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# taz.de -- Globale Allianzen der neuen Rechten: Predigt von ganz rechts
> Evangelikale und Rechtsradikale vernetzen sich, von Brasilien bis nach
> Niedersachsen. Im Zentrum der Allianz steht auch ein AfD-Politiker.
Wie eine Festung ragt der Salomon-Tempel zwischen den Hochhäusern der
brasilianischen Metropole São Paulo empor. Es scheint, als wolle er sich
einen Wettstreit mit den angrenzenden Wolkenkratzern liefern. Alt gegen
Neu. Tradition gegen Moderne. Die Megakirche wurde 2014 als
originalgetreuer Nachbau des Jerusalemer Tempels von König Salomo feierlich
eingeweiht. Der gigantische weiße Klotz ist größer als die Kathedrale von
São Paulo: 55 Meter hoch, Platz für 10.000 Gläubige, eigener
Hubschrauberlandeplatz. Der Tempel ist allerdings mehr als ein Gotteshaus.
Er ist der in Beton gegossene Machtanspruch der brasilianischen
Evangelikalen.
Am 28. März 2021 läuft ein rundlicher Mann über den von Palmen und goldenen
Säulen gesäumten Vorplatz des Salomon-Tempels. Begleitet wird er von sechs
Personen in schicker Kleidung. Ein Video zeigt, wie der Mann durch einen
Nachbau des Offenbarungszeltes spaziert. Wie er religiöse Artefakte
bestaunt. Wie er vor einem siebenarmigen Leuchter in ein Mikrofon spricht.
An diesem Ort sehe er, dass das Wort Gottes lebendig sei. Er spricht von
einer „Kälte des Evangeliums“ in Deutschland. Und davon, dass Brasilien ein
Vorbild sei, um den Glauben in Europa wiederzubeleben.
Der Mann in dem Video ist Waldemar Herdt, 58, Bundestagsabgeordneter der
AfD. Ende März reiste er nach Brasilien, traf sich mit
Politiker*innen und Pastor*innen, besuchte Firmen und Kirchen. Was
macht ein deutscher Abgeordneter mitten in der Coronapandemie in
Brasilien? Die Antwort auf diese Frage führt zu einem Mann, der ein
Netzwerker der christlichen Rechten ist. Zu bibeltreuen Gruppen, die
weltweit Bündnisse schmieden und versuchen, Menschenrechte umzudefinieren.
Und zu einer deutschen Partei, die verstärkt den Austausch mit
rechtsradikalen Kräften in Brasilien sucht.
## In Niedersachsen laufen die Fäden zusammen
Neuenkirchen-Vörden, 30 Kilometer nördlich von Osnabrück. Eine Landstraße
schlängelt sich durch den verschlafenen Ort. Die Rasenflächen vor den
Häusern sind ordentlich gemäht, Deutschlandfahnen wehen im Wind, auf einer
Weide stehen ein paar Kühe. Etwas außerhalb des Ortes liegt ein riesiges
Grundstück, das mit einer Mauer und Bäumen abgeschirmt ist. Ein Schotterweg
führt zu dem Haus, in dem Waldemar Herdt mit seiner Familie lebt. Es ist
Ende Juli. Nachdem zuvor zwei Interviews in Berlin spontan abgesagt wurden,
hat der AfD-Politiker sich zu einem Treffen bei ihm zu Hause bereit
erklärt.
Im Eingangsbereich des großen Hauses begrüßt ein Schild die Besucher*innen:
„Gott segne dieses Haus / und alle, die da gehen ein und aus.“ Sonst wirkt
das Haus eher modern. Ob der Reporter zu Mittag essen will? Seine Frau habe
etwas vorbereitet. Nein, wirklich nicht? Dann führt Herdt in einen
geräumigen Raum mit gekacheltem Boden. Hinter fünf Bildschirmen ist der
erwachsene Sohn des Politikers beschäftigt, er nimmt Anrufe für das
familieneigene Speditionsunternehmen entgegen. Eine breite Fensterfront
gibt Ausblick auf den riesigen Garten. Trampolin, Schaukel,
Veranstaltungszelt. Ein Husky tollt an einer Leine.
