# taz.de -- Sportler im IOC-Flüchtlingsteam: Der Kämpfertyp | |
> Wie der Iraner Kasra Mehdipournejad Teil des olympischen Flüchtlingsteams | |
> wurde und seine Träume als Taekwondo-Spezialist verwirklicht. | |
Bild: Berlin als neue Heimat: Kasra Mehdipournejad in der Trainingshalle seines… | |
Kasra Mehdipournejad ist wie so oft in dieser Woche zeitig aufgestanden. Er | |
ist in Spandau in den Bus gestiegen, eine halbe Stunde zum | |
Ernst-Reuter-Platz gefahren, um dort in einem Gym zu trainieren. Sein | |
persönlicher Trainer Niklas erwartet ihn am Empfang. Niklas hat imposante | |
Muskeln, sein Schützling sieht eher schmächtig aus. | |
Kasra Mehdipournejad ist groß und schlank. Man könnte ihn für einen | |
Volleyballer halten. Aber er ist Kampfsportler. Seit er 13 ist, [1][macht | |
er Taekwondo], den Kontaktsport aus Korea, der seit den Spielen von Sydney | |
olympisch ist. Der Schlaks aus Isfahan eifert seit frühester Jugend dem | |
iranischen Doppel-Olympiasieger Hadi Saei nach. | |
Mehdipournajad, 27, lächelt freundlich, als er den Gast von der Zeitung per | |
Handschlag in einem Verschlag des Gyms begrüßt. Er bedankt sich mehrfach | |
für das Interesse an einem Athleten des olympischen Flüchtlingsteams. | |
[2][Das Flüchtlingsteam des Internationalen Olympischen Komitees] (IOC) | |
gibt es seit 2016, als eine Migrationswelle einsetzte und auch | |
Leistungssportler aus Krisengebieten nach Europa oder in sichere | |
afrikanische Länder flüchteten, etwa von Südsudan nach Kenia. | |
Yusra Mardini aus Syrien wurde das Gesicht des heute 50 Köpfe zählenden | |
Teams, weil die seit 2015 in Deutschland lebende Sportlerin nicht nur | |
leidlich kraulen konnte, sondern mit ihrem Charme und ihrer krassen | |
Fluchtgeschichte Journalisten aus der ganzen Welt beeindruckte. Mardini | |
sprach fließend Englisch, und auch Mehdipournejad kann sich mittlerweile | |
gut in dieser Weltsprache verständlich machen. | |
## Erst Englisch, dann Deutsch | |
Als er im November 2017 vom iranischen Isfahan über Istanbul nach Berlin | |
flog, mit einem 20-Tage-Visum und lediglich ein paar Sachen in der Tasche, | |
da sprach er nur Farsi. Derzeit hat er seinen Deutsch-Onlinekurs (A1) fast | |
beendet („Ich verstehe 80 Prozent“). Ab und zu wirft er ein deutsches Wort | |
während des Gesprächs ein. Er sagt zum Beispiel: „Ach so, they don’t have | |
Pause“ – als er über das professionelle Training seines besten iranischen | |
Freunds Milad Begi in Aserbaidschan spricht. | |
Die beiden sprechen täglich miteinander, kein Wunder, haben sie doch | |
gemeinsam in Iran gekämpft und gelitten. Der eine ist in Aserbaidschan | |
gelandet, der andere in Deutschland. „2016 und 2017 war er ein echtes | |
Taekwondo-Monster“, sagt Kasra Mehdipournejad über seinen Kumpel; | |
praktisch unschlagbar und mit einem Abonnement auf den WM-Titel. Er selbst | |
hat in den vergangenen Jahren einige Medaillen bei europäischen Wettkämpfen | |
gewonnen, der Polish Open zum Beispiel oder der Belgium Open. | |
Eigentlich, sagt Mehdipournejad, habe er wieder zurückkehren wollen in den | |
Iran, damals in den kalten und grauen Berliner Herbsttagen. Aber vor allem | |
seine Mutter riet ihm zu bleiben. Die Lage in der Heimat sei schwierig. In | |
seiner Familie, sagt er, gab es schon Inhaftierungen. Er äußert sich | |
kritisch übers Mullah-Regime, eine IOC-Mitarbeiterin autorisiert allerdings | |
nicht den Wortlaut seiner Aussagen. Zur Sprache kommt auch die Hinrichtung | |
des Ringers [3][Navid Afkari] am 12. September; Afkari soll bei einer | |
Demonstration gegen das Regime einen Sicherheitsbeamten getötet haben, er | |
wurde trotz weltweiter Proteste nicht verschont. | |
Seit den Sanktionen gegen Iran geht es in dem Land ökonomisch bergab. Vor | |
allem der Mittelstand und die ärmeren Schichten sind betroffen. Nicht | |
wenige Auslandsiraner finden, dass die Unterstützung für das Regime | |
schwindet. Mehdipournejad kennt keinen, der ein glühender Anhänger des | |
Religionsführers Ajatollah Ali Chamenei wäre. Wer es sich leisten kann, | |
verlässt das Land. | |
## Ein Land blutet aus | |
Der Braindrain, also die Abwanderung der Begabten und Begüterten, ist | |
erheblich. Die Rede ist von 120.000 Menschen, die jährlich Iran verlassen, | |
um anderswo ihr Glück zu suchen. Vor allem der Anteil von | |
abwanderungswilligen Akademikern, Facharbeitern und auch religiös | |
Verfolgten ist hoch. | |
Die Elite flieht, Ingenieure gehen, Ärzte – und Sportler. Ihre Namen: | |
Ghazal Hakimi-Fard, Dersa Derakshani und Mitra Hejazipour (alle Schach), | |
Parisa Farshidi, Kimia Alizadeh und Raheleh Asmani (alle Taekwondo), Saeid | |
