# taz.de -- Umverteilung junger Geflüchteter: „Es werden Leben riskiert“ | |
> Bremen bleibt dabei, junge Geflüchtete wegzuschicken, auch wenn sie in | |
> psychologischer Behandlung sind. Am Dienstag gab es einen Suizidversuch. | |
Bild: Asylsuchender vor einem Wohnblock in einem Ankerzentrum in Schweinfurt | |
BREMEN taz | Ebrima Badijes Flucht- und Leidensgeschichte ist lang. „Ich | |
bin von Gambia über den Senegal nach Libyen gekommen“, sagt er. Libyen | |
beschreibt er als die Hölle „Da sperren sie dich ein, schlagen dich und | |
erschießen Leute vor deinen Augen.“ Auf der Fahrt über das Mittelmeer | |
kenterte sein Boot. Menschen ertranken. Wieder vor seinen Augen. Mit einem | |
Rettungsschiff kam er schließlich nach Italien. „In Italien bist du einige | |
Zeit in einem Camp, aber später schicken sie dich auf die Straße.“ | |
Als er endlich in Bremen ankommt, wird er [1][in ein Ankerzentrum | |
umverteilt] und wieder nach Italien abgeschoben. Dort lebt er wieder auf | |
der Straße und schafft es erneut bis nach Bremen. Ebrima Badije, der nicht | |
wirklich so heißt, schreibt uns seine Geschichte per Mail. Für ein | |
Interview fehlt ihm heute die Kraft. Gerade erst hat er erfahren, dass die | |
Zentrale Aufnahmestelle (Zast) an seiner Umverteilung festhält, obwohl er | |
anerkannte psychologische Probleme hat und sich in Therapie befindet. „Ich | |
wünsche mir endlich Ruhe. Ich habe seit mehr als sieben Jahren keinen Tag | |
Ruhe“, sagt er. | |
Der [2][Verein Fluchtraum] setzt sich bereits seit Anfang September gegen | |
die [3][Umverteilung von 40 Personen in Bremen] ein. Badije ist einer von | |
ihnen. Umverteilung bedeutet, dass Geflüchtete nach Quote über das | |
Bundesgebiet verteilt werden. Sie werden in sogenannten Ankerzentren | |
gebündelt. | |
Minderjährige Geflüchtete werden seltener umverteilt und können Jugendhilfe | |
in Anspruch nehmen. Das Alter von jungen Geflüchteten, die nach Bremen | |
kommen und ihr Alter nicht nachweisen können, wird von der Zast | |
entschieden. Wird die Minderjährigkeit nicht festgestellt, gehen viele | |
Betroffene in ein sogenanntes Alterswiderspruchsverfahren. Während des | |
Verfahrens können sie nicht umverteilt werden. Die 40 von Fluchtraum | |
vertretenen Personen sind alle in Widerspruchs- und Klageverfahren. Ihnen | |
droht nach teilweise mehr als einem Jahr Aufenthalt in Bremen nun die | |
Umverteilung. | |
Wie belastend die Situation für die jungen Geflüchteten ist, zeigte sich am | |
vergangenen Dienstag. Einer der 40 Personen, für die sich Fluchtraum | |
einsetzt, versuchte sich das Leben zu nehmen und sprang aus dem vierten | |
Stock eines Gebäudes. „Es ist schockierend. So etwas passiert in immer | |
kürzeren Abständen. Es geht hier um die psychische Gesundheit der | |
Betroffenen, es werden Leben riskiert“, sagt Hannah Dehning, | |
Pressesprecherin von Fluchtraum. | |
Von der Umverteilung kann aufgrund zwingender Gründe abgesehen werden. Die | |
Entscheidung liegt im Ermessen der Behörden. Badije ist derzeit in | |
psychologischer Behandlung. Trotzdem hält die Zast an der Umverteilung | |
fest. | |
„Sie wollen mich wieder nach Oerbke schicken. Und das, obwohl ich hier seit | |
Monaten in psychiatrischer Behandlung bin“, sagt er. Die Sprecherin des | |
Innenressorts, Rosa Gerdts-Schiffler betont: „Wir sprechen vor allem über | |
Menschen, die durch die bremischen Gerichte bestätigt bekommen haben, dass | |
bei ihnen keine zwingenden Gründe gegen die Umverteilung innerhalb | |
Deutschlands sprechen.“ | |
Das Oberverwaltungsgericht hat Ende Oktober festgestellt, dass Badijes | |
psychische Erkrankung ein Vollstreckungshindernis darstellt. Es ist also | |
