# taz.de -- Die These: Unsinnige Drogenpolitik | |
> Seit 60 Jahren wird in Deutschland auf Verbote in Sachen Drogenpolitik | |
> gesetzt. Da sind andere Länder viel weiter. | |
Bild: Eine Demonstrantin raucht einen Joint bei der Hanfparade; Berlin, 14.08.2… | |
Warum eigentlich kommen die Bundesdrogenbeauftragten seit vielen Jahren | |
immer ausgerechnet von der CSU? Und warum ist es nach dem heiß erwarteten | |
Abgang von Marlene Mortler im September 2019 eigentlich Daniela Ludwig | |
geworden, also wieder eine Frau, die [1][kein Mindestmaß an fachlicher | |
Kompetenz] mitbrachte und offenbar wenig gewillt ist, daran irgendetwas zu | |
ändern? | |
Vor ihrer Ernennung zur Drogenbeauftragten war die 46-Jährige vor allem | |
dafür bekannt, im Namen des Ehe- und Familienschutzes | |
gleichgeschlechtlichen Paaren alle möglichen Rechte verwehren zu wollen. | |
Hat sie das qualifiziert? Geht es der Union – neben der AfD die einzige | |
Partei, die noch strikt an der unsinnigen Cannabisprohibitionspolitik | |
festhält – gar nicht um Lösungen, sondern um eine konservative | |
Selbstvergewisserung? | |
Diese Woche hatte Daniela Ludwig aus dem Wahlkreis Rosenheim einen | |
[2][großen Auftritt]: Sie plädierte für eine bundeseinheitliche Regelung, | |
den Besitz von bis zu 6 Gramm Cannabis nicht mehr als Straftat, sondern als | |
Ordnungswidrigkeit zu bewerten. Auf den ersten Blick schien das, als bewege | |
sich endlich auch auf Bundesebene einmal irgendwas. In Wirklichkeit aber | |
ist der Vorschlag sogar ein Rückschritt – denn die 6-Gramm-Regelung wird | |
längst in so ziemlich allen Bundesländern auf die eine oder andere Art | |
praktiziert, allerdings in vieren davon mit höheren Grenzwerten. | |
Rational erklärbar ist diese Politik schon lange nicht mehr. Seit der | |
Unterzeichnung der UN-Drogenkonvention vor ziemlich genau 60 Jahren wird an | |
dem Dogma festgehalten, Verbote bestimmter Substanzen würden die Gesundheit | |
der Menschen schützen. Seitdem ist allerdings Konsum, Handel und Produktion | |
der illegalisierten Drogen immer nur gewachsen. | |
Die Ergebnisse des Verbots: Anders als bei Tabak und Alkohol gibt es keinen | |
Jugendschutz bei der Abgabe, keine Kontrolle darüber, was da eigentlich | |
verkauft und beigemengt wird, keinen Arbeits- und Umweltschutz bei der | |
Produktion und keinerlei Steuereinnahmen auf weltweite Umsätze von | |
geschätzt rund 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr. | |
Mit der Verbotspolitik entzieht sich die Staatlichkeit ihrer Verantwortung | |
und auch ihrer Möglichkeiten, tatsächlich etwas im Sinne der angeblich zu | |
schützenden Menschen zu tun. | |
Das ist im Übrigen längst Konsens bei so ziemlich allen Drogenexperten | |
weltweit. Die öffentliche Debatte ist noch nicht so weit, aufgrund dieser | |
Erkenntnisse die Prohibition für absolut alle illegalisierten Drogen | |
aufzuheben, den Markt zu regulieren, dem organisierten Verbrechen endlich | |
seine wichtigste Einnahmequelle zu entziehen. Aber wenigstens bei Cannabis | |
gibt es in vielen Ländern inzwischen Mehrheiten für eine Freigabe. | |
## In anderen Ländern ist man weiter | |
Und vor allem gibt es seit einigen Jahren Modelle, von denen gelernt werden | |
kann. Der US-Bundesstaat Colorado, der erste, der Cannabis nicht nur zu | |
medizinischen, sondern auch zu Rauschzwecken legalisierte, kann eine | |
durchweg [3][positive Bilanz] vorlegen. 2019 konnte der Bundesstaat | |
Steuereinnahmen von gut 300 Millionen Dollar aus der Cannabisindustrie | |
einnehmen, die er sowohl in Präventions- und Aufklärungsprogramme als auch | |
in eine bessere Schulausstattung und Stipendien für Kinder und Jugendliche | |
aus sozial benachteiligten Familien steckte. | |
Im Ergebnis ist der Cannabiskonsum – entgegen der Unkenrufe der | |
Prohibitionsfanatiker – seit der Legalisierung unter Jugendlichen | |
zurückgegangen. | |
Inzwischen sind 18 US-Bundesstaaten den gleichen Weg gegangen. Auch | |
[4][Kanada] legalisierte und regelte 2018 Produktion, Handel und Konsum von | |
Cannabisprodukten zu Rauschzwecken; [5][Uruguay] war schon ein paar Jahre | |
vorher dran. | |
Die Ergebnisse sind überall positiv – aber in Deutschland vertreten | |
CSU-Drogenbeauftragte nach wie vor jahrzehntelang widerlegten Unsinn. | |
## „Cannabis ist kein Brokkoli“ | |
Zwar reicht Daniela Ludwig im Wettbewerb um die unterirdischsten Äußerungen | |
noch nicht ganz an ihre Vorgängerin Marlene Mortler heran. Deren | |
[6][Antwort] auf die Frage, warum sie gegen eine Legalisierung sei, ist | |
legendär: „Weil Cannabis eine illegale Droge ist, Punkt.“ Aber Ludwig gibt | |
sich Mühe: In der [7][Bundespressekonferenz] erklärte sie: „Auch wenn | |
