# taz.de -- Islamisten in Nordafrika: Durchhalten ist alles | |
> In Libyen und Tunesien versuchen radikal-islamistische Gruppen, Lehren | |
> aus dem Sieg der Taliban in Afghanistan zu ziehen. Sie sehen sich im | |
> Aufwind. | |
Bild: Vorbild für radikale Islamisten in Nordafrika: Triumphierende Taliban am… | |
TUNIS taz | Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wird auch in | |
Nordafrika aufmerksam verfolgt. In den rivalisierenden politischen Lagern | |
in Tunesien und Libyen sind die Reaktionen höchst gegensätzlich. Prominente | |
Vertreter der islamistischen Szene Libyens beglückwünschten die Taliban | |
euphorisch zu ihrem Sieg. | |
Sami Saadi, ein Mitbegründer der Libysch-islamischen Kampfgruppe (LIFG), | |
beschrieb den Einmarsch als göttliches Geschenk an die nun in ihre | |
Hauptstadt zurückkehrenden „Helden“. Khaled al-Sharif, nach 2011 | |
Vize-Verteidigungsminister und ebenfalls Mitglied der in den 80er und 90er | |
Jahren gegen Muammar al-Gaddafi kämpfenden LIFG, lobte den erzwungenen | |
Abzug der US-Armee. | |
Al-Sharif war einer der vielen Islamisten aus Libyen, die zu Zeiten der | |
ersten Talibanherrschaft nach Afghanistan gegangen waren. Al-Qaida hatte in | |
vom Gaddafi Regime vernachlässigten Orten wie Derna aktiv um die Opposition | |
geworben und deren religiöse Vertreter in afghanischen Trainingscamps | |
militärisch ausgebildet. | |
Während des Aufstands gegen Gaddafi 2011 kehrten [1][al-Sharif und viele | |
andere] nach Libyen zurück und wurden zu Kommandeuren von revolutionären | |
Bürgermilizen, die im Herbst 2011 schließlich Tripolis einnehmen konnten. | |
## Zermürbungstaktik der Taliban kopieren? | |
Ein Jahr nach dem Tod Gaddafis organisierten libysche Afghanistanveteranen | |
die Unterstützung der nach Unabhängigkeit strebenden Tourag im benachbarten | |
Mali. Ab 2014 versuchten radikale Milizen aus Derna, Libyens zweitgrößte | |
Stadt Bengasi einzunehmen. Nach einem dreijährigen erbitterten Häuserkampf | |
gegen die Milizenallianz von Chalifa Haftar mussten sie sich nach Tripolis | |
zurückziehen. | |
In Bengasi hat nun der von Ägypten und Saudi-Arabien unterstützte | |
Feldmarschall [2][Haftar] das Sagen. Die Machtübernahme der Taliban | |
erinnert viele in Libyen an die Willkürherrschaft der Milizen in Bengasi | |
und Tripolis. | |
In sozialen Medien wird diskutiert ob die gescheiterten, aber noch immer | |
schwer bewaffneten radikalen Islamisten die Zermürbungstaktik der Taliban | |
kopieren werden. Der politische Analyst Hassan Moraja glaubt, dass vor | |
allem der psychologische Effekt des Machtwechsels in Afghanistan auf den | |
Konflikt in Libyen und den Machtkampf in Tunesien enorm groß ist. | |
„Ein rohstoffreiches Land wird nun von einer mäßig ausgerüsteten Bewegung | |
regiert. Die Taliban haben sich wie viele libysche Islamisten als | |
Gegenmodell eines korrupten, vom Westen unterstützten Regierungssystems | |
dargestellt“, so der Libyer. „Die radikalen Gruppen im Maghreb und Sahel | |
scheiterten bisher an den Hightechwaffen der westlichen Spezialtruppen. | |
Ihre Kommunikation auf sozialen Medien zeigt, dass sie nun überzeugt sind, | |
nur lange genug durchhalten müssen, um doch noch zu gewinnen.“ | |
## Stille Genugtuung über die Niederlage des Westens | |
In dem Land von der siebenfachen Fläche Deutschlands finden Anhänger des | |
„Islamischen Staats“ (IS), von Ansar al-Scharia und anderer Gruppen leicht | |
Unterschlupf. Allein die türkische Regierung hat mehrere Tausend syrische | |
Rebellen aus Idlib für den Kampf gegen Haftar ins Land geholt. Vor einer | |
Woche versuchte sich ein sudanesischer Extremist an einem Kontrollpunkt von | |
Haftars Armee im südlibyschen Zilla in die Luft zu sprengen. | |
Die Extremisten jeder Couleur sehen ihre Vision eines Islamischen Staates | |
wieder greifbar nah, glauben Experten wie Moraja, auch weil sich in | |
sozialen Medien Libyens und Tunesiens eine stille Genugtuung über die | |
Niederlage des Westens breitgemacht hat. | |
Auch Tunesier spielten bei der Herrschaft von al-Qaida und den Taliban vor | |
20 Jahren eine gewichtige Rolle. Zwei aus Tunis stammende Journalisten | |
setzten einen komplexen Anschlagsplan auf den damaligen Anführer der | |
Nordallianz, Ahmed Schah Massud, um, den damaligen Hauptgegner der Taliban. | |
Seitdem Präsident Kais Saied vor sechs Wochen die Macht an sich gerissen | |
hat, warnt er immer wieder vor der Gefahr der im Ausland ausgebildeten | |
radikalen Tunesier. In düsterem Ton beschrieb Saied letzte Woche einen von | |
Sicherheitskräften vereitelten Attentatsplan radikaler Gruppen. Auf dem | |
libyschen Militärflugplatz Watia würden 100 Tunesier auf ihren Einsatz | |
warten, so Saied. Libysche Behörden bestreiten die Anwesenheit von | |
ausländischen radikalen Gruppen im Land. | |
Tatsächlich gibt es wie in den 90er Jahren in Afghanistan Dutzende | |
Trainingslager für Islamisten in Libyen. Der Journalist und Radiomoderator | |
Haythem El Mekki warnt, dass die aktuelle politische Spaltung Tunesien | |
wieder zum Ziel von Terrorgruppen machen könnte. „Seit der Machtübernahme | |
der Taliban ist auf sozialen Medien durch die radikalen Gruppen ein Ruck | |
gegangen“, sagt er. „Sie glauben, dass die Zeit auf ihrer Seite ist.“ | |
Der libysche Imam Hadi Ghariani glaubt nicht, dass es noch Verbindungen | |
zwischen Afghanistan und Nordafrika gibt. Er betont einen anderen | |
psychologischen Effekt für die Demokratisierung der Region: „Niemand ist | |
mehr sicher, ob man sich auf seine westlichen Partner langfristig verlassen | |
kann.“ | |
3 Sep 2021 | |
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[1] /CIA-Kooperation-mit-Libyen/!5084674 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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