehn Jahre altes Forschungsfeld,
das auch Soundscape-Ökologie genannt wird. Uns geht es darum, den Klang der
Natur in einer Landschaft zu erfassen und zu charakterisieren. Es nimmt ein
Ökosystem als Gesamtes in den Blick, das heißt, alle Klangkomponenten sind
Forschungsgegenstand. Unsere hauptsächliche Forschungsfrage ist: Wie wirkt
sich eine veränderte Landschaftsstruktur, etwa durch intensivierte
Landnutzung, auf die akustische Komposition einer Landschaft aus?
Tierforscher erfassen die Geräusche der Tierwelt schon seit Jahrzehnten in
ihren Audioarchiven. Inwiefern geht die Ökoakustik darüber hinaus?
Die Bioakustik kommt aus der Tierstimmenforschung und nimmt einzelne
Tierarten oder sogar Individuen in den Blick. Die Übergänge der beiden
Forschungsfelder sind aber fließend. Wichtig für die Ökoakustik sind der
Landschaftsaspekt und die Interaktion der Klangkomponenten mit dem
Ökosystem als Ganzes.
Daher interessieren uns auch abiotische Klänge wie Windgeräusche oder das
Plätschern eines Baches. Und auch menschliche Geräusche sind wichtig für
uns, von Verkehrslärm bis zu Freizeitnutzung. Wir wollen die Gesamtheit
einer Klanglandschaft und vor allem ihre Veränderung im Laufe der Jahre
erfassen.
Können Sie ein konkretes Beispiel für eine solche Veränderung nennen?
Das [1][Insektensterben] kann man nicht nur sehen, sondern auch hören. Wenn
beispielsweise eine Wiese öfter als früher gemäht wird und dadurch mehr
Heuschrecken sterben, ist das auch akustisch messbar. Ein anderes Beispiel:
Ausgeräumte Landschaften, etwa nach einer Flurbereinigung, bieten weniger
Lebensraum für Vögel, man hört weniger Vogelstimmen.
Zugleich verändern sich die abiotischen Geräusche etwa durch Wind, was
wiederum auf die Gesangsaktivität der Vögel rückwirkt. Deren akustische
Nische, der von ihnen genutzte und gebrauchte akustische Raum wird kleiner.
Im Extremfall führt das zur Abwanderung von Vogelarten, mit Auswirkungen
auf das gesamte Ökosystem.
Wie lässt sich der Verlust an Artenvielfalt akustisch nachweisen?
Es gibt dazu verschiedene Methoden. Unser Fokus liegt auf Langzeitaufnahmen
an vielen verschiedenen Orten, um großflächige und langfristige
Veränderungsprozesse erfassen zu können. So konnten wir in einer Studie
zeigen, dass die akustische Vielfalt in kleinen Waldinseln, die verstreut
in einer Agrarlandschaft liegen, abhängig war von der Größe der Waldinseln.
Sie sind wichtige Oasen in ansonsten von Spargel- und Erdbeeranbau
geprägten Agrarwüsten. Je größer diese Insel, umso höher war auch die
akustische Diversität. Gleichzeitig konnten wir zeigen, dass dies in
Zusammenhang stand mit der Vielfalt der Baumarten.
Wie messen Sie akustische Vielfalt? Sie werden sich ja kaum selbst
wochenlang in einen Wald setzen und die Ohren spitzen.
Wir hängen Audiorekorder auf, die selbsttätig über Wochen und Monate hinweg
alle Geräusche in ihrem Umfeld auf eine SD-Karte speichern. Die gesammelten
Daten werten wir mit Computeralgorithmen aus und berechnen akustische
Indizes auf Basis der Vielfalt der Tonfrequenzen und ihrer Lautstärke.
Diese lassen Rückschlüsse zu auf die Zahl der zu hörenden Tierarten, ohne
dass wir die Arten selbst vor Ort bestimmen müssen, was sehr aufwändig ist.
Worin liegt der wissenschaftliche Sinn, die akustische Vielfalt in einem
Lebensraum zu erfassen?
Wenn wir eine hohe akustische Diversität messen, lässt dies in gewissen
Grenzen Rückschlüsse auf die [2][gesamte Artenvielfalt] zu. So die Idee.
