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# taz.de -- Neues Gesetz in Norwegen: Retuschierte Fotos kennzeichnen
> In Frankreich und Norwegen müssen retuschierte Fotos gekennzeichnet
> werden. Das soll gegen unrealistische Schönheitsideale helfen – aber
> reicht das?
Bild: Völlig, ähm, realistische Schönheitserwartungen: eine Werbung in Köln
Zwei schlanke Frauen blicken in die Ferne. Die eine hat ihre Hand auf die
Schulter der anderen gelegt. Ihre Gesichter makellos und glänzend, die Haut
porenfrei, ihre Augen funkeln über den herausstechenden Wangenknochen. Der
Hintergrund ist strahlend hell und ein Schriftzug in Großbuchstaben
verspricht: „Das Serum, das Ihre Zukunft erleuchtet“. Zwei perfekte Frauen
ohne Pickel, ohne Falten, ohne Sorgen – denkt man, wenn man diese Anzeige
auf der Straße sieht. Die zwei kleinen Wörter in der unteren rechten Ecke
übersieht man leicht. Kaum lesbar steht da: „retuschiertes Foto“.
In Frankreich ist die Kennzeichnung bearbeiteter Fotos seit einigen Jahren
Pflicht. Nun will auch Norwegen mit einem neuen Gesetz gegen den
„kroppspress“, auf Deutsch Körperdruck, vorgehen. Das hat das Parlament
Anfang Juni mit klarer Mehrheit beschlossen. Ab Sommer 2022 müssen
retuschierte Fotos in der Werbung, egal ob von großen Konzernen oder von
Influencer:innen, gekennzeichnet werden.
Erlaubt sind dann nur noch ganzheitliche Bildbearbeitungen wie Aufhellung,
Verdunklung oder Schärfung. Das Familienministerium will ein Logo
entwickeln, mit dem die bearbeiteten Fotos markiert werden müssen. Das Ziel
der Kennzeichnungspflicht ist es, gegen körperbezogene psychische
Krankheiten vorzugehen und unrealistische Schönheitsstandards aufzudecken.
Aber erreicht man das durch ein einfaches Logo?
In der Werbung und in unserem Instagram-Feed dominieren retuschierte Fotos.
Sogenannte Beautyfilter und andere Bearbeitungsschritte machen Körper
normschön: entfernen Pickel, machen Hüften schlanker und Beine länger. In
Deutschland sind etwa vier von fünf Menschen mit ihrem Äußeren unzufrieden.
[1][Jede dritte Frau zwischen 11 und 21 Jahren würde kein unbearbeitetes
Foto von sich hochladen].
## „Schönheitsideale sind alarmierend“
„Die Schönheitsideale, die in den sozialen Medien präsentiert werden, sind
alarmierend“, sagt Melodie Michelberger, Body Image Aktivistin und Autorin
des Buchs „Body Politics“. Als Teenagerin war Michelberger umgeben von
Frauenzeitschriften, die ihr das Gefühl gaben, eine Außenseiterin zu sein,
weil ihr Körper nicht den Modelmaßen entsprach. „Ich dachte, mit mir stimmt
etwas nicht“, sagt sie. Das ständige Vergleichen mit falschen Idealen sei
mit den sozialen Medien nur noch präsenter geworden. „Schöne Körper sollen
dünne Körper sein und dicke Menschen gelten als Problemfall.“
[2][Studien zeigen] Der häufige Konsum retuschierter Inhalte kann Tendenzen
einer Essstörung verstärken. Insbesondere Jugendliche, die viel Zeit Online
verbringen, leiden schnell unter den dort vorherrschenden
Schönheitsidealen. Ihr Selbstbild, ihre Identität, ihr Körpergefühl
entwickelt sich gerade erst. Sie sind umso empfänglicher für Einflüsse von
außen. Dass diese Einflüsse die Realität, in der jeder Körper
unterschiedlich ist, verzerren, ist gefährlich und setzt vor allem junge
Mädchen unter Druck. Vielen gelingt es nicht, zu abstrahieren und die
bearbeiteten Inhalte von der wahren Welt zu unterscheiden.
## Durchsetzung ist schwierig
Um dem entgegenzuwirken, müssen retuschierte Fotos in Norwegen nun also
gekennzeichnet werden, etwa wenn Haut oder Körperform verändert wurden.
Auch Fotos, die mit einem Filter versehen wurden, sollen darunter fallen.
Urheber:innen sind also in der Pflicht, die Bearbeitung klar als solche
zu benennen. Wie genau das Logo des Ministeriums aussehen wird und ob es
direkt auf dem Bild erscheinen soll oder darunter, steht noch nicht fest.
Wer das neue Gesetz bricht, muss Strafe zahlen. Jedoch wurde von den
Gesetzgeber:innen schon vor der Einführung der Pflicht eingeräumt,
dass die Durchsetzung schwierig werden könnte, weil eine Bearbeitung nicht
immer erkennbar sei.
„Ich glaube nicht, dass das Gesetz die Lösung für alle Probleme ist. Es ist
aber ein guter Schritt in die richtige Richtung“, sagt Johanna Schäwel,
Medienpsychologin an der Universität Hohenheim. Allerdings müsse dabei
beachtet werden, dass uns retuschierte Inhalte je nach Medium
unterschiedlich beeinflussen: Werbung in Magazinen zum Beispiel habe keinen
signifikanten Einfluss darauf, wie wir unser Körperbild wahrnehmen.
