# taz.de -- Wie Klimaschutz im Verkehr funktioniert: Ein Leben ohne Auto | |
> Auch auf dem Land kann man klimafreundlich mobil sein. Dafür muss man die | |
> Eisenbahn ausbauen und klug mit anderen Fortbewegungsmitteln kombinieren. | |
Bild: Viel Landschaft, wenig Bahn: Das soll sich jetzt ändern | |
Hamburg taz | Ein Leben ohne Auto ist möglich – aber sinnlos. Loriots einst | |
dem Mops gewidmete Weisheit würden zumindest die Autofahrer in ländlichen | |
Gegenden wohl unterschreiben. Neun von zehn Haushalten haben dort ein Auto, | |
während es im Bundesdurchschnitt nur die Hälfte sind. 70 Prozent der Wege | |
auf dem Land werden mit dem Auto zurückgelegt. Die Alternativen gelten als | |
zu teuer, zu unflexibel, zu unbequem. | |
Blöd nur, dass der [1][Weltklimarat] ([2][IPCC]) gerade in nie da gewesener | |
Deutlichkeit vor einer radikalen Veränderung unserer Umwelt gewarnt hat, | |
sollte es der Menschheit nicht gelingen, den Kohlendioxid-(CO2-)Ausstoß und | |
damit die Erderwärmung zu dämpfen. Ein Fünftel der Treibhausgasemissionen | |
in Deutschland verursacht laut [3][Umweltbundesamt] der Verkehr. | |
[4][EU-weit] stammen wiederum 60 Prozent davon aus Pkws. | |
Zum Glück liegen die Ideen, wie sich der [5][Verkehr auch auf dem Land | |
autoarm und perspektivisch auch CO2-neutral] organisieren ließe, auf dem | |
Tisch. Forscher, Kommunen, Verkehrs- und Beratungsunternehmen machen sich | |
darüber seit Langem Gedanken, etwa auf der jährlich stattfindenden | |
[6][Deutschen Konferenz für Mobilitätsmanagement (Decomm)]. Kernstück einer | |
Verkehrswende wäre es, die in den vergangenen Jahrzehnten stillgelegten | |
Bahnstrecken zu reaktivieren. Oft wäre das ohne großen Aufwand möglich und | |
es wäre viel gewonnen. | |
Denn die Bahn ist das ideale Verkehrsmittel, um Ober- und Unterzentren | |
miteinander zu verbinden. Sie fährt umweltfreundlicher als das Auto und | |
auch der Bus – und sie ist schneller als der Bus. Deshalb ist selbst für | |
den wohl bald scheidenden Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der | |
CSU klar, dass die Schiene „in der Fläche“ ausgebaut werden soll. | |
Deutschland kann hier ruhig nachlegen. [7][Nachbarländer wie die Schweiz | |
geben laut einer Übersicht der Allianz ein Vielfaches pro Kopf für die | |
Schiene aus]. | |
## Problem der letzten Meile | |
Richtig spannend wird es allerdings auf der „letzten Meile“, also bei der | |
Frage, wie die Leute auf den letzten Kilometern nach Hause kommen sollen. | |
Das Stichwort hierfür lautet „Integration“, also die bequeme und leicht zu | |
handhabende Kombination einer Vielzahl unterschiedlicher Verkehrsangebote. | |
Das können zum einen Abwandlungen des klassischen Pkw-Verkehrs sein. Da | |
wäre zunächst der klassische Linienbus; wo sich dieser mangels Nachfrage | |
nicht mehr lohnt, könnten Rufbusse infrage kommen. Sie könnten von | |
vornherein nur auf Anfrage losfahren wie ein Sammeltaxi oder auch im festen | |
Takt bestimmte Strecken bedienen, von denen sie auf Anforderung abweichen | |
würden. | |
Ein entsprechendes System unter dem Namen „[8][moobil“ bietet etwa der | |
südniedersächsische Kreis Vechta] an. 13 Kleinbusse fahren die Bahnhöfe der | |
Nordwestbahn an. Bei Anmeldung nehmen sie auch an Bedarfshaltestellen | |
Fahrgäste mit. | |
Billiger und flexibler wären [9][Bürgerbusse], die von Ehrenamtlichen | |
gesteuert werden oder auch autonome Fahrzeuge, bei denen keine Lohnkosten | |
anfallen. Ebenfalls wiederentdeckt haben manche Gemeinden das Mitfahren | |
beim Nachbarn bis hin zum Trampen, für das sie eigene Haltestellen | |
eingerichtet haben, sowie das Carsharing. | |
## Der Bus als Lieferauto | |
Eine Möglichkeit, die Versorgung auf den Dörfern sicherzustellen und | |
