| # taz.de -- Debatte übers Gendern: In der Sackgasse | |
| > Erst die Debatte ums richtige Gendern bringt das Gendern in Verruf. Denn | |
| > der Diskurs driftet ins Dogmatische ab und fördert so Verbote. | |
| Bild: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) will keinen „i… | |
| Beim WDR soll auf das Gendern „verzichtet“ werden. Sprechpausen sollen | |
| nicht mehr andeuten, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt: Es soll nicht | |
| mehr „Musiker- (Pause)-innen“ gesagt werden oder „Komponist-(Pause)-innen, | |
| Erzieher-(…)-innen, Politiker-(…)-innen.“ Für den [1][Bayrischen Rundfun… | |
| gilt das ebenso. | |
| Auch an Schulen gibt es neuerdings solche Verbote. In [2][Sachsen und | |
| Schleswig-Holstein] soll nicht mehr durch Unterstrich, Doppelpunkt oder | |
| Sternchen deutlich gemacht werden, dass es zwischen Männern und Frauen | |
| fließende Geschlechteridentitäten gibt. In der Schule gehe es darum, das | |
| richtige Erlernen der deutschen Sprache zu ermöglichen, sagt | |
| Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien von der CDU, „und nicht | |
| darum, einen ideologisch aufgeladenen Kulturkampf in die Klassen zu | |
| tragen.“ Ein „Kulturkampf“? – Echt jetzt? Prien gehört übrigens zum | |
| Kompetenzteam von Armin Laschet. | |
| Die Verbote sind Reaktionen auf die Debatte ums Gendern, die sich verlaufen | |
| hat, und bisweilen darin gipfelte, dass gestritten wurde, wie Gendern am | |
| inkludierendsten geht. Mit Doppelpunkt, Unterstrich, dem Sternchen. | |
| Zwischenzeitlich wurde zudem das [3][Suffix -x] als geschlechtsloses | |
| Anhängsel propagiert: Profx, Tänzx, Krankenpflegx. Das Ypsilon wird in | |
| Österreich gehandelt: [4][Lesys] sind da: Leser und Leserinnen. | |
| Das bisherige groß geschriebene Binnen-I wie etwa in | |
| „HeiratsschwindlerInnen“ geht, so die dogmatische Sicht, nicht mehr. Da es | |
| für Zweigeschlechtlichkeit stehe. Die ist überholt. | |
| ## Falsche Kausalität | |
| Die Debatten ums richtige Gendern haben aus dem Blick verloren, dass nicht | |
| die richtige Form wichtig ist, sondern dass es die Inhalte sind: | |
| Geschlechtergerechtigkeit und Identitätspolitik. Sie spielen all jenen in | |
| die Hände, denen das nichts wert ist. | |
| Die AfD etwa nutzt die Debatte ums Gendern für antiegalitäre Propaganda. In | |
| ihrem Wahlprogramm spricht sie von „Gender-Ideologie“ und behauptet: Die | |
| Gender-Ideologie „will die klassische Familie als Lebensmodell und | |
| Rollenbild abschaffen“. Das ist auf bösartige Weise falsch. Niemand, der | |
| sich mit Gendergerechtigkeit befasst, will die klassische Familie über | |
| den Haufen werfen. Die behauptete Kausalität ist populistisch. Sie macht | |
| Meinungen zu Tatsachen. Hannah Arendt hat vor diesem demagogischen Trick | |
| sehr gewarnt. | |
| Kein Zweifel, Sprache, dieses dynamische Ding, mit dem Zusammenhänge | |
| erklärt und Gefühle benannt werden, bildet Gesellschaft ab. Wer spricht und | |
| worüber gesprochen, aber auch geschwiegen wird, setzt Zeichen. Wer spricht, | |
| spricht nicht nur über sich, sondern über ein dem Denken zugrunde liegendes | |
| Wertesystem. Wer spricht, entscheidet, wer gemeint ist und wer nicht. Ein | |
| Beispiel aus dem Alltag? „Das macht man so.“ Noch eins? „Alle Menschen | |
