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# taz.de -- Umverteilung junger Geflüchteter: Suizidgefahr ist kein Argument
> Rund 40 junge Geflüchtete müssen Bremen verlassen, weil man ihnen ihr
> Alter nicht glaubt. Der Verein Fluchtraum sendet einen Hilferuf an die
> Behörden.
Bild: Wenn Geflüchteten nicht geglaubt wird: Altersfeststellung per Röntgenbi…
Bremen taz | Eigentlich wenden sich vor allem Geflüchtete an den [1][Verein
Fluchtraum Bremen], der ein Beratungs- und Begegnungszentrum aufgebaut hat.
Im Moment rufen aber auch täglich Lehrkräfte, Therapeut:innen oder
Trainer:innen an, berichtet Hannah Dehling von Fluchtraum. Der Grund:
Sie alle haben mit geflüchteten Menschen zu tun, denen es trotz häufiger
psychischer Belastungen in Bremen vergleichsweise gut geht – und dennoch
sollen sie die Stadt im Rahmen von Umverteilungen bald verlassen.
Darunter ist auch einer der besten Spieler von Jan-Moritz Höler,
Fußballtrainer der U-19-Mannschaft beim Bremer SV. „Der ist psychisch fix
und fertig“, erzählt Höler und kritisiert die scheinbar wahllose
Altersfeststellung seitens der Behörden – ausgerechnet der betreffende
Spieler sehe eindeutig jugendlich aus.
Fluchtraum hat sich nun mit einem Hilferuf an die Behörden gewandt. Konkret
geht es um die Situation von rund 40 jungen Geflüchteten, die seit etwa
einem Jahr in Bremen zur Schule gehen und sich in psychologischer
Behandlung befinden.
Die jungen Menschen haben gemeinsam, dass ihr Altersverfahren negativ
ausfiel, dass die Behörden also von einer Volljährigkeit ausgehen, obwohl
sie selbst das verneinen. Während des Verfahrens haben Betroffene keinen
Aufenthaltstitel. In der Regel kommen sie dann in ein Verteilungssystem
gemäß Paragraph 15a des Aufenthaltsgesetzes, das unter anderem besagt,
dass Betroffene keinen Anspruch darauf haben, auf bestimmte Orte verteilt
zu werden.
Konkret bedeutet das, dass geflüchtete Menschen erneut alle Strukturen
verlieren, die sie in Bremen aufgebaut haben und in ein Ankerzentrum
irgendwo in Deutschland ziehen müssen. Viele haben Angst, von dort in
Länder wie Italien zurückgeführt zu werden, wo ihnen ein aussichtsloses
Asylverfahren droht.
Die Behörden haben bei diesen Entscheidungen oft einen Ermessensspielraum.
Fluchtraum kritisiert, dass dieser nun trotz massiver psychischer Krisen
nicht mehr zur Anwendung komme und dass derzeit sogar suizidgefährdete
Menschen mit einer Umverteilung rechnen müssen.
Alex Sott hat als Sozialpädagoge und Berater im [2][Bremer „JungenBüro“]
täglich Kontakt zu Menschen, die aufgrund von langwierigen behördlichen
Verfahren an ihre psychischen Grenzen kommen. Der Verein ist eine
Beratungsstelle für junge Männer mit Gewalterfahrungen. Erst kürzlich habe
er einem jungen Mann, den er vergangene Woche als suizidgefährdet
eingestuft habe, mitteilen müssen, dass seine Beschwerde zur
Altersfeststellung abgelehnt wurde.
Er fühle sich von politischen Entscheidungen allein gelassen und schäme
sich für diese Art von Rechtssprechung, sagt Sott. „Dass es für die
Verhinderung einer Umverteilung nicht ausreicht, dass jemand sich in einer
akuten suizidalen Krise befindet, ist menschlich nicht nachvollziehbar.“
Auch in einem laufenden Verfahren müsse die psychische Lage berücksichtigt
werden. Zudem bietet Bremen laut Sott für junge Geflüchtete eine zwar
mangelhafte Struktur, die aber etwa durch die Unterbringung in kleineren
Einrichtungen oft besser funktioniere als in anderen Städten.
Vonseiten des Sozialressorts werde keine andere Linie gefahren als zuvor,
sagt hingegen ein Sprecher. Die Verfahren, die bei einem Widerspruch vor
dem Oberverwaltungsgericht landen, dauerten sehr lange. „Systematisch gegen
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts vorzugehen, würde uns vor Probleme
stellen“, heißt es weiter. Das Innenressort, zu dem auch das Migrationsamt
gehört, kann sich laut Pressestelle bis zu einer Abstimmung mit der
Sozialbehörde nicht zu den Forderungen von Fluchtraum äußern.
Ein Betroffener, der mit der taz über seine Situation spricht, ist Boubacar
Dialo. Er sei müde, sagt Dialo: „Es sind einfach so viele Belastungen im
Moment.“ Dialo ist Schüler und bereitet sich gerade auf seine B1-Prüfung
vor. Er plant – sobald sein Aufenthaltsstatus es zulässt – eine Ausbildung
zum Tischler. In einem Ankerzentrum würde all das „wieder auf null gesetzt“
werden.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber. Sie können sich rund
um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (☎ 0800/111 0 111,
[3][www.telefonseelsorge.de]).
8 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.fluchtraum-bremen.de/
[2] https://www.bremer-jungenbuero.de/
[3] https://www.telefonseelsorge.de/
## AUTOREN
Teresa Wolny
## TAGS
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Bremen
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