zugleich den Busverkehr auskömmlicher zu machen, bestünde darin, Güter im | |
Bus mitzunehmen, wie es etwa das Berliner Beratungsunternehmen | |
[10][Interlink] vorschlägt. Der Bus fährt regelmäßig und pünktlich. Mit ihm | |
könnten lokale Läden oder Verteilzentren beliefert werden; er könnte aber | |
auch die Waren lokaler Erzeuger in die Zentren mitnehmen. | |
Der Bus spielt auch eine wichtige Rolle für den Fahrradverkehr. Man müsse | |
das Rad und den öffentlichen Verkehr „als Allianz denken“, sagte der | |
Verkehrsforscher Uwe Böhme von der Technischen Universität Berlin bei einem | |
Vortrag auf der Decomm-Tagung 2017. | |
Der Bus – im Übrigen noch viel mehr die Bahn – muss Platz fürs Rad | |
vorhalten, damit Radler große Distanzen überbrücken und bei schlechtem | |
Wetter oder Erschöpfung ausweichen können. Allerdings warnte Böhme: | |
„Sichtbare Verlagerungseffekte des motorisierten Individualverkehrs sind | |
nicht zu erwarten.“ | |
Das Fahrrad hat jedoch als Verkehrsmittel durch den elektrischen | |
Hilfsantrieb einen Schub bekommen. Das Pedelec verringert die Fahrzeit, | |
erhöht die Reichweite, vermindert den Schweiß des Radlers – und verbessert | |
damit das Konkurrenzverhältnis zum Auto. Um ein [11][extremes Beispiel des | |
Lüneburger Forschers Peter Pez] zu wählen: In der Hauptverkehrszeit ist man | |
mit einem herkömmlichen Fahrrad bis zu einer Entfernung von knapp drei | |
Kilometern schneller als mit dem Auto, mit dem Pedelec bis zu elf | |
Kilometern. | |
## Zugestellte Radwege | |
Diese Werte sind Pezens Forschungen zufolge stark von der | |
Radverkehrsfreundlichkeit der gewählten Stadt und den Verkehrszeiten | |
abhängig sowie davon, ob sich Radler strikt an die Regeln halten. Um den | |
Radverkehr attraktiver zu machen, schlägt er vor, die Lücken im | |
Radroutennetz zu schließen und die Barrieren auf den Radwegen abzuräumen, | |
was er mit einer Galerie enger, zugestellter und versperrter Radwege | |
illustriert. | |
Wenn es darum geht, Verkehrsmittel miteinander zu verknüpfen, werden | |
elektronische Systeme eine wichtige Rolle spielen, mit denen sich Angebote | |
finden und buchen lassen. Sie müssen möglichst einheitlich und einfach zu | |
bedienen sein. Für alle, die sich mit dem Smartphone oder Computer schwer | |
tun, müsse zudem eine analoge Buchung, etwa per Telefon, möglich sein, | |
fordert das „[12][Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende]“. | |
Das Bündnis, zu dem Umwelt- und Sozialverbände ebenso wie Gewerkschaften | |
gehören, weist auch darauf hin, dass die Verkehrswende ohne einen | |
Mentalitätswandel nicht zu schaffen sein wird. Dazu gehöre „ein kritisches | |
Hinterfragen von Konsumgewohnheiten, die das Verkehrsaufkommen erhöhen“, | |
Beteiligung und Mobilitätsbildung für alle Altersklassen. | |
„Es muss“, so das Fazit, „an vielen Schrauben gedreht werden.“ | |
13 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Warnung-des-Weltklimarats-IPCC/!5792170 | |
[2] https://www.ipcc.ch/ | |
[3] https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/emissionen-des-verkehrs#minder… | |
[4] https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20190313STO31218/c… | |
[5] https://depomm.de/decomm/decomm-2017/ | |
[6] https://depomm.de/decomm/ | |
[7] https://www.allianz-pro-schiene.de/presse/pressemitteilungen/deutschland-be… | |
[8] https://www.moobilplus.de/wie-funktioniert-moobilplus/#answer-id-2 | |
[9] /Alternative-zur-Kuestenautobahn/!5076622 | |
[10] https://www.interlink-verkehr.de/ | |
[11] https://depomm.de/decomm/decomm-2018/ | |
[12] https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/verkehr/29448.html | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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