kein zwingender Grund gegen eine Umverteilung, aber eben ein Hindernis. | |
Zwingende Gründe müssen laut Behörde vor der ersten Entscheidung über die | |
Umverteilung eingebracht werden. Werden psychische Erkrankungen erst danach | |
eingebracht, werden sie als Vollstreckungshindernis bewertet. | |
„Früher führten Vollstreckungshindernisse in der Regel dazu, dass Leute | |
nicht umverteilt wurden. Mittlerweile hält die Zast dennoch an den | |
Umverteilungen fest“, sagt Dehning. „Sie begründen das damit, dass man die | |
Person ja auch nach der Therapie noch umverteilen kann. Es fühlt sich an, | |
als sollten die Leute hier in Bremen fit für die Umverteilung gemacht | |
werden.“ | |
Wer seine Umverteilung nicht abwenden kann, kommt in ein Ankerzentrum. | |
Oerbke ist eines von ihnen. Badije beschreibt die Lage dort als | |
hoffnungslos: „Ich habe nach einem Psychologen gefragt, aber mir wurde | |
gesagt, ich müsse auf den weiteren Transfer warten“, und weiter: „Da sind | |
Menschen isoliert, da gibt es keine Hilfe. Mehr als 1.000 Leute leben dort. | |
Bis zur nächsten Haltestelle sind es zwei Kilometer. Ständig siehst du | |
Polizei, weil Leute abgeholt werden, um sie abzuschieben. An dem Ort | |
verlierst du deine Hoffnung oder wirst verrückt.“ | |
Badije war noch in einem zweiten Camp: „Dieselbe Geschichte, dieselbe | |
Situation. Das sind keine guten Orte für Menschen.“ | |
Die Betroffenen haben sich mittlerweile in Bremen etwas aufgebaut. Sie | |
gehen zur Schule, besuchen Deutschkurse, bekommen Hilfe. „Bremen ist, was | |
soziale Einrichtungen angeht, [4][gut aufgestellt]. Die Menschen, die hier | |
sein dürfen, haben eine Chance, eine Ausbildung und Arbeit zu bekommen“, | |
sagt Dehning. | |
Auch Badije konnte in Bremen Integrationsangebote annehmen. „Ich mache | |
einen Deutschkurs, aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil ich ständig | |
Angst habe. Ich möchte endlich Sicherheit, damit ich meine Zukunft hier | |
aufbauen kann, meine B1-Prüfung und eine Ausbildung machen kann“, sagt er. | |
## Petition mit gescheiterter Übergabe | |
Eine Umverteilung auf ein Ankerzentrum gefährdet alle Fortschritte, die die | |
Betroffenen bisher gemacht haben. „Mit dem Transfer verlierst du alles, was | |
du hast. Alle Hilfe, alle Unterstützung. Du wirst verrückt oder gibst auf. | |
Das ist kein Leben“, sagt Badije. | |
Fluchtraum hat nun mit einer [5][Petition] für die 40 Personen nachgelegt. | |
Mehr als 2.000 Menschen haben innerhalb von vier Wochen unterschrieben. Ob | |
das Innenressort, dem das Migrationsamt untersteht, oder das Sozialressort, | |
dem die Zast untersteht, zuständig ist, ist nicht ganz klar. Beide Behörden | |
wollen die Petition nicht entgegennehmen. „Eine Petition müsste bei der | |
Bürgerschaft und nicht bei unserem Ressort eingereicht werden“, sagt | |
Gerdts-Schiffler. Auch Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts, will | |
sie nicht annehmen: „Wir haben erklärt, das wir die Petition nicht | |
entgegennehmen. Man kann so was nicht pauschal durchwinken, insofern macht | |
eine Petition hier gar keinen Sinn.“ | |
Eine geplante Übergabe kam daher am vergangenen Mittwoch nicht zustande. | |
„Deswegen werden wir die Übergabe im Januar machen, damit wir unsere | |
Unterstützer*innen mobilisieren können“, sagt Dehning. | |
17 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Guineer-ueber-Umverteilungen-in-Bremen/!5785921 | |
[2] https://www.fluchtraum-bremen.de/ | |
[3] /Umverteilung-junger-Gefluechteter/!5795579 | |
[4] /Rassismus-bei-der-Wohnungssuche/!5787707 | |
[5] https://weact.campact.de/petitions/hiergeblieben-bleiberecht-statt-umvertei… | |
## AUTOREN | |
Lukas Scharfenberger | |
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