# taz.de -- Mobile Endgeräte: Nicht genug Zeit vor dem Bildschirm | |
> Eine Kreuzberger Initiative verteilt gespendete, gebrauchte Laptops an | |
> Kinder und Jugendliche. Damit wollen sie Benachteiligung ausgleichen. | |
Bild: Sind schon etwas älter, tuns aber noch: gebrauchte Laptops | |
BERLIN taz | Es klingelt an der Tür. Moritz Decker, ein junger Mann Anfang | |
dreißig, springt auf und kommt kurze Zeit später mit einem großen, etwas | |
ramponierten Paket zurück. Er stellt es auf einen Stapel von Kisten ab und | |
macht sich an die Arbeit, den Karton zu öffnen. Seine Kollegin Andrea | |
Spennes-Kleutges gesellt sich dazu und beobachtet ihn dabei. Um sie herum | |
stehen Türme von Paketen und Kartons. „Es ist ein bisschen wie Geschenke | |
auspacken“, sagt Spennes-Kleutges mit hörbarer Begeisterung. „Vielleicht | |
sind das Laptops!“. | |
Und tatsächlich – im Paket befinden sich zwei Laptops, einer ist in einer | |
Laptoptasche verpackt, der andere in Schutzfolie. Zwei Netzteile und ein | |
Einlieferungsprotokoll sind mit dabei. Es ist eine Privatspende, | |
unterschrieben von einer Familie. Vorsichtig nimmt Decker den Laptop aus | |
der Tasche, sein Grinsen ist hinter einem Mund-Nasen-Schutz versteckt. | |
Seit April 2021 führt die Kreuzberger Kinderstiftung gemeinsam mit | |
codecentric, einem IT-Beratungsunternehmen, die Initiative „Hey Alter!“ für | |
Berlin. Diese nimmt gebrauchte Laptops und Netzkabel entgegen, um sie an | |
Kinder und Jugendliche weiter zu verschenken. Die Idee für die bundesweite | |
Initiative entstand in Braunschweig im Sommer 2020, als Medien und Politik | |
begannen, sich mit der [1][Ungerechtigkeit in Bezug auf Homeschooling] zu | |
beschäftigen. | |
Viele Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen würden aufgrund | |
mangelhafter technischer Ausstattung im digitalen Unterricht abgehängt, | |
hieß es vielfach. Diesen Zustand möchte Hey Alter! bekämpfen, weswegen die | |
Initiative bei Unternehmen und Privatpersonen nach brauchbaren Laptops | |
fragt und diese an Jugendliche weiter verteilt. Die meiste Aufmerksamkeit | |
generieren sie durch Berichterstattung über sie. Während Privatpersonen | |
ein, zwei Laptops schicken, bekommen sie von Unternehmen häufig auch zehn | |
oder zwanzig Geräte auf einmal gespendet. | |
## Nachfrage ist groß | |
Decker und Spennes-Kleutges arbeiten beide für die Organisation Kreuzberger | |
Kinderstiftung. Decker ist Projektleiter, Spennes-Kleutges die Vorständin. | |
Ab und zu erreichen Pakete ihr Büro, doch die Anzahl genügt nicht. | |
„Die Nachfrage ist enorm“, erklärt Spennes-Kleutges, während sie neben | |
Decker steht und die Schutzfolie vom Laptop entfernt. „Im Frühling haben | |
wir uns noch gefragt, ob wir dieses Projekt über einen längeren Zeitraum | |
brauchen.“ Damals seien sie davon ausgegangen, dass die Pandemie in | |
absehbarer Zeit vorbei sei. „Und jetzt sind wir immer noch hier.“ | |
Aber auch ohne die Pandemie gebe es genug Jugendliche, die für ihren | |
privaten Gebrauch Laptops bräuchten. „Auf absehbare Zeit werden weiter | |
viele Kinder Laptops brauchen“, betont Decker. | |
Aus einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest aus dem | |
Jahr 2021 geht hervor, dass 24 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis | |
19 weder einen Laptop noch einen Computer besitzen. Außerdem bewerteten | |
Kinder das digitale Lernen im Jahr 2021 schlechter und gaben diesem die | |
Note 3,1 – im Jahr 2020 hatte Homeschooling eine Bewertung von 2,7 | |
bekommen. 53 Prozent der Schüler:innen machen sich Sorgen darüber, in | |
der Schule mitzukommen und den Anschluss zu halten. | |
## Schulen in Kreuzberg | |
Bisher hat die Berliner Initiative allerdings nur insgesamt 230 Laptops an | |
Kinder und Jugendliche spenden können. Bundesweit hat es Hey Alter! | |
immerhin geschafft, 7.145 Rechner zu verteilen. Die Schulen hat die | |
Kreuzberger Kinderstiftung selbst ausgewählt, sodass zunächst | |
Schüler:innen aus der Umgebung Kreuzberg von dem Projekt profitieren | |
konnten. „Es ist eine staatliche Aufgabe, dass Kinder digital so | |
ausgestattet sind, dass sie am vorgegebenen Homeschooling teilnehmen können | |
– und das ist nicht der Fall“, erklärt Decker. | |
Laut der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie wurden seit | |
Beginn der Pandemie etwa 50.000 neue Tablets an Kinder und Jugendliche | |
verteilt. Perspektivisch sollen in den kommenden Jahren alle Berliner | |
Schüler:innen mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Schulen | |
konnten besonders bedürftige Kinder melden, ansonsten wurden Kinder mit | |
einem BerlinPass ausgewählt. | |
Bei einer Stadt mit vier Millionen Einwohner:innen, davon über 610.000 | |
Kindern und Jugendlichen, sind beide Bemühungen wie ein Tropfen auf dem | |
heißen Stein. | |
## Unruhige Arbeitsplätze | |
Ferner braucht ein Kind mehr als nur einen Laptop und Ladekabel, um in Ruhe | |
arbeiten zu können. Auch ein eigener Arbeitstisch anstatt eines | |
gemeinschaftlich genutzten Küchentischs oder WLAN-Zugang sind wichtig. | |
Dafür können weder die Berliner Initiative, noch die Senatsverwaltung eine | |
Antwort liefern. Lösungen wie Bibliotheken oder WLAN-Sticks können helfen, | |
bieten aber keine langfristige Alternative. | |
Dennoch bleiben die Beiden von der Kreuzberger Kinderstiftung optimistisch. | |
Die Initiative will laut eigenen Aussagen ein Exempel statuieren und auch | |
die Eigenverantwortung der Jugendlichen stärken. Denn diese bekommen die | |
Rechner ohne Gegenleistung geschenkt – gehen sie gut damit um, haben sie | |
länger was davon. Sprich: Wenn sie mit der Schule fertig sind, können sie | |
sich mithilfe des Laptops auch für ein Studium oder einen Job bewerben. Um | |
den Jugendlichen den Zugang zu erleichtern, haben sie seit Januar 2022 im | |
Laptop eine digitale Schnitzeljagd installiert, in der der Umgang mit dem | |
Gerät spielerisch erklärt wird. Als Preis können Jugendliche einen | |
Abenteuerabend mit Lagerfeuer im Stiftungsgarten gewinnen. | |
12 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Corona-und-Schule-in-Berlin/!5684333 | |
## AUTOREN | |
Shoko Bethke | |
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