Vor dem Interview muss Herdt noch schnell einige Nachrichten und Anrufe
beantworten. Es geht um Armenien, Griechenland, Usbekistan. Man soll
merken: Bei Waldemar Herdt laufen viele Fäden zusammen. Brasilien sei
besonders gewesen, schwärmt Herdt, der aus Kasachstan stammt, mit
russischem Akzent. Er trägt ein Poloshirt mit dem Aufdruck „Herdt
Baukonzept“, die Lesebrille klemmt auf dem Kopf.
Der Plan, nach Brasilien zu reisen, sei 2019 auf dem Prayer Breakfast im
Weißen Haus in Washington entstanden. Einmal im Jahr kommen in der
US-amerikanischen Hauptstadt auf Initiative einer konservativen
christlichen Organisation Politiker und religiöse Gruppen aus der ganzen
Welt zusammen. Das Treffen gilt als wichtige Lobbyveranstaltung
christlicher Interessengruppen in den USA. Einige katholisch, viele
evangelikal, nicht wenige fundamentalistisch. Auch der ehemalige
US-Präsident Donald Trump sprach dort. „Es war keine Rede eines
Präsidenten“, sagt Herdt begeistert, „es war eine Predigt.“
4.500 Menschen nahmen im Jahr 2019 an der Veranstaltung teil, vor allem
Politiker*innen, aber auch Pastor*innen und Unternehmer*innen. Zehn
Abgeordnete reisten aus Deutschland an. Herdt kam dort auch mit
brasilianischen Abgeordneten ins Gespräch. Mit wem genau, will er nicht
verraten. Was er aber sagen will: „Beim Prayer Breakfast musste ich
feststellen, dass nicht nur ich persönlich, sondern die ganze AfD keine
Beziehung zu Lateinamerika hat.“ Das sollte sich bald ändern. Im Juli
dieses Jahres reiste auch AfD-Politikerin Beatrix von Storch nach
Brasilien. Doch der wichtigste Politiker dieser neuen AfD-Allianz heißt
Waldemar Herdt.
## Herdt und die russischen Staatsmedien
In Deutschland steht Herdt nur selten im Fokus. Dabei ist er ein viel
beschäftigter Mann. Er ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und des
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, gehört mehreren
internationalen Gremien des Bundestages an. Er sitzt im Gemeinderat von
Neuenkirchen-Vörden.
Googelt man seinen Namen in kyrillischen Buchstaben, erhält man tausende
Treffer: Waldemar Herdt äußert sich in russischen Staatsmedien. Zum
Klimawandel, zur Flutkatastrophe, zur Ukraine, zum Impfen, zur Migration,
zu Nord-Stream 2, zur EU. Fast wöchentlich kommt er zu Wort. Gelegentlich
wird er live in die Hauptnachrichtensendung zugeschaltet. Ein Ende 2020
erschienener Nato-Bericht zu russischen Einflussoperationen in Deutschland,
der der taz und dem ARD-Politikmagazin „Kontraste“ vorliegt, die für diese
Recherche kooperiert haben, benennt ihn als einen der wichtigsten
Schlüsselakteure für die Verbreitung von kremltreuen Narrativen über
Deutschland.
Herdt ist 1993 nach Deutschland zugewandert. Er ist als Russlanddeutscher
in Kasachstan aufgewachsen, wurde zum Agraringenieur ausgebildet, war
Leiter einer LPG. In Niedersachsen ist er seit 2004 als Bauunternehmer
tätig. Bevor er zur AfD fand, engagierte er sich in der Partei Bibeltreuer
Christen. Bis Anfang des Jahres war er Sprecher des Regionalverbands Nord
der „Christen in der AfD“. „Es sind die Werte der Bibel, die mir meinen W…
weisen“, schreibt er auf seiner Homepage.
