# taz.de -- Selbstversorger aus Brandenburg: Selbst isst der Mann | |
> Anton Pigge melkt die Milch für seinen Joghurt, bäckt sein eigenes Brot, | |
> mostet Äpfel, sammelt Pilze. Von einem, der versucht, sich autark zu | |
> ernähren. | |
Bild: Unterwegs zu ein paar Litern frischer Landmilch: Anton Pigge auf dem Deme… | |
Der Tag beginnt beim Frühstück, und da gibt es bei Anton Pigge meist | |
Haferflocken und Sonnenblumenkerne, angerührt mit Milch und Joghurt, und | |
obendrauf gedörrte Kirschen. Den Joghurt macht er selbst, mit Milch von | |
einem Demeter-Hof im Nachbarort: Dort stehen rund 60 Kühe auf der Weide, | |
die morgens und abends gemolken werden müssen, wobei Pigge mehrmals die | |
Woche mithilft und als „Lohn“ kostbare Rohmilch erhält. „Daraus Joghurt … | |
machen ist sehr einfach“, sagt er, und so stehen im Kühlschrank immer ein | |
bis zwei Liter. | |
Die Kirschen erntet Pigge mit seinem kleinen Sohn, dem das großen Spaß | |
macht, auf den Kirschalleebäumen rund um Eberswalde, einer Kleinstadt im | |
Barnim, nordöstlich von Berlin. Zu Hause werden die Früchte dann entsteint | |
und kommen ins Dörrgerät. | |
Denn Anton Pigge versucht, so wenig Lebensmittel wie möglich im Super- oder | |
auch Biomarkt zu kaufen. Das Selbstgemachte findet er einfach besser. | |
Angefangen hat das Ganze vor sechs Jahren, da hatte Pigge einen Job als | |
Bioanalytiker bei einem Start-up in Berlin. „Ich habe experimentell mit | |
Tieren gearbeitet, habe mikrochirurgische Operationen an Meerschweinchen | |
gemacht. Das ist mir alles zu blöde geworden“, erzählt er, während er in | |
seiner Küche steht und zehn frisch hergestellte Fetakäse abtropfen lässt. | |
## Der Traum vom Bauernhof | |
Er kündigte und machte dann erst einmal das, wovon er immer geträumt hatte: | |
auf einen Bauernhof gehen und lernen, wie man seinen Lieblingskäse, Feta | |
vom Schaf, herstellt. Ein Hof war schnell gefunden, in der Nähe von | |
Vetschau im südlichen Brandenburg, wo Pigge sich einfach am Telefon | |
vorstellte und die Bauern von so viel Enthusiasmus so angetan waren, dass | |
der Bewerber sofort eingestellt wurde. | |
Pigge erinnert sich noch an den ersten Tag auf dem Hof mit rund 120 | |
Schafen, an dem ihn Bäuerin Ulrike von einem ein Jahr lang gereiften Käse | |
probieren ließ. „Der war sehr, sehr lecker!“ Ebenfalls ein Jahr lang lernte | |
Pigge dann selbst Schafe melken, Schafe füttern, Schafe umkoppeln, Schafe | |
schlachten und natürlich: käsen! Die bäuerlich-handwerklichen Tätigkeiten | |
waren Pigges Ding, und immer weiter vervollkommnete er sein Wissen rund um | |
selbst gemachte Ernährung. Für den Schafhof, einen nahen Ziegenhof und | |
einen Kuhhof entwickelte er ein Vermarktungskonzept für Käse, und stellte | |
sich dann selbst auf den Wochenmarkt in Berlin. | |
„Ich hatte drei eigene Frischkäsekreationen, die bei den Kunden sehr gut | |
ankamen“, erzählt er. Bei einer Kundin sogar so gut, dass sie ein Paar | |
wurden, ein gemeinsamer Sohn auf die Welt kam und es gemeinsam von Vetschau | |
in den Barnim ging, um noch ein wenig naturnäher zu sein. Dort arbeitet | |
Pigge mittlerweile als freiberuflicher Artenschutzgutachter für Wasservögel | |
und Fledermäuse. | |
Mittagszeit ist Brotzeit für Pigge und seinen Sohn, falls der an diesem Tag | |
nicht bei der Mutter ist. Dafür backt der Vater einmal pro Woche ein Brot | |
im Backofen in seiner Küche, einem ganz normalen E-Backofen. Roggen und | |
Weizen kauft er dafür in Großpackungen vom Biohandel, vor dem Backen wird | |
es dann direkt in der Küche in der Mühle gemahlen, was ziemlichen Krach | |