| werden Brüder.“ Noch eins? „Im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen | |
| Geistes.“ | |
| Sprache ist ein Tarnanzug für gesellschaftliche Hierarchien. Und es ist | |
| jetzt müßig, das en détail aufzurollen, aber eines ist klar: Den Frauen hat | |
| die Sprache jahrhundertelang nicht gehört. So wenig wie ihnen Bildung, | |
| Wissenschaft, Kultur, Geld, Kunst gehörten. Sie haben, so die | |
| jahrhundertelang zementierte Meinung, nichts geschaffen, die Welt nicht | |
| weitergebracht, sind für Reproduktion gut und bestenfalls noch für kleinere | |
| Haustiere wie Hühner. Sie halten keine Reden, haben nichts zu sagen, gelten | |
| aber als geschwätzig. Und wenn es dafür eines Belegs bedarf, soll hier ein | |
| Zitat von Rousseau dienen; es ist aus seinem (von Männern) viel gerühmten | |
| Werk „Emil oder über die Erziehung“. | |
| Da schreibt er: Es „können kleine Mädchen so rasch und früh angenehm | |
| plaudern und Akzente in ihre Rede setzen, ehe sie deren Sinn ganz | |
| verstehen. Deshalb haben die Männer auch ihre Freude daran, ihnen so früh | |
| zuzuhören, selbst bevor die Mädchen die Gründe einsehen.“ Sprechende | |
| Frauen sind zu Papageien erzogene Puppen. Spielpuppen der Männer. | |
| Ich habe das Rousseau-Zitat aus dem Buch „Sprachdiebinnen“ der belgischen | |
| Juristin und Literaturwissenschaftlerin Claudine Herrmann. Darin analysiert | |
| sie, wie Frauen sich die Sprache der Männer stehlen mussten. Sie erklärt | |
| den Satz von Rousseau so: Man habe die Frau „auf die Rolle einer | |
| Schauspielerin reduziert, die Sätze wiederholt, von denen sie keinen selbst | |
| ausgedacht hat. Sie triumphiert im Augenblick ihrer größten Entfremdung.“ | |
| Frauen hatten nichts zu sagen, wohl aber wurde über Jahrhunderte alles über | |
| sie gesagt. Weil Form den Inhalt spiegelt, galt noch bis zum Anfang der | |
| neuen Frauenbewegung der siebziger Jahre (und in der DDR darüber hinaus) | |
| als ausgemacht, dass, wer die männliche Form eines Substantivs benutzt, | |
| Frauen mitmeint. Schon das Wort „mitmeinen“ ist eine Zumutung. Wurde etwa | |
| von „Lehrern“ geredet, sollten sich die Lehrerinnen mitgemeint denken – | |
| umgekehrt wäre es ein Affront gewesen. | |
| Mit Beginn der Frauenbewegung wurde die patriarchale Wertesetzung in der | |
| Gesellschaft, aber auch der Sprache radikal hinterfragt. Hartnäckig wurde | |
| in Texten die weibliche Form mitbenannt. Das wirkte anfangs bemüht, aber | |
| nach Jahrzehnten harten Durchhaltens irritiert es inzwischen sehr, wenn | |
| eine Frau etwa sagt: „Ich bin Zuschauer.“ | |
| Um nicht stetig sowohl die männliche als auch die weibliche Form zu | |
| benutzten, wurde das groß geschriebene Binnen-I als Abkürzung eingeführt. | |
| Anfangs gab es Tamtam, auch in der taz, aber dann lief es meist | |
| geräuschlos. Gegendert wurde, wie es passte. Mit neutralen Bezeichnungen: | |
| die Singenden. Mit Aufzählungen: Sängerinnen und Sänger. Abgekürzt: | |
| SängerInnen. Und am besten alles durcheinander, damit die Texte durchs | |
| Gendern nicht stolpernd daherkommen. Ich bin ein Fan davon. | |
| Gut ist, dass eine offene Gesellschaft sich weiterentwickeln kann und immer | |
| auch weitere, bisher nicht thematisierte Unterdrückungsstrukturen | |