Im Gespräch gibt sich Herdt als perfekter Christ und liebevoller Opa, der
in der niedersächsischen Provinz sein persönliches Paradies erschaffen hat.
Das Anwesen gehörte einst dem Unternehmer Anton Pohlmann, den man
„Hühnerkönig“ nannte, weil er mit Geflügel Millionen machte. Am Rande das
Grundstücks gackern noch ein paar Hühner. Eigentlich wollte Herdt hier ein
Mehrgenerationenhaus errichten. Doch der Gemeinderat stellte sich quer,
lehnte das Projekt ab.
Herdt ist ein Mann, der viel von „Menschlichkeit“ redet. Der immer wieder
betont, die Familie sei das Wichtigste. Der sich als Kriegsgegner
inszeniert. Herdt ist nicht der klassische AfD-Hetzer. Und dennoch: Er
spricht von „Klimahysterie“ und sagt, dass das „kollektive Schuldgefühl�…
den Deutschen die Würde nehme. Immer wieder warnt er vor einem „neuen
Modell für die Gesellschaft“. Er redet von „Genderismus“, „normalen
Familien“ und davon, dass wir bald in „Sodom und Gomorrha“ landen könnte…
Damit ist er ganz auf Linie mit der evangelikalen Szene.
Herdts religiöse Heimat ist ein zweistöckiger Bau mit blaugetönten
Scheiben, an einer stark befahrenden Straße gelegen, unweit des Osnabrücker
Hauptbahnhofs. „Evangelische Freikirche Lebensquelle“ steht am Eingang,
darüber ein Kreuz. Sonst wirkt das Gebäude unauffällig, wenig sakral. Herdt
engagiert sich aktiv im Gemeindeleben der evangelikalen Kirche. Die
„Lebensquelle“ gehört zu den russlanddeutschen Pfingstgemeinden. Diese
betreiben in der Regel keine kritische Bibelexegese. Das heißt: Was in der
Bibel steht, gilt als gottgegeben und wird nicht hinterfragt. Besonders in
Westdeutschland wurden die evangelikalen Gemeinden verschiedener
Ausrichtungen stark vom Zuzug der Aussiedler seit den 1980er Jahren
geprägt.
## Die gefährlichen Prediger der Pfingstbewegung
Der Religionswissenschaftler Martin Radermacher von der Universität Bochum
ist Experte für Evangelikalismus. Er hat Varianten dieser Glaubensrichtung
erforscht. „Die Pfingstbewegung geht davon aus, dass das biblische
Pfingsterlebnis die Menschen auch heute treffen kann: Der Heilige Geist
fährt dann in einen Menschen, manchmal kommt es dann zu Phänomenen wie
‚Zungenreden‘ – die Gläubigen reden dabei in anderen Sprachen oder
Sprachen, die es zwar nicht gibt, die aber als göttliche Eingebung
aufgefasst werden“, erklärt Radermacher. Auch Wunderheilungen und
Dämonenaustreibungen gehörten dazu. Schätzungen gehen davon aus, dass diese
besondere konfessionelle Ausrichtung in Deutschland etwa 60.000 Mitglieder
hat.
Die „Lebensquelle“ hat einen eigenen Youtube-Kanal, die Videos sind
professionell produziert. In den Gottesdiensten spielen Bands christliche
Popmusik. Die Musiker sehen aus wie durchschnittliche junge Erwachsene.
Dreitagebart, Ohrringe, H&M-Hemden. Ihre Auftritte sind emotional, beinahe
rührselig: „Du hast für mich den Tod besiegt. Danke, Jesus.“ Vor der Büh…
wird getanzt, geklatscht, Hände werden in die Luft gereckt. „Danke, Jesus.
