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# taz.de -- Schnellstraße durch Berliner Wuhlheide: Kleines Baumhaus gegen gro…
> Aktivist:innen haben in der Wuhlheide ein Baumhaus errichtet. Sie
> demonstrieren gegen das Straßenbauprojekt Tangentiale Verbindung Ost.
Bild: Die Wuhlheide ist jetzt bunter
Berlin taz | Etwa 500 Meter geht der schmale Weg von der Straße hinein in
den dichten Wald aus Laubbäumen und Eichen ehe am Wegesrand plötzlich ein
Baumhaus auftaucht. Auf sieben Metern Höhe hängt zwischen drei jungen
Eichen eine Plattform, die auf einem Dreieck aus zusammengebundenen
Baumstämmen aufliegt. Grüne Planen bieten einen Sicht- und Regenschutz; von
oben herab hängen Transparente und eine Regenbogenfahne.
Am Boden sitzen drei junge Aktivist:innen, die in der Nacht von Sonntag auf
Montag hier ihre erste Nacht verbracht haben. Eine:r von ihnen, Florian,
steigt in den Klettergurt und braucht keine halbe Minute, um oben
anzukommen. Florian ist die erfahrenste Besetzer:in der Gruppe, war
sowohl im [1][Hambacher] als auch im [2][Dannenröder Forst], den beiden
größten und längsten Waldbesetzungen der jüngeren Vergangenheit, und lernte
dort wie man Baumhäuser baut und klettert.
Nun also Oberschöneweide. Hier, gleich neben dem Freizeit- und
Erholungszentrum (FEZ), noch in Hörweite der Straße An der Wuhlheide, hat
jetzt auch Berlin seine Waldbesetzung. Noch ist es nur ein Baumhaus, und
nicht mehr als ein Dutzend Baumhausdörfer wie im vergangenen Herbst im
hessischen Danni, aber womöglich bleibt es ja nicht dabei. Die Gruppe, sie
nennen sich Queer_wuhl_ant:is, würden sich jedenfalls über Zuwachs bei
ihrer „[3][Queerstelle]“ freuen. Sympathisant:innen in den sozialen
Netzwerken haben jedenfalls schon Kosenamen und Motto gesetzt: Wuhli
bleibt!
## Schnellstraße durch den Wald
Bedroht ist das Waldgebiet durch das größte Straßenbauprojekt Berlins nach
dem geplanten Lückenschluss der A 100, der Tangentialen Verbindung Ost
(TVO). Die etwa sieben Kilometer lange Schnellstraße soll die Märkische
Allee im Norden mit dem Knotenpunkt An der Wuhlheide/ Spindlersfelder
Straße im Süden verbinden und damit Wohnviertel wie Biesdorf vom
Autoverkehr entlasten und zugleich das Gebiet besser an die Autobahn und
den Flughafen BER anschließen.
Geplant sind vier Auto- und zwei Fahrradspuren, dazu zehn Brücken- und
Stützbauwerke. Am Anschluss Marzahn ist ein futuristischer Kreisverkehr mit
einer zweiten Ebene für Fahrradfahrer:innen angedacht. Die Planungen
für die TVO reichen bis 1969 zurück; im Jahr 2014 hat der Senat erneut den
Bedarf festgestellt. Geprüft wird seitdem der genaue Trassenverlauf, dem,
so heißt es, möglichst wenige Bäume und Gebäude zum Opfer fallen sollen.
Im kommenden Jahr könnte das Planfeststellungsverfahren beginnen, 2025 mit
den Baumaßnahmen begonnen werden. Laut Senatsvorlage vom Juni muss Berlin
zehn Prozent der Kosten selbst tragen; 155 Millionen Euro sind insgesamt
bislang eingeplant. Das von Rot-Rot-Grün formulierte Ziel einer parallelen
Schienenführung als Verbindung für S- und Regionalbahn ist derweil über ein
Planungsanfangsstadium nicht hinaus.
## 15 Hektar Wald gefährdet
Auch wenn die TVO noch kein größeres Thema in der Stadt ist, die
Umweltbewegung hat das Straßenprojekt schon länger auf dem Schirm. Ende
April demonstrierte ein Bündnis um Stop A 100, zu dem auch Greenpeace,
Attac, Nabu und Changing Cities gehören in der Wuhlheide. Die TVO sei
Zeugnis einer „veralteten und klimaschädlichen Verkehrsplanung“ und müsse
gestoppt werden, hieß es im Aufruf. 15 Hektar Wald seien bedroht: „Eines
der wichtigsten städtischen Wald- und Naherholungsgebiete Berlins würde
dadurch zerschnitten und großflächig zerstört.“ Dagegen betonen viele
Anwohner, große Teile der Lokalpolitik und auch die Industrie- und
Handelskammer die Wichtigkeit des Projekts.
