# taz.de -- Geflüchtete auf der Olympiabühne: Starke Bande | |
> Wael Shueb ist Karateka und trainiert im hessischen Eppertshausen. In | |
> Tokio tritt der Mann aus Syrien für das IOC-Flüchtlingsteam an. | |
Bild: Glücklicher Kämpfer: Wael Shueb, syrisches Mitglied des Flüchtlingstea… | |
TOKIO taz | Es sind nur vier Treppenstufen für Wael Shueb bis zum Paradies. | |
Am Freitagvormittag wird der Karateka in der ehrwürdigen Nippon | |
Budoka-Kampfsporthalle für seine Darbietung aufgerufen. „Als ich | |
hochgegangen bin und auf der Bühne war, da habe ich gedacht, das sind nicht | |
nur Karatematten, das ist der Himmel für mich.“ Shueb kennt sich vor allem | |
mit den Tiefen des Lebens aus. Im Spätsommer 2015 war er nach wochenlanger | |
Flucht vor dem Krieg in der syrischen Heimat traumatisiert, schwer verletzt | |
von einem brutalen Überfall in einem deutschen Flüchtlingslager aufgenommen | |
worden. | |
Nun tritt er für das Refugee Team beim wichtigsten Sportereignis der Welt | |
in der Disziplin Kata an. Ein Solokampf gegen einen imaginären Gegner mit | |
festgelegter Choreografie. Shueb beginnt mit langsamen, weichen, bis ins | |
Detail der Fingerkrümmung gehenden Bewegungen, die urplötzlich rasant und | |
hörbar luftzerschneidend werden können, wenn es gilt, den unsichtbaren | |
Angreifer auszuschalten. Der japanischen Sportart wird in Tokio nur ein | |
Gastspiel gewährt. In vier Jahren steht Karate, das hier auch in der | |
Zweikampfdisziplin Kumite ausgetragen wird, nicht mehr im olympischen | |
Programm. | |
Ein Flüchtlingssportler in einer nur begrenzt anerkannten olympischen | |
Sportart – das kann man für eine besondere Ironie des Schicksals halten. | |
Shueb findet das zwar schade, aber er genießt die einmaligen olympischen | |
Momente so intensiv wie er nur kann. Von der japanischen Kultur ist er | |
begeistert. Auf den Straßen in Tokio fühle er sich wie in einem Dojo, einem | |
Trainingsraum für Kampfkünste. Das man sich zur Begrüßung voreinander | |
verbeugt, das habe er schon mit zwölf Jahren in Syrien geübt und trainiert. | |
Das und sein Geschick in der Kampfkunst brachte ihn einst ins syrische | |
Nationalteam. | |
Nun steht er im Refugee Team. Wobei der 33-Jährige sagt: „Das ist nicht nur | |
ein Team. Das ist eine Familie.“ Alle Athleten würden zwar [1][aus | |
verschiedenen Ländern], verschiedenen Sportarten kommen, „aber wir haben | |
das Gefühl, dass wir uns schon lange kennen. Jeder hat seine Geschichte, | |
aber wir treffen uns in einem Punkt.“ Wenn man Shueb zuhört, liegt der | |
Eindruck nahe, dass diese Flüchtlingserfahrung weit mehr zusammenschweißt, | |
als das gleiche Pässe je leisten können. | |
## Enge Verbundenheit | |
Über Facebook hätte man zuvor bereits Kontakt gehabt. Seit einem Monat ist | |
das Gros der Gruppe in Tokio bereits zusammen. „Da haben wir uns tief | |
kennengelernt“, erzählt Shueb. Freundschaften hätten sich gebildet. Der | |
Karateka wird gerade von einer besonderen Euphoriewelle getragen. „Ich bin | |
stolz auf alle. Ich kann die Stärke in allen Augen sehen. Wir sind alle | |
besonders. Ich weiß nicht, ob ich das für mich selber sagen kann. Aber wir | |
sind alle nicht normal.“ | |
Es war offenkundig eine gute Idee des IOC, bei den Spielen 2016 in Rio | |
[2][erstmals ein Refugee Team] teilnehmen zu lassen. 29 Athleten wurden für | |
die Spiele in Tokio mit „Refugee Athlete“-Stipendien unterstützt. Man wolle | |
„eine Botschaft der Hoffnung für alle Flüchtlinge in unserer Welt senden“, | |
sagte einst der IOC-Botschaften-Chefsender Thomas Bach. Schaut man bei der | |
Vergabe der Winterspiele 2022 an China großzügig über schwere | |
Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren hinweg, lenkt man die | |
Aufmerksamkeit immer wieder gern auf das geschaffene Flüchtlingsteam. | |
Wael Shueb wird im Unterschied zu den andern Athleten in der Mixed Zone | |
gleich von zwei Betreuern des Refugee Teams begleitet. Das Aufnahmegerät | |
läuft mit. Die rege Berichterstattung des IOC über das eigene | |
Flüchtlingsteam muss weiter angereichert werden. | |
Aus Sicht von Shueb ist er neben dem IOC einigen anderen zu Dank | |
verpflichtet. Er habe in Tokio auch für seinen hessischen Heimatort | |
Eppertshausen, wo er in seinem Verein viel Unterstützung erfahren habe, und | |
den Deutschen Karate Verband gekämpft. Er habe das Gefühl, Teil des | |
Verbandes zu sein. „Sie motivieren mich, schreiben mir regelmäßig. Das | |
finde ich schön.“ Seine Verbundenheit mit Syrien sei eine sensible | |
Angelegenheit, sagt er auf Nachfrage. Er habe hier für diejenigen gekämpft, | |
die ihn unterstützt haben. | |
Im Kata-Wettbewerb in Tokio belegt Shueb in seiner Vorrundengruppe am Ende | |
den sechsten und letzten Platz und scheidet aus. Er sagt: „Ich bin selber | |
zufrieden. Ich habe das Gefühl, dass ich meine Botschaft präsentiert habe. | |
Wir verdienen die Unterstützung. Wir verdienen auch, eine Chance zu | |
bekommen.“ | |
Seine Freundin, eine Psychologin, habe sich gewundert, erzählt er, wie er | |
sich nach seinen traumatischen Erlebnissen ohne Therapie seinen Platz | |
erkämpft habe. Der Sport hat Wael Shueb Halt und Heimat gegeben. Jetzt will | |
er nach den kraftzehrenden letzten zwei Jahren zwei, drei Tage Pause | |
machen. Sein Tatendrang ist groß. Auch ohne Olympia gebe es noch andere | |
Träume. Bei der Karate-WM 2022 in Budapest möchte er dabei sein, wenn ein | |
Refugee Team starten darf. Und auch wenn er dort auf neue | |
Mannschaftskollegen trifft, wird er sie auf gewisse Weise so oder so schon | |
kennen. Shueb bleibt der Idee der sportlichen Schicksalsgemeinschaft treu | |
verbunden. „Na klar, das ist meine Familie, ich kann da nicht raus.“ | |
6 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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