Danke, Jesus“.
Viele Gemeinden orientierten sich heute an US-amerikanischen
Ausdrucksformen, sagt Radermacher. „Sie entwickelten attraktive
Gottesdienste mit moderner Musik, die auch neue Mitglieder anzogen. Dabei
geht es viel um Gemeinschaftserlebnisse und Emotionen.“ Viele Gemeinden
verzeichnen einen wachsenden Mitgliederzulauf. Die „Lebensquelle“ ist
allerdings nicht unumstritten. Ihr wurde vorgeworfen, sogenannte
Konversionstherapien zur „Heilung von Homosexualität“ und fragwürdige
Suchttherapien durchzuführen.
Manchmal kommen Gastprediger nach Osnabrück. Auch ihre Auftritte sind auf
Youtube dokumentiert. Einer von ihnen ist Alexey Ledyaev aus Lettland. Auch
seine Auftritte sind hochemotional. Er flüstert, raunt, schreit, kann die
Gläubigen in tranceähnliche Zustände predigen. In Riga führt er die „New
Generation Church“, er ist bekannt für aggressiv homophobe Auftritte.
Waldemar Herdt bezeichnet ihn als „Freund“. Ledyaev war 2017 einer der
ersten Gäste des damals frisch gewählten AfD-Bundestagsabgeordneten. Bei
der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2019 unterstützte der lettische
Prediger offensiv die Kandidaten der rechts-konservativen,
russlandfreundlichen Centra Partija (Zentrumspartei). Der deutsche
Abgeordnete Waldemar Herdt kandidierte damals auf Platz zwei der lettischen
Partei für das Parlament in Brüssel.
In diesem Rahmen trat er auch bei einer Wahlkampfveranstaltung auf, die der
Prediger im Namen der Organisation „Watchmen on the Wall“ veranstaltete.
Die Watchmen sind ein gemeinsames Projekt von Ledyaev und dem
rechtsradikalen, fundamentalistischen US-amerikanischen Prediger Scott
Lively. In einer Predigt Ledyaevs zur Gründung der Watchmen heißt es, LGBT
versuchten eine „Diktatur der Homosexualität“ zu errichten, die Watchmen
sollten die Gesellschaft vor der „Kultur des Todes“ verteidigen und
Politiker unterstützen, die ihre Werte teilen.
Lively ist Koautor des Buches „Pink Swastika“, das Homosexuelle für den
Holocaust verantwortlich macht. Anfang August rief er seine
Anhänger*innen in einer Videobotschaft auf, in den Untergrund zu gehen.
Obwohl er bei einer Veranstaltung der Watchmen in Riga im November 2018
zusammen mit Lively als umjubelter Stargast auftrat, gibt Waldemar Herdt
auf Nachfrage von taz und „Kontraste“ an, ihn zwar irgendwie zu kennen,
sich aber nur vage erinnern zu können. Besser erinnern kann sich Herdt an
seine Gesprächspartner in Brasilien. Das größte Land Lateinamerikas spielt
für die christliche Rechte eine immer wichtigere Rolle.
## Die Brasilien-Allianz
Im größten katholischen Land der Welt haben evangelikale Kirchen seit
Jahren regen Zulauf und stellen bereits 31 Prozent der Bevölkerung. Laut
Berechnungen werden die Evangelikalen hier im Jahr 2032 die Mehrheit
stellen. Ähnlich wie in den USA gibt es riesige, hochmoderne
Prestigebauten, so wie den Salomon-Tempel in São Paulo. An fast jeder
Straßenecke finden sich aber auch kleine Kirchen. Oft reichen ein paar
Plastikstühle und ein Mikrofon mit Boxen für die lautstarken Predigten. Mit
ihren Heilsversprechen, charismatischen Pastor*innen und spektakulären
Gottesdiensten haben die Kirchen gerade in den vom Staat vernachlässigten
armen Randgebieten großen Zulauf.