„Schon lange gab es innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung in Berlin
Überlegungen etwas zu starten“, erzählt ein:e Aktivist:in, die wie alle im
Wald einen Fantasienamen trägt: Spinne. Die Person, ein Personalpronom
lehnt sie wie alle Beteiligten an der Besetzung ab, sagt: „Wir haben uns
auch im Bereich der A 100 umgesehen, aber da gab es keinen schönen Ort.
Hier spürt dagegen, dass man in der Natur ist.“ Wildschweine etwa hätten
sie schon am ersten Tag gesehen. Anderseits ist es nicht so abgeschieden:
Keine 20 Meter vom Baumhaus entfernt verläuft eine Bahntrasse, jeder
vorbeifahrende Zug unterbricht das Gespräch für einen Moment.
Die dritte Person, die am Montagabend vor Ort ist, aber mit dem
mitgebrachten Schäferhund unter dem Baumhaus schlafen möchte, nennt sich
Libelle. In die Klimschutzbewegung sei sie einst über Extinction Rebellion
gekommen, nun aber freut sie sich, dass ihr Protest ein explizit queerer
ist. Wieso eigentlich?
Libelle spricht von der Benachteiligung armer Menschen, die vom Klimawandel
besonders betroffen sind sowie von queeren Menschen, die immer noch nicht
gleichberechtigt sind. „Beide Themen stehen für Ungerechtigkeiten in der
Gesellschaft“, sagt Libelle. Florian ergänzt: „Queer sein bedeutet
Diskriminierungserfahrungen zu machen“. Diese trügen dazu bei, „sich mit
anderen Menschen zu identifizieren.“ Der Umgang der drei ist
rücksichtsvoll: „Bist Du fertig mit Reden?“ „Darf ich ein zweites Bier
trinken?“ Jede_r versucht die Bedürfnisse der anderen zu achten.
Einen queeren Ort zu schaffen sei aber nur das eine, natürlich soll ihr
Protest sich dem weiteren Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den Weg
stellen, sagt Spinne. „Wenn man Autofahren noch bequemer macht, gibt es
keine Verkehrswende.“ Auch die Umwelt- und Artenschutzgutachten zur TVO hat
Spinne gelesen. Demnach sei das Projekt gefärdet, weil es mehrere Tierarten
gefährde. Betroffen seien vor allem Fledermausarten wie das Große Mausohr
und Vogelarten wie der Steinschmätzer.
Florian findet, dass es wichtig sei bei jedem neuen Straßenbauprojekt der
„fossilen Infrastruktur entgegen zu treten“. Florian spricht von einer
„Politik der tausend Nadelstiche“, um Projekte teurer und unattraktiver zu
machen. „Je mehr Druck erzeugt wird, desto schwieriger ist es für solche
Projekte und desto leichter für einen progressiven Umbau der Städte.“ Sie
alle sind sich einig: „So viel Zeit haben wir nicht mehr.“
Die Überzeugung teilen sie mit vielen Klimaaktivist_innen. Nach Zählungen
der taz gab es landesweit an die 30 aktuelle oder kürzliche Wald- und
Baumbesetzungen gegen Straßenbau- oder Tagebauprojekte. In der Region
wurden im Februar vergangenen Jahres [4][Bäume gegen die Tesla-Fabrik in
Grünheide] und gegen die Verwertung der Rummelsburger Bucht besetzt. Beide
wurden schnell von der Polizei geräumt. Das Baumhaus in der Wuhlheide nahm
die Polizei am Dienstagnachmittag das erste Mal in Augenschein.
Florian, Spinne und Libelle hoffen derweil auf Unterstützung, um einen
„tollen Ort zu gestalten“, wie Spinne sagt. Bis zu einem möglichen Baustart
sei dafür noch viel Zeit.
13 Jul 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Hambacher-Forst/!t5013292
[2] /Widerstand-gegen-Autobahnbau/!5720081
[3] https://queerstelle.blackblogs.org/
[4] /Besetzte-Baeume-gegen-Tesla-Fabrik/!5664873
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
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Waldbesetzung
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