## Viel geändert hat sich nicht
Die Personen auf den Fotos sind häufig Prominente oder Models, mit denen
wir uns nur selten identifizieren. In den sozialen Medien hingegen fühlen
wir uns den Menschen viel näher, haben gar das Gefühl, an ihren Leben
teilzunehmen. „Je näher die Person an uns dran ist, desto eher vergleichen
wir uns mit ihr und desto stärker kann der negative Effekt auf unser
Selbstbild sein“, sagt Schäwel.
In Frankreich gibt es das „Décret Photoshop“, das die Kennzeichnung
bearbeiteter Bilder in der Werbung vorschreibt, schon seit Herbst 2017.
Viel geändert hat sich dadurch nicht. Viele Marken drucken die Warnung
absichtlich klein und unleserlich, sodass es kaum auffällt und die Illusion
der Perfektion erhalten bleibt. Schäwel empfiehlt ein einheitliches Label,
das gut sichtbar sein muss.
## Besser, Bildbearbeitung zu verbieten
Und: Ein Label ohne weiterführende Informationen sei wenig wirksam. Nicht
nur sagen „So ist es“, sondern auch erklären „Was mache ich jetzt mit
dieser Information“, um das Bewusstsein nachhaltig zu schärfen. [3][Studien
zufolge hilft der französische Weg kaum], um falsche Schönheitsideale zu
beseitigen. Den Schriftzug überlesen viele leicht und vergessen ihn dann
wieder. Was aber in Erinnerung bleibt, ist das Foto. Besser wäre es, die
Bildbearbeitung selbst gezielt einzugrenzen oder zu verbieten.
Um nicht nur die Symptome des Körperdrucks zu bekämpfen, sondern das
Problem an der Ursache anzugehen, hält Schäwel drei Komponenten für
wichtig. Erstens: Medienkompetenz, also kritisch mit Medieninhalten umgehen
und sie reflektieren. Ist es echt, was ich da sehe? Würde ich mich besser
fühlen, wenn ich auch so aussehen würde oder nicht? „Schon Kinder müssen
wissen, dass das nicht die Realität ist“, sagt Schäwel.
## Selbstwertgefühl stärken
Zweitens: die Stärkung des Selbstwertgefühls durch Freund:innen und die
Familie. Dabei gilt, Wertschätzung zu signalisieren, im Gespräch zu bleiben
und einzuschreiten bei Alarmsignalen wie ungesundem Ess- und Diätverhalten.
Drittens: Instagram und andere Plattformen können trotz allem auch positive
Effekte haben.
Hashtags wie #filterdrop oder #instagramversusreality sorgen für mehr
Realität. Die Body-Positivity-Bewegung ist ein wichtiger Trend, bei dem
Influencer:innen Fotos ihrer vermeintlichen Makel wie Cellulite,
Blähbäuche, Pickel, Dehnungsstreifen – Fotos von ganz normalen Körpern also
– online stellen. Viele laden neuerdings zwei Bilder hoch: eins bearbeitet
in vorteilhafter Pose und eins, das den Körper zeigt, wie er wirklich ist.
Dieser Kontrast hilft zu verstehen, dass der schöne Schein trügt.
## Warum überhaut den Körper lieben?
Was dabei nicht vergessen werden sollte: Es sind hauptsächlich normschöne
Menschen, die auch mal eine Falte zeigen und trotzdem den gängigen
Körperidealen entsprechen. Sie propagieren eine Selbstliebe, die Menschen,
die sich unsicher in ihrer Haut fühlen, nur noch mehr unter Druck setzen
kann.
Der Gegenentwurf „Body Neutrality“ fragt: Warum überhaupt muss ich meinen
Körper lieben? Was, wenn ich meinen Körper gar nicht jeden Tag in den
Himmel loben, sondern ihn einfach nur okay finden will? Neutralität zum
Körper zu empfinden, bedeutet, sich nicht über ihn zu definieren. Auch
dieser Ansatz findet mehr und mehr Anhänger:innen auf Instagram.
## Social Media auch positiv
„Social Media war für mich der Schlüssel zu einer neuen Welt“, sagt auch
Melodie Michelberger. Den größten Teil ihres Lebens war sie unglücklich mit
ihrem Körper, mit ihrer Figur. Bei Instagram hat sie aber plötzlich immer
mehr Bilder von Frauen entdeckt, die ihr ähnlich waren. Frauen, die ihre
Rundungen selbstbewusst vor der Kamera zeigen und ein anderes Körperbild
etablieren wollen. „Da waren plötzlich Menschen, die genauso aussehen wie
ich.“ Sich nicht mehr allein zu fühlen in der Masse der trügerischen
Perfektion, dabei habe ihr die Plattform geholfen, sagt Michelberger.
Auf ihrem Account informiert sie über Bodyshaming und setzt sich für mehr
Diversität und „Radical Fat Acceptance“ ein. Ein Gesetz wie in Norwegen
würde Michelberger sich auch für Deutschland wünschen. So könnte zumindest
mehr Bewusstsein für das Thema geschaffen werden. Sie ist sich aber sicher,
dass es mehr brauche, um die falschen Körperideale nachhaltig zu bekämpfen,
als eine Kennzeichnung.
Auf die Frage, was Schönheit für sie bedeute, antwortet sie: „Das Konzept
Schönheit habe ich für mich abgeschafft. Viel wichtiger ist es mir, meinen
Körper so zu akzeptieren, wie er ist und ihn nicht an falschen Idealen zu
messen. Ich bin okay, so wie ich bin.“
5 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.girlguiding.org.uk/what-we-do/our-stories-and-news/news/girls--…
[2] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18089205/
[3] https://nedc.com.au/research-and-resources/show/labels-to-prevent-the-detri…
## AUTOREN
Nele Sophie Karsten
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