Früher stand für die Kirchen die Vorbereitung auf die Wiederkehr des
Messias im Fokus. Politik wurde als „zu weltlich“ betrachtet. Heute nehmen
sie direkten Einfluss auf Politiker*innen und treten als
„Weltveränderer“ auf. Im Parlament in Brasília gibt es einen
Zusammenschluss strenggläubiger Abgeordneter, viele Abgeordnete sind
Pastor*innen: sonntags predigen, montags abstimmen. Das hat auch den
AfD-Mann Waldemar Herdt beeindruckt. „In Brasilien kann man den Glauben
ausleben, ohne gesellschaftlichen Gegendruck zu fühlen“, sagt Herdt.
Im Vorfeld des Wahlkampfs im Jahr 2018 suchte die evangelikale Elite die
Nähe zur neuen Rechten, vor allem zu einem Mann: Jair Messias Bolsonaro.
Der heutige Präsident ist eigentlich katholisch, ließ sich aber
medienwirksam im Jordan taufen, war umjubelter Stargast bei evangelikalen
Veranstaltungen und wurde von Promi-Pastor Silas Malafaia mit seiner
dritten Ehefrau vermählt.
Es ist eine mächtige Allianz mit immer mehr Einfluss. Ministerin für
Frauen, Familie und Menschenrechte ist Damares Alves, eine Pastorin und
bekannte Anti-Abtreibungs-Aktivistin. Im August 2020 sorgte sie für
Aufsehen, weil ihr Ministerium religiöse Fundamentalist*innen dabei
unterstützt hatte, eine 10-Jährige an einer Abtreibung zu hindern, nachdem
sie durch Vergewaltigung schwanger geworden war.
Neben der Ablehnung von Schwangerschaftsabbrüchen verbindet Evangelikale
und die neue Rechte auch der Kampf gegen LGBT. Dafür suchen sie auch
verstärkt den Kontakt ins Ausland. „Sie wollen aus ihrer Agenda ein
globales Thema machen“, sagt die Anthropologie-Professorin Christina Vital,
die seit vielen Jahren über Evangelikale forscht. „Dafür verbinden sie sich
mit zahlreichen Kräften in der ganzen Welt und agieren in internationalen
Netzwerken.“ Brasilianische Evangelikale haben laut Vital direkte
Verbindungen in das Weiße Haus. Kontakte nach Europa gebe es bisher aber
wenige, schon gar nicht nach Deutschland. Will Waldemar Herdt das ändern?
Herdt traf zahlreiche Pastor*innen und evangelikale Politiker*innen
in Brasilien. Ein Treffen mit Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro, ebenfalls
evangelikal, war geplant, konnte aber wegen einer Urlaubsreise nicht
stattfinden. Dafür fand ein Treffen mit dem Gospelsänger und ehemaligen
Bürgermeister Rio de Janeiros Marcelo Crivella statt, der bis Februar wegen
Korruptionsvorwürfen unter Hausarrest stand. Doch besonders ein
Gesprächspartner hatte es in sich: Marco Feliciano. Abgeordneter,
hochrangiges Regierungsmitglied und Pastor. Er ist das wahrscheinlich
wichtigste Bindeglied zwischen den Freikirchen und der Politik. Und er ist
hochumstritten. Mehrfach äußerte er sich rassistisch und homofeindlich.
Herdt sagt dazu nur: „Man kann jeden mit Dreck beschmieren.“ Außerdem habe
er vorher keine genaue Recherche über seinen Gesprächspartner gemacht.
Waldemar Herdt ist nicht der einzige AfD-Politiker, der Verbindungen nach
Brasilien sucht. Am 28. Oktober 2018, Wahltag in Brasilien, ziehen im
ganzen Land Menschen durch die Straßen. Jubel, Feuerwerk, Partystimmung.