Mollaei (Ringen), Mina Alizadeh und Arezoo Motamedi (beide Rudern). | |
Parisa Farshidi kennt Mehdipournejad sehr gut. Sie ist seine Frau. | |
Farshidi, die auf alten Bildern im Netz noch Kopftuch trägt, inszeniert | |
sich mittlerweile wie ihr Ehemann auch im westlichen Konsumstil auf | |
Instagram. Die Taekwondo-Erfolge von Farshidi liegen einige Jahre zurück; | |
2010 gewann sie eine Medaille bei den Asien-Spielen. „Sie ist eine große | |
Taekwondo-Sportlerin in Iran“, sagt Mehdipournejad. Vor zwei Jahren haben | |
sie geheiratet. Da war Farshidi noch in Teheran. | |
Die Fernhochzeit mit einem Athleten des IOC-Flüchtlingsteams erregte | |
Aufmerksamkeit in Iran, und es war nicht klar, ob Farshidi das Land | |
überhaupt noch verlassen kann. Doch es funktionierte. Vor gut einem Jahr | |
kam sie nach Berlin. Während ihr Mann eine Aufenthaltserlaubnis für drei | |
Jahre erhielt, gültig bis 2021, wurde ihr Asylantrag abgewiesen. Sie geht | |
anwaltlich gegen die Entscheidung vor, „aber die Situation ist schwierig“, | |
sagt Mehdipournejad. „Ich brauche sie, sie ist meine Partnerin, meine | |
Trainerin, sie ist alles.“ | |
## Wettkampf im Januar | |
Während des Lockdowns haben sie in der kleinen Wohnung miteinander | |
trainiert. Man kann sich auf Instagram anschauen, wie sie Sparring machen. | |
Die Beine von ihm schnippen wie von Sprungfedern angetrieben in Kopfhöhe | |
und wieder zurück. Im Taekwondo ist Schnelligkeit, Flexibilität und | |
Impulsivität alles. Man muss den Gegner überraschen. Doch im Coronajahr | |
2020 geht das nur im Training. | |
Alle Wettkämpfe wurden vom Weltverband abgesagt. „Anfangs fand ich es gut“, | |
sagt er über das Training in diesen Zeiten, „ich konnte meine Verletzungen | |
auskurieren, an der Technik arbeiten, aber mittlerweile …“ Mehdipournejad | |
bricht mitten im Satz ab und hebt zu einer Geste der Verzweiflung an. | |
Er würde gern wieder unter Wettkampfbedingungen antreten. Das geht wohl | |
erst wieder Ende Januar in Sofia, wenn ein Olympia-Qualifikationsturnier | |
ansteht. Schön wäre auch mal wieder ein Trainingslager im Ausland. Mit dem | |
Refugee Team war er in Südkorea und in Katar. Die Trainingseinheiten in | |
seinem Berliner Klub sind weniger effektiv, denn ihm fehlen in der | |
Hauptstadt ebenbürtige Trainingspartner, auch ist ihm das Training am Abend | |
zu spät. | |
Der Weg hin und zurück kostet ihn zwei Stunden. Geplant ist demnächst | |
immerhin ein Trainingscamp in Nürnberg, dem nationalen Zentrum der | |
Taekwondo-Elite. Seitdem aber in Berlin in vielen Stadtbezirken die | |
Corona-Ampeln auf Rot stehen, ist wohl auch dieser Termin gefährdet. | |
„Berlin ist keine so gute Umgebung für Taekwondo, alles ist auf Fußball | |
fixiert“, sagt er, wenngleich sein Coach beim [4][Taekwondo Elite Berlin e. | |
V.], „Mr. Sven“, mit vollem Namen Sven Fröscher, ein toller Typ sei. | |
Fröscher verwaltet das Geld vom IOC, das alle vier Monate aus Lausanne | |
überwiesen wird. Wenn Mehdipournejad etwas braucht, dann wendet er sich an | |
Fröscher. „Das IOC macht wirklich vieles möglich. Wir Refugee Athletes | |
fühlen uns ein bisschen wie eine eigene Nationalmannschaft“, sagt der | |
Iraner, der unbedingt an den Olympischen Spielen in Tokio teilnehmen will. | |
In der Klasse bis 80 Kilo. | |
Einmal hat er versucht, sich in die nächstniedrigere Klasse bis 68 | |
Kilogramm zu hungern, aber diese zwei Monate der ständigen Askese hätten | |
nicht funktioniert. „Zehn Kilo waren einfach zu viel“, sagt er. „Ich habe | |
dermaßen gelitten, irgendwann ging es nicht mehr.“ Derzeit wiege er etwa 78 | |
Kilo, ein Gewicht, das er bis Tokio 2021 eigentlich nur halten muss, neben | |
einer sehr guten Form. | |
Drei große Ziele hat er fürs kommende Jahr: die deutsche Sprache | |
beherrschen, bei Olympia und der WM gut abschneiden. Danach will er | |
entscheiden, ob er weiter Leistungssportler bleibt. Wobei: Olympia 2024 im | |
Dress des deutschen Nationalteams, das würde ihn reizen, sagt er und | |
spricht davon, wie er in ein paar Jahren in Berlin zusammen mit seiner Frau | |
einen Taekwondo-Klub eröffnet. Dort möchte er anderen einen Gygolo-Chagi | |
und Batangson-Jirugi näherbringen, Peitschentritt und Handballenstoß. | |
11 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=clow1ro2xFY | |
[2] https://www.olympic.org/ioc-refugee-olympic-team-tokyo-2020 | |
[3] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw38-de-aktuelle-stunde-… | |
[4] https://tkd-elite-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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