Alkohol gefährlich ist, ist Cannabis kein Brokkoli.“ Und sie wolle keine | |
„dritte Volksdroge“ neben Tabak und Alkohol. | |
Man fragt sich, in welcher Welt diese Leute leben. Dass sie dann noch auf | |
sozialen Medien auf die Frage, was denn ihrer Ansicht nach ein | |
„bestimmungsgemäßer Gebrauch“ von Alkohol sei, mit einem fröhlichen | |
[8][Saufgedicht] von Heinz Erhardt antwortete, passt nur zu gut zu dieser | |
Ignoranz – und man könnte ganz unbekifft in hysterisches Lachen ausbrechen. | |
Wenn es nicht so tragisch wäre. | |
Denn es ist ja nicht so, dass die Prohibition einfach nur nichts nützt. Im | |
Gegenteil: Sie richtet massiven Schaden an. In den Produzenten- und | |
Transitländern Süd- und Mittelamerikas sind die Auswirkungen gut zu | |
beobachten: Mit Milliarden ausgestattete hochprofessionelle kriminelle | |
Organisationen bekommen mit ihren Korruptionsofferten und ihren | |
Killerarmeen noch jeden demokratischen Rechtsstaat ausgehebelt. Tausende | |
werden zu Mordopfern, weil Unternehmenskonflikte nicht vor Gerichten, | |
sondern [9][mit Gewalt ausgefochten] werden. All das lässt zu, wer den | |
Markt nicht regulieren will, sondern der überkommenen These anhängt, ein | |
Verbot werde in eine Gesellschaft ohne Drogen führen. | |
In den Konsumentenländern Europas und Nordamerikas bedeutet Prohibition, | |
dass es keinerlei Jugendschutz gibt – denn der wird den Dealern überlassen, | |
statt ihn staatlich zu organisieren. Prohibition bedeutet, dass die erste | |
Aufklärung über Drogen an den Schulen nicht durch qualifiziertes Personal, | |
sondern durch Polizisten erfolgt – mit der Folge, dass keine offene | |
Diskussion über womöglich schon gemachte Drogenerfahrungen zustande kommen | |
und kein verantwortungsbewusster Umgang mit Drogen erlernt werden kann. Ist | |
ja verboten. | |
Und Prohibition bedeutet, durch Gefängnisaufenthalte und Vorstrafen | |
Karrieren zu zerstören, die völlig intakt sein könnten. | |
## Beschäftigung für die Sicherheitsbehörden | |
All das ist seit Jahren bekannt, wird seit Jahrzehnten diskutiert. In | |
Deutschland herrscht bei Cannabiskonsum zwar jetzt schon weitgehend | |
Straffreiheit, nicht aber ohne massiv Kräfte bei den Sicherheitsbehörden zu | |
binden, die Strafverfahren erst einleiten müssen, um sie dann einzustellen. | |
Ein Unsinn ersten Grades, weshalb selbst der [10][Bund Deutscher | |
Kriminalbeamter] schon lange für die Aufhebung des Cannabisverbots | |
eintritt. | |
Und da kommt nun also Daniela Ludwig daher und fordert eine | |
bundeseinheitliche Regelung, die nichts verbessert, sondern die falschen | |
Grundannahmen der Cannabisprohibition erneut untermauert. Denn egal, ob die | |
Obergrenze nun bei 6, bei 10 oder bei 30 Gramm läge – was soll das? Es gibt | |
keine Cannabistoten wegen Überdosierung – und wer wollte jemandem, der eine | |
Kiste Wein kauft, unterstellen, dass er das alles auf einmal austrinkt und | |
ihn qua Verbot davor schützen? | |
Die Politik muss aufhören mit dem Unsinn. Sie muss endlich faktenbasiert | |
argumentieren und handeln. Ob das dann ganz kapitalistisch organisiert ist | |
wie in den USA, staatlich wie in Uruguay oder in gemischten Formen – alles | |
ist besser als das konservativ-ideologisierte Festhalten an einer Politik, | |
die 60 Jahre lang gescheitert ist. Das muss doch mal reichen. | |
Grüne, Linke und FDP haben das übrigens in ihren Wahlprogrammen. Sogar die | |
[11][AfD-Fraktion Hamburg-Mitte] plädierte für Legalisierung, konnte sich | |
aber nicht durchsetzen: Die Bundes-AfD bleibt strikt auf Verbotskurs. Und | |
die SPD will erst mal lokale Modellprojekte, was an Tucholsky erinnert: „Es | |
ist so ein beruhigendes Gefühl. Man tut etwas für die Revolution, aber man | |
weiß ganz genau, mit dieser Partei kommt sie nicht.“ | |
29 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Drogenbeauftragte-der-Bundesregierung/!5625697 | |
[2] /Ordnungswidrigkeit-statt-Straftat/!5795047 | |
[3] https://www.medicalmarijuanainc.com/news/colorado-after-legalization-statis… | |
[4] /Marihuana-Legalisierung-in-Kanada/!5540625 | |
[5] /Legales-Marihuana-in-Uruguay/!5431536 | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=UOD9yMz7Rc0 | |
[7] https://www.youtube.com/watch?v=L27ffKWOBBE | |
[8] https://groups.google.com/g/de.alt.rec.getraenke/c/FfH-qBKJeQU | |
[9] /Politische-Gewalt-in-Mexiko/!5776151 | |
[10] https://www.bdk.de/der-bdk/was-wir-tun/aktuelles/wir-sind-fuer-entkriminal… | |
[11] https://afd-bezirksfraktion-mitte.de/2019/11/legalisierung-von-cannabis/ | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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