Der rechtsradikale Jair Messias Bolsonaro war wenige Stunden zuvor zum
Präsidenten gewählt worden. Der Obmann der AfD im Auswärtigen Ausschuss,
Petr Bystron, bezeichnete Bolsonaro noch am gleichen Tag als „aufrechten
Konservativen“ und erklärte: „Die konservative Revolution hat damit auch
Südamerika erreicht.“
Auch andere Politiker*innen bejubelten den Wahlsieg des Mannes, der im
Wahlkampf damit drohte, politische Gegner zu erschießen, und Fotos von
Folterknechten in seinem Büro hängen hat. Zum Beispiel Christian Blex. Der
AfD-Abgeordnete des nordrhein-westfälischen Landtags, der dem mittlerweile
aufgelösten „Flügel“ zugerechnet wird, hat familiäre Beziehungen nach
Brasilien, ist oft im Land. „Rein persönlich“, wie er gegenüber der taz
betont. Als Innenpolitiker wolle er sich nicht in ausländische Politik
einmischen. Über Bolsonaros Wahl habe er sich dennoch gefreut. Der sei ihm
sympathisch, weil er den „Klimaunsinn“ ablehne und die „Coronapanik“
nicht mitmache. Und die Kritik an Bolsonaro? Es sei klar, dass seine
Positionen dem „linken Mainstream“ nicht gefallen. Blex habe angeregt, eine
Parlamentariergruppe Brasilien im Landtag zu gründen, dies sei aber
gescheitert. „Vielleicht dann in der nächsten Legislaturperiode“, sagt er.
Ein weiterer AfD-Politiker mit Verbindungen nach Brasilien ist der
Thüringer Landtagsabgeordnete Torben Braga. Der 30-Jährige war
Pressereferent der deutsch-national völkischen „Deutschen Burschenschaft“.
Er gilt als politischer Ziehsohn von Björn Höcke. Braga ist in Brasilien
geboren und aufgewachsen, ging in Rio de Janeiro zur Schule. Er hat gute
Chancen, im September über die thüringische Landesliste in den nächsten
Bundestag einzuziehen. Auch Braga jubelte in den sozialen Medien über den
Wahlsieg Bolsonaros, gibt sich im Interview aber zurückhaltender. Als
„national und konservativ denkender Mensch“ seien Hoffnungen mit Bolsonaro
verknüpft, der Ton des ehemaligen Fallschirmjägers sei aber nicht seiner.
Und die Hetze gegen Minderheiten? Bolsonaro erklärte schließlich, lieber
einen toten als einen schwulen Sohn zu haben, er beschimpfte Schwarze
rassistisch, sagte zu einer Abgeordneten, dass sie nicht einmal verdiene,
vergewaltigt zu werden. Braga sagt, er kenne die Zitate nicht und könne
sich deshalb nicht dazu äußern.
## Kampf gegen Abtreibungen und LGBT-Rechte
Ende Juli dieses Jahres tauchte schließlich ein Foto in den sozialen Medien
auf, das eine braungebrannte, fröhlich lächelnde Frau im Arm von Präsident
Bolsonaro zeigt. [1][Es ist Beatrix von Storch]. Von Storch traf in
Brasilien noch weitere einflussreiche Politiker*innen, darunter den Sohn
des Präsidenten, den Abgeordneten Eduardo Bolsonaro. Er nimmt eine wichtige
Rolle in der Regierung ein, pflegt viele Kontakte zu rechten
Politiker*innen im Ausland und gilt als inoffizieller Außenminister.
Von Steve Bannon, dem ehemaligen Chefstrategen Donalds Trumps, wurde
Eduardo Bolsonaro zum Lateinamerika-Chef von „The Movement“, einem
geplanten internationalen rechten Netzwerk, berufen. Im Vergleich zum
Besuch von Waldemar Herdt löste der Besuch von Beatrix von Storch, der
Enkelin von Hitlers Finanzminister, eine riesige Empörung in Brasilien aus.
