# taz.de -- Über den Strukturwandel in der Lausitz: „Nicht nur Investitionen… | |
> Nur Geld zur Verfügung stellen, reicht nicht, sagt Heidi Pinkepank von | |
> der BTU Cottbus-Senftenberg. Man müsse es gezielt einsetzen – etwa für | |
> Kultur. | |
Bild: Welzow: dort befindet sich neben Jänschwalde der letzte verbliebene Tage… | |
taz: Frau Pinkepank, die Zeit der Kohle in der Lausitz geht zu Ende. Für | |
den Strukturwandel in der Region stehen von Bund und Land insgesamt zehn | |
Milliarden Euro zur Verfügung. Ist das ein Grund zur Freude? | |
Heidi Pinkepank: Ein Grund zur Freude ist es erst einmal, dass wir aus der | |
Braunkohle aussteigen. Auch ohne Geld ist Klimaschutz eine wichtige Sache. | |
Um die Region fit für die Zeit nach der Kohle zu machen, braucht es aber | |
auch die richtigen Strategien. Nur Geld für den Strukturwandel zur | |
Verfügung zu stellen, reicht nicht. | |
Was müsste man tun? | |
Man muss die Wirtschaft in der Lausitz grün umbauen. Dafür braucht es vor | |
allem Zeit und Strategien. Eine Gießkanne an Geld, die man über der Lausitz | |
als eine Art Wiedergutmachung ausgießt, ist zu wenig. Wir brauchen Idee, | |
wir brauchen Köpfe, es kann nicht sein, dass es nur um Investitionen in | |
Beton geht. | |
Was sagen die Menschen in der Lausitz zum Strukturwandel und den | |
Strukturstärkungsmitteln, wie sie heißen? Kann sich eine Bergbauregion so | |
einfach in eine Wissenschaftsregion wandeln? | |
In der Diskussion um den Kohleausstieg wurde immer betont, wie viele | |
Arbeitsplätze in der Braunkohle verloren gehen. Allerdings war die Lausitz | |
schon immer eine Region, die sich stark verändert hat. Die Leute haben es | |
immer wieder geschafft, damit klarzukommen. Die Menschen in der Lausitz | |
sind geübt in diesem Wandel. | |
Die Verbundenheit mit der Kohle und dem Bergbau ist also gar nicht so | |
stark? | |
Wenn ich sehe, wie viele Autos mit dem Steigerzeichen herumfahren, ist | |
diese Identität nach wie vor da. Auch das Steigerlied wird zu vielen | |
Anlässen gesungen. Aber die Menschen in der Lausitz haben mehrere | |
Identitäten. Auch die Umweltbewegung gehört dazu. Die gab es auch schon zu | |
DDR-Zeiten. | |
Sie forschen an der Brandenburgischen Technischen Universität | |
Cottbus-Senftenberg zum Thema Bergbaufolgelandschaften. Was kann die | |
Lausitz aus ehemaligen Kohleregionen für den Strukturwandel lernen? | |
Man sollte versuchen, die Landschaft zu verstehen, sie zu lesen. Und nicht | |
so stark auf dieses Versprechen der Wiedergutmachung setzen. Letzteres | |
dient vor allem dazu, den Menschen die Ängste zu nehmen, indem man ihnen | |
sagt: Wir geben euch Freizeit, wir geben euch Wasser, wir geben euch | |
Tourismus. Statt eines Freizeitparks sollte man sich eher daran | |
orientieren, was man mit dem Raum, dem Boden, den vorhandenen Strukturen | |
Innovatives, Zukunftsfähiges machen kann. Man kann diese Landschaft, die ja | |
immer auch als Wüste bezeichnet wird, auch anders nutzen. | |
Wie? | |
Die trockenen Böden kann man nutzen, um Lavendel anzubauen. Oder Pfeffer | |
und Hanf. Auch eine Trüffelplantage ist bereits entstanden. Die Wüste ist | |
nicht tot, die Wüste lebt. Aber man muss sie begreifen, verstehen. Mit | |
einem Freizeitpark, den man in die Wüste bringt, versteht man sie nicht. | |
Viele, die bisher in der Kohle arbeiten, wollen keine Trüffelzüchter | |
werden, auch keine Bademeister, und manche sind auch nicht qualifiziert | |
genug, um bei Tesla zu arbeiten oder in all den Hightech-Firmen, die nach | |
Lübben oder Cottbus kommen sollen. | |
Es ist gar nicht so schwierig, Menschen in andere Berufe zu bringen. | |
Voraussetzung ist natürlich, dass es die Angebote dafür gibt und dass die | |
Menschen das auch wollen. Das haben wir in der Lausitz im Vergleich zu | |
anderen Regionen aber noch zu wenig gelernt. | |
Warum nicht? | |
Weil es immer den großen Bruder gab. Das Kraftwerk Schwarze Pumpe zum | |
Beispiel hat für alles gesorgt. Das Werk hat dir und deiner Familie den | |
