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# taz.de -- Schule in der Pandemie: Der Traum von der Präsenz
> Wie waren anderthalb Jahre Schule während der Pandemie, und wie soll es
> weitergehen? 4 Protokolle.
Bild: Sie können Pandemie: Schüler*innen einer 4. Klasse beim morgendlichen C…
## „Nicht wieder zu sehr lockern“
Ich bin 16 Jahre alt, komme bald in die elfte Klasse und wohne in Sulzbach.
Das ist ein Dorf in der Nähe von Mosbach in Baden-Württemberg. Die
Coronakrise hat mich von Anfang an stark getroffen, sowohl privat, als
auch, was die Schule angeht: Davor war ich oft bei meinen Großeltern auf
dem Bauernhof. Ich habe dort Ponys, die ich versorge und reite.
Normalerweise ging es danach zum Kuchenessen und Quatschen zu Oma. Das ging
dann nicht mehr, weil meine beiden Großeltern in der Risikogruppe sind.
Auch meine Uroma konnte ich während des Lockdowns nicht sehen. Sie kam in
der Zeit in ein Pflegeheim und ist gestorben. Ich habe ihre letzten Monate
gar nicht mehr mitgekriegt. Das hat mir sehr weh getan.
In der Schule war es auch schwierig. Die Zeit am Bildschirm macht einen
richtig müde und kraftlos und man hat auch keine Lust mehr, sich zu melden.
Teilweise war der Unterricht ein Vortrag von den Lehrern, besonders, wenn
wir zehn Stunden am Stück hatten. Da hatte am Ende keiner mehr Bock.
Immerhin hatte ich an meiner Schule von Anfang an nach Stundenplan
Unterricht. Trotzdem fehlt uns jetzt viel Stoff. [1][Online fällt das
Lernen viel, viel schwerer]. Man kann sich weniger konzentrieren, versteht
weniger und traut sich auch nicht so nachzufragen wie in Präsenz.
Gerade in den Fächern, die mir schwerer fallen, bin ich gar nicht mehr
mitgekommen. Auch der Kontakt mit Freunden ist ziemlich ins Schleifen
gekommen. Normalerweise habe ich meine beste Freundin jeden Tag gesehen.
Ganz am Anfang von Corona haben wir nur noch telefoniert, weil uns alles
andere zu heikel war. Irgendwann haben wir uns dann doch getroffen – mit
Abstand, Maske und im Freien. Auch meine Schulfreunde habe ich fast nur im
Online-Unterricht gesehen. Bis heute treffe ich sie nur draußen, denn viele
wohnen mit Oma und Opa im Haus.
Fürs nächste Schuljahr wünsche ich mir, dass die Maskenpflicht oder
zumindest das Testen bestehen bleibt, um ein bisschen Sicherheit zu haben,
auch wegen meiner Großeltern. Und dass nicht wieder zu sehr gelockert wird,
die Inzidenz steigt und wieder alles zumachen muss. Das ist einfach kein
Leben. Mittlerweile bin ich 16 und der Lockdown hat angefangen, da war ich
14.
Ich habe das Gefühl, einen großen Teil meiner Jugend verpasst zu haben.
Deswegen wünsche ich mir, dass wir ein Stück von unserem Leben
zurückbekommen, aber weiterhin aufpassen und die Normalität nicht gleich
wieder aufs Spiel setzen. Für die Schule wünsche ich mir, dass wir mehr
nachholen, damit wir im Abi nicht ganz verloren sind.“
Celina, 16, kommt nach den Sommerferien in die 11. Klasse eines Gymnasiums
in Mosbach.
## „Die Hilfsangebote sind ausgeschöpft“
Ich wohne in Leipzig, bin Vater von drei Kindern und grundsätzlich
zufrieden mit meinem Leben. Einen großen Teil meines Alltags als
Schulsozialarbeiter machen Beratungsgespräche aus. Ich mag meine Arbeit,
auch wenn es anstrengend ist, Privates und Berufliches unter einen Hut zu
bringen.
Während des Lockdowns musste ich die Beratungsgespräche digital führen.
Denn selbst wenn ich vor Ort arbeiten konnte, habe ich eine leere Schule
vorgefunden. Mit einigen Schüler:innen konnte ich gar nicht sprechen,
weil die technischen Voraussetzungen fehlten. Um die Schüler:innen zu
erreichen, bin ich dann zu ihnen gefahren und mit ihnen und ihren Eltern
gemeinsam spazieren gegangen. Trotzdem gab es einen großen Einbruch bei den
Beratungsgesprächen. Viele Schüler:innen haben sich stark zurückgezogen
– nicht nur der Schule gegenüber, auch der Kontakt zu ihren
Mitschüler:innen hat sich drastisch reduziert.