Wenn wir dies bestätigen können, bekommen wir mit ökoakustischen Methoden
einen relativ einfach zu ermittelnden Indikator, mit dem Veränderungen in
einem Ökosystem erfasst werden können, etwa durch intensivierte
Landwirtschaft, durch Bauvorhaben oder sogar allgemein gefasst durch
Klimawandel. Zum Beispiel können wir das Einwandern invasiver Arten
dokumentieren. Wenn Waschbären sich ausbreiten und Frösche oder Jungvögel
räubern, ist das akustisch erfassbar.
Können ökoakustische Methoden zu einem wichtigen Bestandteil von
Umweltverträglichkeitsprüfungen und Naturschutzkonzepten werden?
Auf jeden Fall. Landschaftsschutzgebiete beispielsweise werden unter
anderem wegen ihrer Bedeutung für die Erholung und wegen ihrer „Schönheit“
ausgewiesen. Allerdings wird bei dieser ästhetischen Bewertung bisher nur
auf Visuelles geachtet. Auf die Intaktheit einer natürlichen Soundscape
wird meiner Erfahrung nach zu wenig oder gar nicht geachtet. Es gibt
Gegenden, in denen wir zwar tolle Fotos für Instagram schießen können, uns
aber gleichzeitig die Ohren zuhalten wollen, weil Lkw- und Motorradlärm
unerträglich sind. Dabei schadet Lärm nicht nur den Menschen, sondern auch
den Tieren.
Im [3][Dannenröder Forst] wird aufgrund des Autobahnbaus der Verkehrslärm
deutlich zunehmen. Wie könnte sich die Ökoakustik mit solchen menschlichen
Einwirkungen auf die Geräuschkulisse befassen?
Bei den Argumenten gegen den Autobahnbau geht es vor allem gegen
Flächenversiegelung und für Grundwasserschutz. Beim Thema Lärm ist es so,
dass viele Anwohner*Innen für die Autobahn sind, um den Verkehr aus den
Ortschaften wegzuleiten. Es wäre spannend zu untersuchen, inwieweit diese
Hoffnungen erfüllt werden. Nimmt die Lärmbelastung in den Dörfern wirklich
ab? Wie verändert sie sich in der umgebenden Landschaft? Wie sehr wird der
Wald als Naherholungsgebiet fehlen?
Ein Gegenstück zum Dannenröder Forst ist der Darién-Urwald in Panama. Warum
hängen Sie auch dort Ihre Rekorder auf?
Das ist ein Herzensprojekt von mir, weil es hier die einzigartige
Gelegenheit gibt, in einem bis dato wenig von Menschen genutzten Urwald
eine natürliche Klanglandschaft zu studieren. In Europa ist das kaum noch
möglich, wir können hier nur noch untersuchen, wie die menschliche Nutzung
auf die Klanglandschaft wirkt. Aber wir haben gar keine Nulllinie, keinen
Urzustand, an dem wir uns orientieren können.
Erste Analysen zeigen, dass im Darién zwar erwartungsgemäß tags und nachts
eine hohe akustische Vielfalt nachweisbar ist, diese aber kleinräumlich
stark variiert. In Europa hingegen führt die Intensivierung der Landnutzung
zur Homogenisierung von Artenvielfalt und zur Verarmung von
Klanglandschaften.
Sie beteiligen sich an dem [4][europaweiten Forschungsprojekt „Dr.
Forest“], das gesundheitlichen Wirkungen von Biodiversität in Wäldern auf
die Menschen untersucht. Dass uns die natürlichen Geräusche im Wald
glücklich machen und inspirieren, behaupten Dichter, Musiker und andere
Romantiker schon seit Jahrhunderten. Können Sie es nun auch
wissenschaftlich beweisen?
Glück können wir nicht messen, aber erste Studien zeigen, dass nicht nur
Stille, sondern auch akustische Vielfalt einen positiven Einfluss auf die
Erholungsfunktion von Wäldern hat. Wir wollen den Zusammenhang von
Baumartenvielfalt mit entsprechender akustischer Diversität auf der einen
Seite und wahrgenommener Geräuschkulisse und Stressreduktion auf der
anderen Seite genauer quantifizieren. Dazu arbeiten wir unter anderem mit
Psychologen der Universität Leipzig zusammen, die Gehirnströme messen,
während den Proband*innen unterschiedliche Waldklanglandschaften
vorgespielt werden.
6 Mar 2021
## LINKS
[1] /Neue-Belege-fuer-Insektensterben/!5634918
[2] /Biologin-ueber-Gipfel-zu-Biodiversitaet/!5717808
[3] /Protest-im-Dannenroeder-Wald/!5749448
[4] https://www.dr-forest.eu/
## AUTOREN
Christian Stock
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