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# taz.de -- Jugendliche Geflüchtete in Bremen: Umverteilt – auch mit Zwang
> Das Sozialressort will wieder Zwang nutzen, um junge Geflüchtete
> umzuverteilen – nach Berichten über gefesselte Teenies ein No Go für die
> Koalition.
Bild: My Home is my castle? Für jugendliche Geflüchtete besteht die Gefahr de…
Bremen taz | Alle sind sich einig, dass es ein Problem gibt: Minderjährige
Geflüchtete, die ohne Begleitung nach Bremen gekommen sind, werden in der
Stadt wieder in der Messehalle untergebracht, und in einem Großzelt auf dem
Gelände eines Übergangswohnheims. „Nicht kindgerecht“ finden das
Regierungsfraktionen und Opposition, auch die zuständige Sozialbehörde,
ebenso der Bremer Flüchtlingsrat und der Verein Fluchtraum.
Für Kinder und Jugendliche sind eigentlich Wohngruppen vorgesehen,
möglichst familiär und mit enger sozialpädagogischer Betreuung – nicht
große Hallen mit wenig Privatsphäre. 400 unbegleitete Minderjährige sind
dieses Jahr bereits in Bremen angekommen, mit 300 weiteren bis Jahresende
rechnen die Behörden.
Nun hat Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) in der Senatssitzung am
Dienstag angekündigt, dass die Jugendlichen in andere Kommunen umverteilt
werden müssten – und zwar notfalls auch mit Zwangsmitteln. Aber in der
Koalition ist dieser Zwang eine rote Linie.
Die [1][Umverteilung ist im Prinzip ein gängiger Rechtsakt.] Die
Bundesländer haben sich 2015 auf einen Verteilungsschlüssel für
minderjährige Geflüchtete verständigt; in Bremen leben aktuell dreimal so
viele, wie es dieser Schlüssel vorsieht. Doch das prinzipielle
Einverständnis zwischen den Bundesländern übersieht, dass die umverteilten
Menschen der Verteilung nicht gleichermaßen zustimmen müssen.
## Koalitionsausschuss änderte Umverteilungspraxis
Bremen hatte bis 2020 eine besonders krude Verwaltungsanweisung für den
Ablauf: Schriftlich festgehalten worden war dort, dass bei der Umverteilung
der Minderjährigen [2][auch „Hand- und Fußfesseln“ zum Einsatz] kommen
könnten.
„Eine koloniale, rassistische Praxis, vor der die Sozialsenatorin offenbar
in der Jugendhilfe nicht zurückschreckt“, sagt heute Gundula Oerter vom
Bremer Flüchtlingsrat. Der Flüchtlingsrat und der Verein Fluchtraum hatten
die Anweisung öffentlich gemacht und [3][Fälle aufgedeckt, bei denen
Jugendlichen Fesseln angelegt worden] waren.
Der [4][Aufschrei von Kinderrechtsexpert*innen war groß.] Auf Druck
vor allem aus der Linkspartei beschloss der Koalitionsausschuss, dass die
Verwaltungsanweisung geändert werden müsse. Davon wieder abrücken wolle man
nicht, so Sophia Leonidakis, migrationspolitische Sprecherin der
Linksfraktion.
Seit der Änderung ist ein mehrschrittiges Verfahren empfohlen: Falls die
Jugendlichen nicht umziehen wollen, folgen drei maximal Beratungsgespräche.
Sollte es dann immer noch nicht zu einer Einigung gekommen sein, wird die
Verteilung abgebrochen.
„Seitdem findet so gut wie gar keine Umverteilung mehr aus Bremen statt“,
sagt Wolf Krämer als stellvertretender Pressesprecher der Sozialsenatorin.
Zwang müsse auch in Zukunft gar nicht immer zur Anwendung kommen,
beschwichtigt er. „Es ist nur ein allerletztes Mittel. Aber wenn die
Betroffenen von Anfang an wissen, dass wir keinerlei Instrumente haben,
dann gibt es auch keine Bewegung.“ Die Koalition müsse sich in dieser Frage
neu zusammensetzen.
Leonidakis dagegen sieht wenig Sinn darin, in Zukunft wieder Zwangsmittel
einzusetzen. Sie und ihre Fraktion setzen weiter auf Beratung; wer nicht
überzeugt, sondern gezwungen worden sei, umzuziehen, könne schließlich auch
wieder zurück nach Bremen reisen. „Die Idee, dass man Menschen hin und her
schiebt, funktioniert nur sehr begrenzt“, so Leonidakis.
Warum aber wollen die Jugendlichen überhaupt trotz der offenbar eher
mäßigen Bedingungen in Bremen bleiben? Laut Behörde ist die weit
überwiegende Anzahl der jungen Geflüchteten Selbstmelder – das heißt, „d…
sie sich selbst für Bremen entschieden haben“, erklärt Behördensprecher
Krämer.
Städte haben ohnehin eine größere Attraktivität auf Jugendliche. Dazu
kommt: Nicht alle Landstriche in Deutschland können für Schwarze
Geflüchtete und People of Colour als sicher gelten.
Diskriminierungserfahrungen sind [5][nicht gleich über die Republik
verteilt.]
Die naheliegende Alternative zur Umverteilung wäre es, zusätzliche Plätze
für junge Geflüchtete zu schaffen. Erste Hotels hat die Behörde für diesen
Zweck angemietet; doch es reicht nicht. Ein weiteres Nadelöhr: die
Fachkräfte. „Es gibt den Vorwurf, wir hätten uns nicht vorbereitet“, so
Krämer, „doch das war hier keine Frage des Willens oder Geldes, sondern der
Verfügbarkeit von Personal.“ Auch Dagmar Koch-Zadi vom Verein Fluchtraum
bestätigt: „Der Markt für Sozialpädagogen ist leergefegt.“
## Personal gesucht
Für Leonidakis ist das kein ausreichendes Argument. Schließlich müssten
auch die Zielkommunen für die Umverteilung Pädagog*innen einstellen –
mit zusätzlichen finanziellen Anreizen könnte man Personal nach Bremen
locken, ist sie sich sicher.
Auch Oerter vom Flüchtlingsrat akzeptiert die Argumentation des
Sozialressorts nicht. Sie sei nicht bereit, die Probleme der Behörde zu
lösen. „Aber wir können sagen, wie die Probleme nicht gelöst werden dürfe…
Nämlich auf dem Rücken derjenigen, die besonderen Schutz benötigen.“
Eins ist klar: Kurzfristig helfen auch höhere Löhne nicht. Der Verein
Fluchtraum hofft deshalb aktuell auf die Hilfe von Ehrenamtlichen, so wie
vor Jahren: Nach den großen Fluchtbewegungen ab 2015 hatten sich zahlreiche
Menschen in Deutschland engagiert und im Jugendhilfesystem die größten
Härten abgefedert. Fluchtraum veranstaltet kommenden Dienstag einen
Infoabend in der Bremer Pius-Gemeinde, um zusätzliche Mentor*innen für
die jungen Geflüchteten zu finden.
24 Sep 2022
## LINKS
[1] /Ukrainerinnen-in-Deutschland/!5838348
[2] /Gefluechtete-Jugendliche-in-Handschellen/!5660154
[3] /Kindeswohlgefaehrdung-in-Bremen/!5653928
[4] https://www.fluechtlingsrat-bremen.de/hand-und-fussfesseln-sind-keine-jugen…
[5] https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deu…
## AUTOREN
Lotta Drügemöller
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