Vor allem jüdische Gruppen und Menschenrechtsorganisationen kritisierten
das Treffen scharf. Das Holocaust-Museum in der südbrasilianischen Stadt
Curitiba sprach von einer Belastung „für den Aufbau einer kollektiven
Erinnerung an den Holocaust in Brasilien und für unsere eigene Demokratie“.
Wie Herdt war auch von Storch Vertreterin der christlich-konservativen
Strömung der AfD. Dort sammelten sich Vertreter*innen verschiedener
christlicher Konfessionen: Freikirchen, Anglikaner, Gegner*innen des
amtierenden Papstes und vorkonziliare Katholiken. Ihre Haltung steht oft in
scharfer Abgrenzung zu den offiziellen Positionen der katholischen und
evangelischen Kirche. Das Leitmotiv dieser religiösen Rechten ist die
Verteidigung dessen, was sie sich unter einem „christlichen Abendland“
vorstellen: der Kampf gegen Abtreibungen und LGBT-Rechte, der Einsatz für
traditionelle Familienbilder als allgemeingültige Norm und die Abwehr einer
vermeintlichen „Islamisierung“.
Die AfD stellte zudem mehrere Kleine Anfragen über die
Entwicklungszusammenarbeit mit Brasilien. „Das ist ein Deckmäntelchen, um
der Bolsonaro-Regierung einen demokratischen Anstrich zu verpassen“, meint
die SPD-Politikerin Yasmin Fahimi, Vorsitzende der Deutsch-Brasilianischen
Parlamentariergruppe im Bundestag. „Viele problematische Themen werden
nicht angesprochen.“
Warum gerade Brasilien? Viele Themen verbinden die Rechtsaußenpartei mit
der Bolsonaro-Regierung. Klima- und Coronapolitik, Antikommunismus,
Ablehnung des UN-Migrationspaktes. Aber vor allem geschlechter- und
familienpolitische Fragen sind für beide Seiten extrem wichtig.
Analyst*innen aus Brasilien vermuten, dass Brasilien nach der Abwahl von
Donald Trump eine neue führende Rolle für die christliche Rechte zukommen
könnte. Einiges spricht dafür, dass der AfD-Politiker Waldemar Herdt ein
zentraler Netzwerker dieser internationalen konservativ-christlichen
Allianz ist. Denn Herdt gründete 2019 eine Organisation, bei der offenbar
vieles zusammenlaufen soll.
## Menschenrechtsgremien als Einfallstor
Moskau im Sommer 2019: Die Staatsduma der Russischen Föderation hat
eingeladen, zum zweiten Mal findet das „Internationale Forum zur
Entwicklung des Parlamentarismus“ statt. Die angereisten Gäste treffen sich
in der Kongresshalle des Welthandelszentrums. Der Parlamentspräsident,
Außenminister Lawrow und sogar Präsident Putin persönlich halten Reden. Der
Kreml versucht mit dieser Veranstaltung russlandfreundliche
Parlamentarier*innen zu vernetzen und Multiplikator*innen für
die Ziele russischer Außenpolitik zu gewinnen. „Parlamentarische
Demokratie“ nennt man solche Inszenierungen in Moskau. Auch Waldemar Herdt
ist nach Moskau gereist. Auf eigene Initiative, ohne Auftrag des
Bundestages. Herdt hat eine Idee, die er dort im Fernsehkanal der Duma
präsentieren darf: die Gründung einer „alternativen
Menschenrechtskommission“. Gegenüber der taz erklärt er das so: „Ich habe
festgestellt, dass alle Menschenrechtsorganisationen einen
links-genderistischen Touch haben. Komplett. Die konservative Seite ist
überhaupt nicht vertreten. Wir brauchen eine interparlamentarische
Kommission auf der Basis christlich-konservativ-patriotischer Werte.“
Und tatsächlich beschließt die AfD-Bundestagsfraktion wenige Monate später,
im Dezember 2019, die Gründung der „Interparlamentarischen
Menschenrechtskommission“ (IPMK) – unter Vorsitz von Waldemar Herdt. Sie
solle sich, so schreibt die AfD in einer Pressemitteilung, um „die von der
links-grünen Ideologie verdeckten klassischen Menschenrechte“ kümmern.
