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# taz.de -- Unterwegs in einem Eierhäuschen: Direkt vom Federvieh
> Städter kaufen Hühnereier am besten direkt aus dem Nest, das bietet
> maximale Landromantik. Unterwegs in einem oberbayerischen Eierhäuschen.
Bild: Frische Eier 24/7? Gibt es auch aus dem Automaten
Schrammt man mit der rechten Schulter an den Voralpen und mit der linken an
Biergärten und Bauernhöfen entlang, bewegt man sich durchs ländliche
Oberbayern. Alles hier ist Gegend und selbst das schrumpeligste
Biorübengemüse wirkt neben Haxn und Maß unwiderstehlich.
Das Schild „Frische Eier“ gehört zu dieser Gegend wie der Stau zu München.
In Städtern provozieren solche Schilder Bilder vom ganz anderen Leben. Ein
Leben, in dem man dem Huhn morgens das nestwarme Ei abluchst, ihm mittags
den Hals umdreht und es abends in die Suppe wirft.
Nach diversen Skandalen in der Geflügeltierhaltung und der Eierproduktion –
auch in Biobetrieben – hatte der Eierverzehr in den letzten Jahren
allerdings [1][ein Image kurz vor Babyschildkröten ausschlürfen]. Man tat
es nicht. Inzwischen ist Eieressen wieder okay, jedenfalls solange man im
Supermarkt Eier eines Huhns kauft, von dem man auf der Verpackung erfährt,
wie es hieß, was es aß, wo es schlief und von wem es gevögelt wurde.
Wohl dem, der nicht auf Kartonbeschriftungen vertrauen muss. Der Vorteil
von Gegend ist ja, dass man das Huhn unter freiem Himmel rumrupfen sieht
und der Bäuerin dabei zuschauen kann, wie sie die Eier aus einem mit
Dinkelspelz ausgelegten Nest pflückt. Beim Anblick von glücklich gackerndem
Federvieh, das in der eigenen Kacke rumstakst, zahlt man freiwillig noch
einen Euro mehr für die Eier: für den Geschmack von Freiheit.
## Verkaufsförderndes Federvieh
Der Blick auf eine flanierende Hühnerschar sei in der Tat verkaufsfördernd,
argumentieren die Hersteller von mobilen Hühnerställen. Und der Samerhof
der Familie Seeholzer im westlichsten Münchner Stadtviertel Aubing
bestätigt das. Ein Teil ihrer 300 Hennen lebt in einem mobilen Stall, der
in der Nähe eines Ausflugsparkplatzes an der Straße Richtung
Fürstenfeldbruck steht. Viele Ausflügler kommen hier vorbei, sehen die
Hühner ihre Freiheit genießen und halten direkt an, um im Holzhäuschen
neben dem Stall Eier zu kaufen.
Es ist eines dieser Selbstbedienunghäuschen, wie sie in Oberbayern
mittlerweile weit verbreitet sind: Drinnen ein Kühlschrank mit frischen
Eiern, daneben eine Kasse, in die man das Geld werfen soll.
„Freilandhaltung, ohne Gentechnik und kein Antibiotika“ steht über der Tü…
„Achtung: Neue Preise“ auf einem Schild im Innern. Die 6er-Schachtel kostet
jetzt 2,50 Euro und die 10er-Schachtel 4 Euro.
„Ich muss mich bei den Leuten entschuldigen“, sagt Alfred Seeholzer, der
Chef vom Samerhof. „Ich habe nicht geglaubt, dass das funktioniert. Mein
Sohn aber hatte mehr Vertrauen in die Menschheit. Und er hatte recht:
[2][Die Leute sind ehrlich.]“ Nur einmal habe jemand die Kasse mitgehen
lassen. Und manchmal liege ein Zettel im Häuschen, dass jemand Eier
mitgenommen, aber kein Kleingeld dabei hatte. Am nächsten Tag würden die 4
Euro dann in der Kasse liegen. „Wir machen mehr Miese durch den Fuchs und
die Raubvögel, die die Hühner jagen, als durch Eierdiebe“, sagt Seeholzer.
Alle vier bis sechs Wochen werden die Zäune umgesetzt, die mobilen
Hühnerställe woanders hingefahren. „Wenn man die Hühner zu lange auf einer
Stelle den Boden scharren und picken lässt, wächst da nichts mehr“, sagt
Seeholzer. Und dass die Eier vom Samerhof immer „ruckzuck ausverkauft“
seien. Mehr Hühner will er sich aber nicht zulegen. „Wenn’s aus ist, ist�…
aus. So soll es sein. Wir wollen ja keinen Industriebetrieb.“
## Eierdiebe? Fehlanzeige!
Auch die Familie Kreti ist weit davon entfernt, ihren alten Bauernhof in
Pähl bei Weilheim in einen Industriebetrieb zu verwandeln. Aber immerhin
haben sie 950 Hennen, deren täglich durchschnittlich 800 Eier sie seit zehn
Jahren in ihrem Selbstbedienungsladen zum Verkauf anbieten. Der Laden, in
dem auch Tüten mit selbstgemachten Eiernudeln verkauft werden, ist ein
kleiner Holzraum, der dem Stall abgetrotzt wurde und der täglich von 8 bis
20 Uhr geöffnet ist. Eierdiebe gibt es auch hier nicht. „Ich mache jeden
Tag die Abrechnung und es stimmt immer alles“, erzählt Marianne Kreti.
