# taz.de -- ALTERNATIVE WIRTSCHAFT: Die Gemüsekasse des Vertrauens | |
> An Brandenburger Landstraßen stehen Stände mit Zucchini, Tomaten, | |
> Marmeladen. Es gibt Preisschilder, aber keinen Verkäufer, der aufpasst. | |
> Kann das gutgehen? | |
Bild: Gemüse gibt's hier und Golfbälle - die vom nahe gelegenen Platz abregnen | |
"Tomaten - 1 Euro", steht handgeschrieben auf dem wettergegerbten Zettel. | |
Daneben liegen die Tomaten in Plastikschalen, knallrot und duftend, große | |
und kleine. Das Geld soll in ein Marmeladenglas geworfen werden, in dessen | |
Deckel ein Schlitz für Münzen geritzt ist. "Kasse des Vertrauens", hat | |
jemand auf den Deckel geschrieben, und damit ist das Wesentliche erklärt zu | |
dem Stand am Seddiner Straßenrand südlich von Berlin: In den Sommer- und | |
Herbstmonaten vermehrt sich in brandenburgischen Dörfern eine | |
Mikroökonomie, die auf Angebot, Nachfrage und Vertrauen gründet - der | |
Obst-und-Gemüse-Stand mit Selbstkasse. | |
"Verkauft wird, was der Garten hergibt", sagt der ältere Mann, der im nicht | |
weit entfernten Philippstal seinen eisernen Zaun reinigt. "Immer noch | |
besser, als wenn man es wegwirft." Auf dem Tisch vor seinem Grundstück | |
liegen eine gelbe und eine grüne Zucchini (je 60 Cent) sowie eine Schale | |
Johannisbeeren (2 Euro). In einem mit Wasser gefüllten Eimer stehen | |
Petersilienbündel (ebenfalls je 60 Cent). | |
Der Mann ist Rentner. Das Haus bewohnt er in der vierten Generation. Der | |
Nutzgarten ist alt und wirft mehr ab, als die Familie braucht und mag. | |
"Wenn mir dann noch einer mit Zucchinischnitzel kommt, dann gehe ich doch | |
lieber ins Gasthaus", sagt der 67-Jährige. Also stellt er vors Haus, was zu | |
viel ist: Zucchini, Gurken, Bohnen, Beeren, Petersilie, Kürbis - alles | |
absolut bio und regional. | |
Im Ökoladen würden die Produkte wohl das Dreifache kosten. Für die | |
Dorfbewohner lohne sich der Handel trotzdem, sagt Heinrich Becker vom | |
Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche | |
Räume. "Was die Menschen im Garten haben, geht weiter über das hinaus, was | |
sie selbst verbrauchen können." Insofern sei es sinnvoll, einen Teil davon | |
zu verkaufen. | |
Profitieren können Ausflügler am Wochenende und Pendler, die mit dem Auto | |
regelmäßig die Dörfer durchfahren. Seddin etwa ist wegen des gleichnamigen | |
Sees beliebt. "Wir haben das Gemüse ja selber im Garten, fast jeder im | |
Dorf", bestätigt die Nachbarin, die für den Tomatenstand freundlicherweise | |
Geld wechselt. Sie unterbricht kurz ihre Gartenarbeit; eine kleine | |
Landwirtschaft nur, um die sie sich nach der Arbeit kümmert. | |
Die 52-Jährige lehnt am Gartenzaun, dort hat sie den Selbstkasse-Tisch am | |
Rande des Kirchplatzes gut im Blick. Ein Standortvorteil: Wer hier klauen | |
will, wird leicht beobachtet. "Bei uns ist das noch nicht vorgekommen", ist | |
die Frau überzeugt. In Philippstal, dem klassischen Durchfahrtsdorf, haben | |
die Heimgärtner andere Erfahrungen gemacht. Der Trick: "Es reicht schon | |
aus, die entsprechende Handbewegung zu machen" - und dabei nur so zu tun, | |
als ob man auch tatsächlich Geld einwirft. "Das kommt immer wieder vor, | |
aber erwischt habe ich noch keinen", meint der Rentner. Es lohne sich für | |
ihn nicht, ständig danebenzusitzen oder hinter dem Vorhang zu lauern - | |
dafür ist der Umsatz zu gering. | |
An manchen Tagen liegen 10 Euro in der Kasse, in Spitzenzeiten - zur | |
Kürbisernte etwa - bis zu 100 Euro. "Gleichzeitig entstehen kaum Kosten, | |
das lohnt sich also schon", sagt Forscher Becker. Eine professionellere | |
Vermarktung sei ohnehin schwierig, da die Ernte nicht immer gleich | |
ertragreich sei und auch die Nachfrage je nach Wetter und Saison schwanke. | |
Verboten ist der Zusatzerwerb nicht, wie die Gemeindeverwaltung Stahnsdorf | |
bestätigt: Wer nur verkauft, was er selbst anbaut, betreibt | |
"landwirtschaftliche Urproduktion" - daher gelten Spargel- und | |
Erdbeerstände nicht als Gewerbe. Nur wenn der Philippstaler Rentner Eier | |
von der Nachbarin kaufen und bei sich auf den Verkaufstisch stellen würde, | |
betriebe er Handel - und müsste ein Gewerbe anmelden, erklärt die Behörde. | |
Gerade noch gesetzeskonform handelt wohl auch die Familie, die an der | |
Zufahrtsstraße zum Golfplatz am Seddiner See selbst gekochte Marmelade für | |
1,60 Euro in die Vertrauenskasse anbietet. Das wahre Schnäppchen für | |
Vorbeifahrende ruht indes in der danebenstehenden Kiste: Golfbälle für 35 | |
Cent das Stück. Die Wurfgeschosse liegen zuhauf um den Golfplatz herum und | |
müssen nur eingesammelt werden. Nahtloser kann sich ein | |
Wirtschaftskreislauf kaum schließen. | |
30 Jul 2010 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
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[tazze]IG | |
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