# taz.de -- Tunesiens Präsident verlängert „Putsch“: Parlament bleibt in … | |
> Tunesiens Präsident Saied will trotz Protesten weiter nur mittels | |
> umstrittener Präsidialdekreten regieren. Er weiß die Mehrheit der | |
> Tunesier hinter sich. | |
Bild: Der tunesische Präsident Kais Saied bei seiner Rede am Montag | |
TUNIS taz | [1][Tunesiens Präsident Kais Saied] hat am Wochenende die | |
Verlängerung seiner vor acht Wochen erlassenen Präsidialdekrete verkündet. | |
„Es gibt keinen Grund, sie zurückzunehmen“, sagte der frühere Juraprofess… | |
am Samstag vor einer jubelnde Menge in der Provinzstadt Sidi Bousid. | |
Am 25. Juli hatte der vor zwei Jahren mit großer Mehrheit gewählte | |
[2][Saied] die Regierung von Premier Hichem Mechichi abgesetzt, das | |
Parlament für 30 Tage schließen lassen und die Immunität der Abgeordneten | |
aufgehoben. | |
Die Aussetzung der Parlamentsarbeit begründete Saied mit Paragraf 80 der | |
Verfassung. Der erlaubt dem Präsidenten bei „schwerer Gefahr für die | |
Einheit, Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes“, außergewöhnliche | |
Maßnahmen zu ergreifen. Doch ist in dem Text von einer Dauersitzung, nicht | |
der Auflösung des Parlaments die Rede, kritisieren Juristen. | |
Mangels Verfassungsgericht und wegen der starken öffentlichen Unterstützung | |
für Saied bleiben die Stimmen der Experten zurzeit ungehört. Saied | |
begründet sein Vorgehen mit der dramatischen Coronalage im Juli. Die | |
Pandemie hat das Vorzeigeland des Arabischen Frühlings in die größte | |
Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit gestürzt. | |
## 70 Prozent der Menschen unterstützen Saied | |
Laut dem Meinungsforschungsinstitut Sigma unterstützen über 70 Prozent der | |
Tunesier das Vorgehen von Saied, der mit seiner Reise nach Sidi Bousid an | |
die Werte der Arabellion appellierte. In der Provinzstadt hatte vor zehn | |
Jahren der Arabische Frühling begonnen. Doch Vertreter von | |
Zivilgesellschaft und politischen Parteien fordern inzwischen einen | |
konkreten Reformfahrplan und die Einsetzung einer neuen Regierung. | |
Am Samstag hatten Islamisten der radikalen Karama-Bewegung und Anhänger der | |
gemäßig islamischen Ennahda-Partei erstmals seit Saieds Putsch die | |
Wiedereinsetzung des Parlaments gefordert. Starke Polizeikräfte trennten | |
den Aufmarsch von Saied- Anhängern im Zentrum von Tunis. | |
Waren die Auseinandersetzung der politischen Lager im Parlament in den | |
letzten Monaten mehrmals in Schlägereien ausgeartet, blieb es jetzt auf den | |
Straßen ruhig. Armee- und Polizeipatrouillen sind die einzigen Anzeichen | |
politischer Spannungen. | |
Tunesiens Wirtschaftselite ist zunehmend verunsichert. Immer wieder wurde | |
Managern staatlicher Firmen in den letzten Wochen die Ausreise verweigert. | |
Geschäftsleute, die in der Zeit des Langzeitherrschers Ben Ali Gelder | |
hinterzogen hätten, sollten sie in den vernachlässigten Südwesten des | |
Landes investieren, hatte Saied nach seiner Machtergreifung gefordert. | |
## Der Präsident warnt vor „dunklen Mächten“ | |
Doch der nach Ben Alis Flucht unreformierte Sicherheitsapparat setzte die | |
Idee auf seine eigene Art um. Die Direktorin einer Staatsfirma berichtet | |
der taz, sie sei am Flughafen von Tunis über Stunden an der Ausreise | |
gehindert worden, weil auf ihrem Ausweis die Berufsbezeichnung „Direktor“ | |
stehe. „Erst nach einer Weisung des Innenministeriums konnte ich nach Paris | |
fliegen“, sagt die Frau, die anonym bleiben will. | |
In Sidi Bousid verschärfte Saied erneut seinen Tonfall gegenüber den | |
„dunklen Mächten“, die sich gegen Tunesien verbündet hätten. Er werde si… | |
aber an die Verfassung halten und mit „Übergangsdekreten“ regieren. Die | |
Menge im Saal forderte immer wieder Investitionen in die verarmte Region. | |
Vage blieb Saied auch bei der Verkündung einer neuen Regierung und der | |
angekündigten Verfassungsreform. | |
Der Politanalyst Mohammed Dhia Hammami kritisiert, dass Saied sich immer | |
weiter von der geltenden Verfassung löse. Politische Beobachter glauben, | |
Saieds Beraterteam sei organisatorisch überfordert. Fast schon symbolisch | |
brach die Liveübertragung der Veranstaltung durch den Staatssender nach 20 | |
Minuten wegen technischer Probleme ab. Man werde ein Video von Saieds Rede | |
nachliefern, versprach der Moderator. | |
22 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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