verursacht – dafür liegen aber Kopfhörer bereit. Mit dem Mehl macht Pigge | |
[1][einen Sauerteig], was ein bis zwei Tage dauert. | |
Jedes Brot ist unterschiedlich, diese Woche gibt es einen großen Laib mit | |
schwarzem Sesam, Kreuzkümmel und Sonnenblumenkernen. Normalerweise reicht | |
das Brot für eine Woche – und wenn es ein bisschen hart ist, dann ist es | |
eben gut für die Zähne. | |
## Die Nachbarn wittern Rattengefahr | |
Auf das Brot kommt Käse, seit Neuestem sogar selbst gemacht, oder Wurst in | |
Bioqualität von regionalen Wurstmachern. „Den Käse würde ich gerne im | |
Mieterkeller reifen lassen, doch das erlauben die Nachbarn nicht, wegen | |
Rattengefahr“, schildert Pigge die Schwierigkeiten, Nahrung in einem | |
dreistöckigen, über hundert Jahre alten Mietshaus herzustellen. So muss der | |
Käse im Notbehelf eben in einer Reifekiste im Wohnzimmer reifen. | |
Doch lohnt sich denn der ganze Aufwand, wo man doch die meisten Sachen fix | |
und fertig aus dem Bioladen kaufen könnte? Auf jeden Fall, kommt es ohne zu | |
überlegen von Pigges Seite. „Ich freue mich einfach, dass ich diese ganze | |
Kette von Anfang bis Ende selbst erleben kann. In mir entsteht dabei eine | |
große Zufriedenheit.“ | |
Pigges Freunde und Bekannte staunen immer, wenn er seinen selbst | |
hergestellten Käse mitbringt, denn das ist immer etwas Besonderes. Auch | |
seinen Joghurt kann Pigge nicht gänzlich selbst essen – er dient auch als | |
Tauschmittel. „Diese selbst gemachte Marmelade hier habe ich dafür von | |
einer Nachbarin bekommen.“ | |
Abends gibt es Pastapfanne. Die Nudeln bezog Pigge in der Großpackung im | |
Biohandel, dazu kommen Spitzkohl aus dem Bioladen und Stangenbohnen, von | |
einer Freundin, die einen Schrebergarten hat. Dann noch ein paar Zwiebeln | |
vom Bauernhof, auf dem Pigge melkt. Und Eier von einem Hühnerhof im | |
benachbarten Chorin, in dem die Hühner frei über das Feld laufen. | |
Zucker ist in Pigges Küche, das war zu erwarten, nicht zu finden. „Das wird | |
substituiert mit Honig, von einem benachbarten Imker.“ Ab und zu weckt | |
Pigge auch ein, etwa Rhabarber- und Apfelkompott oder Gurken. Im | |
Küchenregal stehen auch gedörrte Steinpilze, natürlich selbst im Wald | |
gesammelt, die ab und zu in der Suppe landen. Und Holunderblüten, selbst | |
gesammelt, mit denen heilender Tee zubereitet wird. | |
## Auch ein Jagdschein darf nicht fehlen | |
Auch Fleisch muss Pigge eigentlich nicht mehr im Bioladen kaufen. 2008 | |
machte er seinen Jagdschein und [2][geht seitdem regelmäßig auf die Jagd] – | |
wobei die Jagdgründe in der nahegelegenen Schorfheide sehr ergiebig sind. | |
Die beste Zeit dafür ist vor Sonnenaufgang, wenn das Wild aktiv wird. Das | |
Wildschwein, das Reh oder der Hirsch wird nach dem Erlegen in der Kühlzelle | |
der Landesforst aufbewahrt und nach dem Abhängen zerlegt. Dabei wird das | |
Fell abgezogen, oder beim Wildschwein die Schwarte. Die Portionen werden | |
dann luftdicht eingewickelt und tiefgefroren – dafür steht extra ein | |
riesiger Tiefkühlschrank in Anton Pigges Badezimmer, der meist gut gefüllt | |
ist. Sogar einen kleinen Fleischwolf für Wildhackfleisch hat er. | |
Und was gibt es zu trinken? Bei Pigge meist naturtrüben Apfelsaft. Dafür | |
versammeln er und einige Freunde sich einmal im Jahr zum Apfelpflücken, und | |
anschließend wird gemostet – letztes Jahr rund 200 Liter. Der letzte Karton | |
ist jetzt gerade angebrochen worden. Aber bald ist ja wieder Apfelzeit. | |
19 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Engelhardt | |
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