Die meisten ihrer Hennen sind auf drei Mobilställe verteilt. Tagsüber
picken sie sich durch Gras und Sand, abends werden sie in den Stall
geschickt, wo sie auf Legematten aus Astroturf übernachten, von denen aus
die gelegten Eier direkt aufs Förderband rutschen. Etwa eine Stunde braucht
die Hühnerbäuerin, um die Eier einzusammeln, etwa einen halben Tag
beansprucht dann das Verteilen der Eier, das Füttern und Umparken der
Hühner.
Einst war die Familie Kreti der einzige Hof, der sich in der Gegend auf den
Eierverkauf spezialisierte. „Anfangs waren alle skeptisch. Inzwischen sehen
die Leute, dass der Eierverkauf über das Vertrauensprinzip mit wenig
Aufwand mehr Geld abwirft als die Viehwirtschaft“, sagt Frau Kreti. Ein
eigener Hofladen aber würde sich nicht lohnen, schon wegen der
Personalkosten.
Mit solch weltlichen Fragen muss sich die Erzabtei St. Ottilien nördlich
des Ammersees nicht auseinandersetzen. Sie hat genug Kapital, um für die
auf ihren eigenen Ländereien angebauten und verarbeiteten Lebensmittel
einen eigenen Hofladen zu betreiben und sich zusätzlich noch einen
gekühlten Verkaufsautomaten zu leisten, und so setzt ausgerechnet das
Klosterdorf mit seinen hundert Benediktinermönchen nicht auf das
Vertrauensprinzip.Sieht Gott etwa doch nicht alles?
## Ein Arbeiter im Eierberg des Herrn
Nicht zu sehen sind jedenfalls die Hühner, wenn man vor dem Automaten
steht. Aber mit etwas Glück trifft man Bruder Martin, der gerade seinen
Bollerwagen voller Eierschachteln zum Nachfüllen ankarrt. Auf die Frage, ob
die Eier auch wirklich frisch seien, erläutert der sympathische Arbeiter im
Eierberg des Herrn: „Sicher! Aber sie sind nicht von heute, wenn Sie das
meinen.“
Frische Eier seien ungenießbar, sagt Bruder Martin. „Sie müssen mindestens
einen, besser zwei oder drei Tage liegen, bis man sie essen kann.“ Auch
müsse ein Ei erst drei Wochen nach Legezeitpunkt gekühlt werden. Die
Kühlung sei nur für den Käse und das Fleisch notwendig, was der
Klosterautomat ebenfalls bereitstellt.
Der Zehatmoarhof der Familie Riedl in Jakobsbaiern, nördlich von Rosenheim
und den Orten Öd, Pups und Elendskirchen, ist seit Generationen in
Familienbesitz und hat 2009 von 85 Kühen auf 5.000 Legehennen umgestellt,
weil es rentabler war. Seit 2020 ist er ein zertifizierter Biohof, und weil
Hühner, um Bioeier zu produzieren, eine größere Auslauffläche benötigen,
wurde der Bestand auf 3.300 Tiere reduziert.
## „Gackerl“, der selbstgemachte Eierlikör
Vier Quadratmeter Platz hat jede Henne nun, findet unter Hunderten Pappeln
Unterschlupf vor natürlichen Feinden, eine Herde Kamerunschafe sorgt
zusätzlich für Schutz gegen Greifvogelattacken. Direkt vor dem Hof steht
ein hübsches hölzernes Eierhäuschen, der Selbstbedienungsladen mit Eiern,
Eiernudeln und „Gackerl“, dem selbstgemachten Eierlikör von Gitti Riedl,
der in der Region ein begehrter Renner ist.
Wer den Laden betritt, erfährt allerdings sofort, dass er videoüberwacht
wird. „Ehrlich gesagt haben wir die Kamera vor allem zur Abschreckung da
hängen“, sagt Riedl. Zu 98 Prozent würde das Geld immer in der Kasse
liegen. Nur einmal hatten sie einen Eierdieb im Verdacht, der sich immer
fleißig bediente. „Den konnten wir mit der Kamera überführen.“
Ansonsten hätten sie aber durch die Aufzeichnungen eindeutig beobachten
können, dass „Auswärtige“ ein weniger schlechtes Gewissen hätten, wenn s…
kein Kleingeld parat haben. Das Universalprinzip Vertrauen scheint also
wirklich nur lokal zu funktionieren.
7 Aug 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
IG
Bayern
Landwirtschaft
Eier
Hühner
Ernährung
Kolumne Ungenießbar
Ei
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