Arbeitsplatz gegeben, es hat dir deine Wohnung gegeben und die | |
Freizeitmöglichkeiten. Deshalb ist es für viele schwer, sich aus sich | |
heraus zu orientieren. Vielleicht liegt das Problem nicht so sehr am Geld, | |
sondern daran, wie man die Menschen ermutigt, in andere Arbeit zu gehen. | |
Denn die Arbeit ist da. Und es kommt noch neue dazu. | |
Wie wichtig ist es, wenn bei der Umorientierung eine Überschrift wie „Neue | |
Energien“ das Vergangene und die Zukunft miteinander zu verbinden versucht. | |
Statt Kohle erforschen wir jetzt eben Wasserstoff. | |
Das ist sicher hilfreich, aber bestimmt nicht das Ausschlaggebende. | |
Die Projekte, mit denen Brandenburg den Strukturwandel bewältigen will, | |
sind vorwiegend Leuchtturmprojekte, also Wissenschaft und Forschung, die | |
Universitätsklinik in Cottbus oder der Science-Park, dazu noch industrielle | |
Ansiedlungen wie das Bahnwerk. Kommt die Kultur dabei zu kurz? | |
Das alles sind investive Mittel. Keine Investitionen in Köpfe, in | |
Atmosphäre oder Kreativität, sondern in Beton. Man geht scheinbar davon | |
aus, dass sich das automatisch daraus entwickelt. Auf der anderen Seite | |
schreiben wir in Brandenburg gerade den Kulturplan für die Lausitz. | |
Mit dem unter anderem ein großes Lausitzfestival begründet werden soll. | |
Also auch wieder ein Leuchtturm. | |
Der Kulturplan sagt zumindest, dass die Kultur nicht ganz unwichtig ist. | |
Aber wenn das Geld in Prestigeprojekte geht und etablierte [1][Festivals | |
wie die Wilde Möhre] nicht gefördert werden, dann geht etwas in die falsche | |
Richtung. Bei der Wirtschaftsregion Lausitz gehört die Kultur in den selben | |
Bereich wie der Tourismus. Also fördert man statt eines kleinen, | |
etablierten Festivals im Zweifel lieber einen Radweg. | |
Wie läuft das in anderen ehemaligen Bergbauregionen? | |
In Oberschlesien in Polen zum Beispiel wird sehr viel mehr Wert auf Kultur | |
gelegt. Dort verbindet ein großes Festival, [2][die Industriada], auch die | |
alte Industriekultur mit dem Sprung in die Zukunft. | |
Das spielt auch mit der Faszination, mitten in einem Labor des Wandels zu | |
sein. Auch eine Chance für die Lausitz? | |
Nicht umsonst ist immer wieder die Rede von einem Raumlabor Lausitz. Es | |
gibt hier wahnsinnig viel Fläche, Platz für alles Mögliche. Man kann | |
unglaublich viel ausprobieren, und es wäre gut, wenn das nicht nur die tun | |
würden, die von außen kommen, sondern auch die, die jetzt hier leben. | |
Sind das Formen des Wandels, die innerhalb oder außerhalb der | |
Strukturmittel stattfinden sollen? | |
Die müssen da mit rein, da gibt es auch eine Verantwortung dafür, dass das | |
gefördert wird. Es kann nicht sein, dass immer nur die Hardware gefördert | |
wird, und für die Software fühlt man sich nicht zuständig. | |
Sehen Sie die Gefahr, dass es einen Leuchtturm in der Lausitz gibt, der | |
heißt Cottbus, und drumherum bleibt weiter alles im Dunkel? | |
Das Gefühl habe ich nicht. Es gehen zwar viele Gelder nach Cottbus und | |
viele Institutionen werden hier angesiedelt, aber Gleiches gilt für | |
Weißwasser oder Hoyerswerda. Das wird auch auf die gesamte Region | |
ausstrahlen. | |
Was heißt das für Cottbus? Es ist ja immer auch die Rede von diesem | |
rechtsradikalen Milieu aus Neonazis, Türstehern und Hooligans. Werden die | |
Investitionen die Lage entschärfen oder sogar verschärfen? | |
Mit den Mitteln wird es sehr viel Zuzug von Fachkräften geben, der die | |
soziale Mischung in Cottbus verändert. Es kann aber sein, dass es sich auch | |
gerade deshalb verschärft, weil gegen die Leute, die hierherziehen, ein | |
Feindbild aufgebaut wird. Hoffen wir, dass das nicht passiert. | |
Dieses Interview ist Bestandteil eines dreiteiligen Schwerpunktes aus der | |
Printausgabe der taz am wochenende vom 7./8. August 2021. | |
31 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://wildemoehrefestival.de/ | |
[2] https://industriada.pl/ | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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