Für die Zeit nach den Sommerferien ist es besonders wichtig, den Fokus auf
die psychische Gesundheit der Schüler:innen zu legen. Ich habe in meinem
ganzen Berufsleben noch nie so häufig psychische Auffälligkeiten erlebt wie
jetzt. Vor der Pandemie lag mein Fokus auf Konflikten unter den
Schüler:innen. Jetzt liegt er bei Themen wie Schulangst, Schulabstinenz,
Zurückgezogenheit und anderen Angstsymptomen. Und es ist derzeit besonders
schwierig, sich Hilfe zu holen, da die Hilfsangebote ausgeschöpft sind.
Einigen Schüler:innen ist es gelungen, auch während des Lockdowns
strukturiert zu arbeiten. Extrem vielen ist das aber nicht gelungen, die
haben dann irgendwann gar nichts mehr gemacht und waren meistens auch
schwer erreichbar. Sie stehen jetzt vor einem Berg, den sie nicht alleine
überwinden können, und bleiben der Schule fern. Wir müssen also die
Lehrpläne überarbeiten und schauen, was wirklich notwendig ist. Auf Noten
sollte der Fokus nicht liegen.“
Mir persönlich ist die Koordination zwischen Beruf und Familie sehr schwer
gefallen. Zwei meiner Kinder konnten nicht zur Schule gehen, das dritte
nicht in den Kindergarten. Während ich im Homeoffice arbeitete, hatten die
Kinder auch Bedürfnisse, um die ich mich kümmern musste.
Insgesamt hoffe ich, dass nach den Sommerferien die Schulen offen bleiben.
An unserer Schule hat das Hygiene- und Testkonzept gut funktioniert. Selbst
nachdem Fälle auftraten, mussten dank der Konzepte nicht alle Kinder sofort
in Quarantäne. Ich denke, mit guten Strategien ist das durchaus möglich, es
muss nur richtig umgesetzt werden.
Christian Braun-Weidemann ist seit mehr als 7 Jahren Schulsozialarbeiter in
Sachsen.
## „Noch nie so sehr auf die Ferien gefreut“
Gerade sind bei uns in Nordrhein-Westfalen Sommerferien. Ich habe mich noch
nie so sehr auf die Ferien gefreut, selbst als Schülerin damals nicht. Ich
habe diese Sommerferien wirklich sehr dringend gebraucht. Das
Coronaschuljahr war für mich verrückt und anstrengend zugleich. Ich bin
Referendarin und schon als ich im Frühjahr 2020 das erste Mal an die Schule
kam, glich sie einer Geisterschule.
Man hatte überhaupt keine Möglichkeit, die Schülerschaft irgendwie
kennenzulernen und auch unser Lehrerzimmer war wie leer gefegt. Zum Glück
sah es nach den Sommerferien besser aus. Bis zu den Weihnachtsferien lief
ein halbwegs normales Schulhalbjahr, wenn man davon absieht, dass die
Schüler [2][Masken trugen] und ich nur ihr halbes Gesicht kennenlernen
konnte.
Als Berufsanfänger, der auch ein bisschen ausprobieren möchte, war ich
durch die vielen Regelungen sehr eingeschränkt. Vor allem der
Sportunterricht hat unter Corona extrem gelitten. Nach der richtigen
Lockdownphase, die auf Weihnachten folgte, hat man gemerkt, wie die Kinder
extrem träge wurden. Aber auch bei mir selbst habe ich das bemerkt. Ich
habe zwar versucht, die Schüler irgendwie online zu motivieren, mit: Hey,
probiert mal diese Bewegungschallenge und geht laufen, aber eigentlich sah
es bei einem selbst mit der Motivation nicht viel besser aus.
Die Schüler haben mir auch echt gefehlt. Videokonferenzen können das
wirkliche, physische Beisammensein nicht mal ansatzweise ersetzen. Bei uns
an der Schule gab es keine Verpflichtung, die Kamera während der
Videokonferenzen anzuschalten, und gerade in den oberen Jahrgängen hat man
dann oft in einen schwarzen Orbit reingesprochen.