| enttabuisiert. Wie die lange ignorierte Zwischengeschlechtlichkeit, wie | |
| Trans- und Intersexualität, wie das dritte Geschlecht. | |
| Weil die Sprache das nicht abbildet, wurde nach einer neuen Abkürzung | |
| gesucht. Das Binnen-I galt dafür als untauglich, verbraucht für Männer und | |
| Frauen. | |
| In dem Moment aber, in dem vornehmlich nur noch darüber gestritten wurde, | |
| welche Abkürzung die richtige ist, geriet die Debatte in eine Sackgasse. | |
| Weil Dogmatismus dräute. Weil der Diskurs sich in der Frage verzettelte, ob | |
| „*“ oder „_“ oder „:“ oder „x“ oder „y“ die beste Form für… | |
| Die Inhalte waren ob des Streits nicht mehr erkennbar. Das hat die jetzigen | |
| Verbote leicht gemacht. | |
| Das aber, was die Frauenbewegung erreicht hat, wird mit der Suche nach dem | |
| neuen Inklusionszeichen auch über Bord geworfen, indem den Feministinnen | |
| Betriebsblindheit unterstellt wird. Ihr Binnen-I zementiere die | |
| Unterdrückung aller, die sich nicht mit der Zweigeschlechtlichkeit | |
| identifizieren. Wer es jetzt benutzt, zeigt, dass ihr oder ihm die | |
| Unterdrückung dritter Geschlechter egal ist. Welcher Feminist, welche | |
| Feministin will das schon. | |
| ## Sprache ist wie Wasser | |
| Aber Entwicklung ist nicht möglich, wenn Diskurse, die vorher wichtig | |
| waren, nämlich die Ungleichbehandlung von Frauen, unter den Tisch zu fallen | |
| drohen. Zumal ein genauer Blick in die Literatur offenlegen könnte, dass | |
| manche Feministinnen vor fünfzig Jahren radikaler mit Sprache umgegangen | |
| sind, als es der Gendersternchenstreit heute abbildet. | |
| Die französische Autorin und Feministin [5][Monique Wittig] etwa | |
| schockierte, als sie damals sagte: „Lesben sind keine Frauen.“ Was sie | |
| meinte: Da das lesbische Begehren dem der heterosexuellen Männer | |
| entspricht, weichen Lesben vom tradierten Frauenkonzept ab. Auf einer Linie | |
| zwischen Männern und Frauen sind sie ein Stück näher an die Männer gerückt. | |
| Wenn eine lesbische Frau „ich“ sagt, müsste konsequenterweise dieses in den | |
| Zwischenraum gerückte Ich auch abgebildet werden. Etwa indem man „i/ch“ | |
| schriebe. Um so den Bruch deutlich zu machen. Und wer „du“ zu ihr sagt, | |
| müsste eigentlich „d/u“ sagen. | |
| Das sind nur kleine Beispiele aus Wittigs Büchern. Mit ihrem Vorgehen | |
| gelingt es ihr, den Blick auf das zu lenken, was in der Debatte um | |
| inkludierende Sprache meist fehlt: Dass konsequenterweise die ganze Sprache | |
| unter die Lupe genommen werden müsste. Das aber wird Sprache nicht | |
| mitmachen. Sie ist wie Wasser. Sie nimmt den leichtesten Weg. | |
| Unfair allerdings: dass Monique Wittig so unbekannt ist. | |
| Eine Kollegin sagte: „Ich will genderfluid gendern.“ Richtig so. Sie will | |
| die Sprache als Spiegel der Machtverhältnisse entlarven. Was sie nicht | |
| will: dass Gendern zur Grundlage für einen neuen Dogmatismus – und damit | |
| neue Hierarchien – wird. Wenn so ein genderfluides Laissez-faire in die | |
| Debatte ums Gendern zurückkäme, wenn alle genderten, aber so, wie sie es | |
| wollen, nicht so, wie sie denken, es tun zu müssen, könnten Genderverbote | |
| als das entlarvt werden, was sie sind: obsolet und unwichtig. | |
| 12 Sep 2021 | |
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