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# taz.de -- Hamburgs inklusive Handball-Liga: Ein Gewinn für alle
> Freiwurf Hamburg ist die erste inklusive Handball-Liga in Deutschland.
> Der Leistungsvergleich wird durch ein eigens entwickeltes Regelwerk
> möglich.
Bild: Siebenmeterwerfen zum Abschluss des Trainings: Torhüter Tobias im Duell
Hamburg taz | Tobias ist Handballtorhüter. Die Arme in T-Stellung steht er
zwischen den schwarz-silbernen Pfosten. Er trägt ein Trikot vom FC St.
Pauli, seines Lieblingsvereins. Ein roter Ball fliegt auf ihn zu, er reißt
die Arme in die Luft. Mit einem schnellen Reflex bringt er die Hände hinter
den Ball und lenkt ihn über die Latte. Er ballt die Fäuste, „Ja!“, ruft e…
Dann wieder Konzentration, Fokus auf die nächste Situation.
Fokussieren – das ist bei Tobias eine besondere Sache. Einerseits braucht
man ihm nur den eigenen Geburtstag zu sagen und er nennt den korrekten
Wochentag des Datums. Andererseits hat er eine intellektuell-kognitive
Beeinträchtigung. Komplexe Zusammenhänge zu verstehen, fällt ihm schwerer
als anderen. Was sich zwischen den Torpfosten abspielt, ist wenig komplex,
binär sogar. Der Ball geht rein oder nicht. Zweiteres soll häufiger der
Fall sein, das wollen alle Torwarte. Da gibt es keinen Unterschied zwischen
Tobias und Nationaltorhüter Johannes Bitter.
Dass da kein Unterschied gemacht wird, ist Martin Wild wichtig. Wild ist
Vorstand und Gründer von [1][Freiwurf Hamburg], einer inklusiven
Handballliga in Deutschland. Sie ist die erste Liga, die offiziell vom
Deutschen Handballbund (DHB) anerkannt ist.
„Wir möchten Inklusion leben. Wenn eine Person in die Halle kommt und
Handball spielen will, soll diese auch als Handballer:in anerkannt
werden“, antwortet Wild auf die Frage, warum eine Integration in den DHB
zentral ist. Menschen mit und ohne Behinderungen, jung und alt, trainieren
in den Mannschaften der Liga auf Augenhöhe. „Natürlich gewinnen und
verlieren wir auch gemeinsam“, sagt Wild.
## Inputorientierter Leistungsgedanke
Seit 2010 existiert Freiwurf Hamburg und neben der organisatorischen
Leitung der Liga unterstützt Freiwurf andere Vereine, die inklusive Teams
aufbauen wollen. Zurzeit sind es fünf Sportvereine mit acht Mannschaften,
die in der Liga spielen. Allerdings gibt es keinen Meister. Ob das dem
Prinzip einer Punktspielliga nicht widerspreche? „Das ist der Knackpunkt“,
sagt Wild und fragt: Was ist eigentlich Leistung?“ Die Liga versuche, einen
inputorientierten Leistungsgedanken zu verfolgen.
Alles bei Freiwurf steht unter dem Zeichen der Inklusion. Zusammen mit dem
DHB hat Freiwurf deswegen ein angepasstes Regelwerk entwickelt, dass
fortwährend auf diesen Gedanken hin überprüft wird. Sobald beispielsweise
eine Person im Rollstuhl am Spiel teilnehmen will, wird situativ eine
Rollstuhlzone eingerichtet.
Auf einem Drittel des Feldes ist dann nur das Fahren im Rollstuhl erlaubt.
Das bedeutet, dass sich auch eine Person aus dem anderen Team in einen
Rollstuhl setzen muss. Auch kann ein:e Spieler:in höchstens vier Tore pro
Spiel werfen, damit vermeintlich schwächere Spieler auch Verantwortung
übernehmen müssen.
Verantwortung übernimmt auch Stephanie Michels als Trainerin bei der SG
Wilhelmsburg. Tobias gehört zu ihrer Trainingsgruppe. „Es hört sich hart
an, wenn ich das Training mache“, sagt sie mit einem Lächeln. Die
Spieler:innen witzeln, sie würde ihnen ordentlich „Feuer unter dem
Hintern“ machen. Allgemein wird in der Halle viel gelacht.
Als sie angefangen habe, habe sie keine Berührung mit Menschen mit
Behinderung gehabt. Angst vor dem ersten Training hatte sie nicht, aber
Respekt: „Wir hatten keine Ausbildung, ein Inklusionsteam zu trainieren und
es einfach probiert, sagt Michels. „Die jahrelange Erfahrung als
Handballtrainier:in einer Nicht-Inklusionsmannschaft, hat uns dabei
sehr geholfen.“
## Zum Abschluss Siebenmeterwerfen
Koordination steht auch auf dem Trainingsplan. Zwei Bänke stehen
hintereinander. Auf der ersten soll balanciert und der Ball auf den Boden
geprellt werden. Auf der zweiten soll der Ball dann auf der Sitzfläche
geprellt werden. Bente, die keine Behinderung hat, vertauscht die Aufgaben.
„Das passiert allen“, sagt Michels „weiter gehts!“
Siebenmeterwerfen: Zum Abschluss der Einheit steigt die Spannung für alle.
Tobias hebt die Arme, positioniert sich in der Mitte des Tores. Fabian, der
Mitbewohner von Tobias tritt als Letzter an, bevor das Training vorbei ist.
Er hat einen starken Wurf – eine gute Peitschenbewegung aus dem Unterarm.
Die letzten beiden Würfe hat Tobias bereits pariert, nun also sein letzter
Versuch.
Michels klatscht in die Hände, der Ball ist freigegeben. Fabian täuscht mit
kurzen, abgehackten Bewegungen an, dann wirft er. Tobias macht einen
Schritt nach links und pariert mit dem Körper. „Du bist ein Supermann“,
ruft ein anderer Mitspieler. Tobias jedenfalls ist zufrieden: „Training
macht immer Spaß“, sagt er.
28 Jul 2021
## LINKS
[1] https://www.freiwurf-hamburg.de/
## AUTOREN
Arne Matzanke
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