Inzwischen seien Parlamentarier*innen und Expert*innen aus 30
Ländern Mitglied geworden, so Herdt. Die USA, Portugal, Serbien, Russland,
Weißrussland, Kasachstan, die Mongolei und eben neuerdings Brasilien seien
vertreten. Man erarbeite Resolutionen, die dann in Gesetzesinitiativen
eingehen würden. Die IPMK hat trotz Corona bereits verschiedene
Veranstaltungen durchgeführt. Unter anderem eine Onlinekonferenz zum Thema
Extremismus, wo russische Duma-Abgeordnete und Aktivist*innen,
US-amerikanische Prediger und der unter Trump amtierende Sonderbotschafter
für Religionsfreiheit Sam Brownback zusammentrafen.
Das Thema Menschenrechte und die Besetzung von Positionen in
menschenrechtsrelevanten Gremien ist weltweit zu einer Art Einfallstor für
die christliche Rechte geworden. So auch in Brasilien. Dort wurde 2013
Marco Feliciano, Herdts Gesprächspartner, zum Vorsitzenden der
Menschenrechtskommission im Abgeordnetenhaus gewählt. „Er kam nicht zu
diesem Posten, weil er zuvor in dem Bereich gearbeitet hatte, sondern weil
er LGBT-Themen stoppen wollte“, sagt die Anthropologin Christina Vital. Der
Fuchs habe damals den Hühnerstall übernommen. Auch die evangelikale
Ministerin Damares Alves versucht, eine neue Definition von Menschenrechten
zu etablieren. Und AfD-Mann Herdt? Für ihn bedeuten Menschenrechte vor
allem drei Dinge: „Recht auf Leben, Recht auf Arbeit, Recht auf Glauben“,
sagt er im Interview.
Das ist allerdings nur ein Bruchteil dessen, was das Grundgesetz und die
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beinhalten. Das Deutsche Institut
für Menschenrechte, die unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution
Deutschlands, schlug bereits im Juni in einer ausführlichen Studie zur AfD
Alarm. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die AfD aus
menschenrechtstheoretischer Sicht Positionen vertrete, die [2][„nicht auf
dem Boden des Grundgesetzes“] stehen.
Der umtriebige Waldemar Herdt tritt dieses Jahr nicht erneut zur Wahl für
den Bundestag an. Er hatte bei der ersten Aufstellungsversammlung zwar
kandidiert, wurde allerdings nicht gewählt. Dass mit seinem Abgang auch die
von ihm angestoßenen Projekte einschlafen, ist jedoch fraglich. Klar ist:
Auf die Kontakte, die er geknüpft hat, werden auch die nachfolgenden
Mitglieder der neuen AfD-Fraktion zurückgreifen können. Das IPMK-Gremium
solle fortgeführt werden, betont er im Interview.
Herdt selbst will zumindest in nächster Zeit weiterhin als Sprecher der
IPMK auftreten. Im kommenden Januar sei zudem eine Konferenz im Deutschen
Bundestag geplant. Dazu sind auch Gesprächspartner*innen aus Brasilien
geladen. Und Waldemar Herdt hat bereits ein neues Projekt: eine europäische
Stiftung, die „European Christian Coalition“. Eine Homepage gibt es schon.
20 Aug 2021
## LINKS
[1] /Antifa-Berlin-Brasil/!5792271
[2] https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/publikationen/detail/nicht-auf-…
## AUTOREN
Andrea Becker
Niklas Franzen
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