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# taz.de -- Hamburger Folteropfer Achidi John: Verdrängt und vergessen
> Am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg verstarb 2001 ein
> 19-Jähriger nach dem Einsatz von Brechmitteln. Bis heute gibt es keine
> Aufarbeitung.
Bild: 2001 führte Olaf Scholz in Hamburg Brechmitteleinsätze ein. Das Bild ze…
Hamburg taz | [1][Achidi John] wurde am 8. Dezember 2001 im Hamburger
Stadtteil St. Georg festgenommen. Der Verdacht gegen ihn: Drogenhandel. In
der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) sollte dem
19-jährigen Nigerianer eine Magensonde eingeführt werden, doch John
leistete Widerstand.
Seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, fünf Polizisten fixierten seine
Beine und drückten seinen Oberkörper zu Boden. Währenddessen flößte ihm
eine Rechtsmedizinerin mit der Magensonde 30 Milliliter des Brechsirups
Ipecacuanha und 800 Milliliter Wasser ein. Infolgedessen fiel John ins
Koma. Vier Tage später wurde die intensivmedizinische Behandlung
abgebrochen und John verstarb noch im Krankenhaus.
Fast 20 Jahre ist das her. Die Initiative zum Gedenken an Achidi John
fordert nun, am UKE einen Gedenkort für die Menschen zu schaffen, die
Opfer von Brechmitteleinsätzen geworden sind. „In den Räumen des Instituts
für Rechtsmedizin ist gefoltert worden“, sagt der Sprecher der Initiative,
Daniel Manwire, gegenüber der taz. Eine Entschuldigung seitens des UKE sei
bisher ausgeblieben.
In einem Brief hatte die Initiative das Klinikum Mitte Juli nach dem
aktuellen Stand der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen gefragt.
„Die Antwort des UKE war eine Unverschämtheit“, sagt Manwire. Das
Krankenhaus verweist in dem Schreiben, das der taz vorliegt, auf
schriftliche Anfragen der Hamburger Bürgerschaft, die zum Teil Jahrzehnte
alt sind. Das einzige aktuelle Dokument vom Juli 2021 erläutert die
technischen Abläufe beim Einsatz von Brechmitteln.
## Europäischer Gerichtshof beendet Scholz' Politik
530-mal wurden dem Schreiben zufolge in den Jahren von 2001 bis 2006
Brechmittel am UKE eingesetzt, zum Teil erzwungen. Mit der Aufarbeitung der
Geschehnisse setzt sich das Dokument in keinem Wort auseinander. Auch auf
die Anfrage der taz zur Aufarbeitung der Brechmitteleinsätze antwortete das
UKE nicht. Ein Gedenkort sei jedenfalls nicht geplant.
Der zwangsweise Einsatz von Brechmitteln zur Sicherung von verschluckten
Drogen war 2001 vom damaligen Hamburger Innensenator und heutigen
SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz eingeführt worden. Während andere
Bundesländer den Einsatz von Brechmitteln nach dem Tod Achidi Johns
aussetzten, wurde in Hamburg einfach weitergemacht. Bis 2006, denn dann gab
es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Der
zwangsweise Einsatz von Brechmitteln ist demnach eine Foltermethode und
daher menschenrechtswidrig.
Daniel Manwire ist schleierhaft, warum am Hamburger UKE keine Aufarbeitung
stattgefunden hat. „Dass solche Praktiken gegen die Menschenrechte
verstoßen, wurde vom UKE lediglich zur Kenntnis genommen. Zu keinem
Zeitpunkt hat man reflektiert, dass dort Menschen gefoltert wurden.“ Für
ihn sei es kein Zufall, dass die meisten Opfer schwarze junge Männer aus
Afrika waren: „Die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln war eine
Fortführung der rassistischen Drogenpolitik, die damals wie heute in
Hamburg betrieben wird“, sagt Manwire.
Vor zwei Jahren erschütterte ein weiterer Todesfall im UKE die schwarze
Community Hamburgs. [2][William Tonou-Mbobda starb in der Psychiatrie des
UKE], nachdem er von Sicherheitsleuten zu Boden gedrückt worden war. Zeugen
berichteten damals von brutalem Vorgehen des Wachdienstes. „Das Verhalten
des UKE zum Tod von Tonou-Mbobda zeigt, dass es dort in Bezug auf
institutionellen Rassismus keinen Lernprozess gibt“, sagt Manwire. „Black
Lives mattern im UKE nicht.“
## Bremen macht's besser
Die Hamburger Rechtsmedizinerin, die Achidi John das Brechmittel
verabreichte, wurde strafrechtlich nie zur Rechenschaft gezogen. Die
Obduktion hatte ergeben, dass John an einem Hirntod aufgrund von
Sauerstoffmangel gestorben ist, der durch einen Herzstillstand verursacht
wurde. Die Rechtsmediziner attestierten dem Toten einen Herzfehler.
Die Forderung nach einem Denkmal [3][gab es in Bremen bereits vor Jahren].
2005 starb auch dort ein schwarzer Geflüchteter, Laye-Alama Condé, infolge
des Einsatzes von Brechmitteln. Dort sehe es mit der Aufarbeitung ganz
anders aus, sagt Manwire. Der [4][Bau eines Gedenkortes] in der Innenstadt
ist geplant. Die schuldigen Ärzte wurden strafrechtlich verfolgt. Der
Bremer Alt-Bürgermeister Henning Scherf [5][sagte 2017] gegenüber dem
Kundenmagazin einer Versicherung: „Ich fühle mich schuldig, dass ich den
Tod dieses Menschen möglich gemacht oder zumindest dieses Verfahren
gerechtfertigt habe.“
## Grüne und SPD ohne Ansprechpartner:innen
Ein solcher Prozess der Aufarbeitung müsse auch in Hamburg beginnen, sagt
Manwire: „Hamburg ist diesbezüglich weit unter der Latte durchgesprungen.“
In den Hamburger Fraktionen von Grünen und SPD scheint das Thema
Brechmitteleinsätze jedoch nicht sehr präsent. Auf Anfrage der taz kann
keine der beiden Fraktionen Ansprechpartner:innen dazu zur Verfügung
stellen. Bei der SPD wird zuerst im Kulturressort nachgefragt, dann erst im
Ressort für Drogenpolitik. Eine Rückmeldung gab es bis Redaktionsschluss
nicht.
15 Sep 2021
## LINKS
[1] /Brechmitteleinsatz-in-Hamburg/!5143440
[2] /Todestag-von-William-Tonou-Mbobda/!5678379
[3] /Gedenken-an-Brechmittel-Folter/!5650389
[4] /Mahnmal-fuer-Laye-Conde/!5693524
[5] /Fehler-eingestanden/!5368709
## AUTOREN
Alexandra Hilpert
## TAGS
Olaf Scholz
Brechmittel
Folter
UKE
Hamburg
Schwerpunkt Rassismus
Rechtsextremismus
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