Ein richtiger Alltag hat sich während der ganzen Pandemie nicht
eingestellt. Hatte man sich gerade ansatzweise an das eine gewöhnt, wurde
das schon wieder über Bord geworfen. Bescheid bekommen hat man immer sehr
kurzfristig. Das war sehr frustrierend, gerade als Referendar, wo man auch
Unterrichtsbesuche absolvieren muss. In meiner Bilanz überwiegt das Chaos.
Umso mehr habe ich mich gefreut, als jetzt vor den Ferien die Schüler noch
mal in die Schule kamen. Ich hoffe, dass es nach den Sommerferien halbwegs
normal weitergeht, in voller Klassenstärke und in Präsenz. Schule kann
nicht ersetzt werden. Man könnte zwar jetzt fleißig Pläne machen für
verschiedene Szenarien, doch wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass
man wieder erst drei Tage vorher wirklich weiß, wie es weitergeht.
Joan Dekker ist seit Mai 2020 Lehramtsreferendarin an einem Gymnasium in
Düsseldorf für die Fächer Biologie und Sport.
## „Ohne Hilfe der Lehrer:innen verzweifelt“
Ich habe im Juni diesen Jahres mein Abitur geschrieben und danach einen
Ferienjob hier in Berlin angefangen. Ich stehe um 4.30 Uhr auf, gehe zur
Arbeit und komme um 18.30 wieder zurück, nur um dann direkt wieder ins Bett
zu fallen und am nächsten Tag erneut früh aufzustehen. Mir geht’s aber im
Großen und Ganzen ganz gut. Ich bin relativ zufrieden, auch wenn mich die
Frage quält, wie es weitergeht, jetzt, wo Schule vorbei ist.
Corona war eine Herausforderung. Zuvor hatten wir jeden Tag einen regulären
Ablauf, wir sind um sechs aufgestanden und zum Unterricht gefahren. Auf
einmal mussten wir den Unterricht von zu Hause aus machen. Niemand wusste,
wie lange das dauern würde. Zunächst gab es nur einen provisorischen
Onlineunterricht, in der Hoffnung, dass es bald vorbei wäre.
Irgendwann ist unsere Schule dann zu Microsoft Teams gewechselt, damit
hatten wir anderen Schulen gegenüber einen großen Vorteil. Wir hatten eine
Plattform, die funktionierte, und waren nicht auf die Plattform des
Berliner Senats angewiesen, die immer wieder zusammengebrochen ist.
Ich hatte zu Hause die notwendige Ausrüstung wie PC und Tablet, womit ich
dem Unterricht gut folgen konnte. Aber manche meiner
Klassenkamerad:innen mussten sich [3][mit drei Geschwistern und den
Eltern einen PC teilen]. Das hat natürlich gar nicht funktioniert. Zwei,
drei Monate nach Beginn der Pandemie hat die Schule angeboten, dass man
ihre Rechner vor Ort nutzen kann. Das waren aber nur circa drei PCs und hat
nicht für sämtliche Schüler:innen gereicht, die einen benötigt hätten.
Insbesondere das Abi war schwierig. Viele Fragen, die wir im
Onlineunterricht gestellt haben, sind bis heute unbeantwortet geblieben,
weil es zu viele Fragen gab und manche in der Menge untergingen. Das hat
bei einigen Mitschüler:innen Panik verursacht, denn wir waren nicht gut
genug auf unser Abi vorbereitet. Viele, teilweise auch ich selbst, sind
ohne die Hilfe der Lehrer:innen am Lernen und Selbsterarbeiten
verzweifelt – auch wenn die Lehrer:innen versucht haben, uns zu
unterstützen.
Ich hätte mir gewünscht, dass die Politik mehr Mittel zur Verfügung
gestellt hätte. Vielen aus meinem Freundeskreis hat es den Abischnitt
gekostet, weil sie im Homeschooling nicht gut arbeiten konnten. Sie konnten
selbst nichts dafür. Und die Bemühungen, uns das Abi zu erleichtern, gingen
nicht weit genug. Ich kann das Argument, dass man uns nicht bevorzugen
wollte, schon nachvollziehen. Aber so, wie es letztendlich ablief, war es
uns gegenüber sehr unfair.
Bjarne, 18, hat in diesem Jahr an einem Berliner Gymnasium sein Abitur
gemacht.
15 Aug 2021
## LINKS
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[3] /Lockdown-in-der-Fluechtlingsunterkunft/!5748266
## AUTOREN
Shoko Bethke
Ruth Fuentes
## TAGS
Schule und Corona
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Bildungschancen
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Digitalisierung
Schulstart
Lesestück Recherche und Reportage
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