| # taz.de -- Exoskelett für Querschnittsgelähmte: Laufen im Roboteranzug | |
| > Ist der „Rise-Exo-One“ eine echte Hilfe oder nur eine Ausrede gegen mehr | |
| > Barrierefreiheit? Zu Besuch bei einem Forschungsprojekt. | |
| Bild: Surrend geht es los: Jessica Dibady hat monatelang mit dem Team der Techn… | |
| Zwischen Werkzeug, Lappen und Computern hängt Ronny an einem Stahlseil in | |
| einer Werkstatt der Technischen Universität Berlin. Er wiegt 85 Kilogramm | |
| und ist in etwa so groß wie der deutsche Durchschnittsmann. Ronnys | |
| korrekter Name ist „Rise-Exo-One“, er ist ein Exoskelett, eine Art | |
| Roboteranzug, der [1][querschnittsgelähmten Menschen] dabei helfen soll, | |
| wieder laufen zu können. Optisch erinnert er an einen großen schwarzen | |
| Reiserucksack mit silbrigen Beinen und runden, orangen Motoren an der | |
| Seite. | |
| Jessica Dibady fährt mit ihrem Rollstuhl in den Raum. Sie ist Ronnys | |
| Pilotin, heute soll sie wieder mit ihm trainieren. So wie Dibady haben rund | |
| 140.000 Menschen in Deutschland eine Querschnittslähmung, eine durch die | |
| Schädigung des Rückenmarks ausgelöste Lähmung des Körpers unterhalb der | |
| betroffenen Stelle. Jährlich kommen rund 2.400 Personen hinzu, durch | |
| Unfälle oder Krankheit. Eine Querschnittslähmung bedeutet oft ein Leben im | |
| Rollstuhl. | |
| [2][Exoskelette] können Betroffenen etwas mehr Selbstständigkeit geben – | |
| sagen Wissenschaftler:innen. Doch Exoskelette sind in der Community | |
| querschnittsgelähmter Menschen auch umstritten. Sie würden echter Inklusion | |
| eher im Weg stehen, lautet der Vorwurf. | |
| Wie groß ist das Potenzial von Exoskeletten für Querschnittsgelähmte | |
| wirklich? Und was ist dran an der Kritik? | |
| ## Seit 2010er Jahren forscht man an Exoskeletten | |
| Seit fünf Jahren ist Jessica Dibady querschnittsgelähmt und sitzt im | |
| Rollstuhl. „Vor dem Unfall habe ich sehr viel Sport gemacht, vor allem | |
| Squash und Kickboxen.“ [3][Sportlich aktiv] ist Dibady auch jetzt noch. | |
| „Heute mache ich jede Woche Physiotherapie und ab und zu Boxen als | |
| Kardiotraining.“ | |
| Seit den 2010er Jahren wird auch für den medizinischen Bereich an | |
| Exoskeletten geforscht, Entwicklungen davor wurden vor allem im | |
| militärischen Bereich eingesetzt. Mittlerweile gibt es in Deutschland | |
| mehrere Anbieter, die die Stützanzüge kommerziell vertreiben. Seit 2018 | |
| werden Exoskelette potenziell auch von den Kassen übernommen. Etwa 100.000 | |
| Euro kosten die Hilfsmittel pro Stück. | |
| Die Hersteller sehen in ihren Produkten großes Potenzial, doch noch ist ein | |
| autonomes Leben mit Exoskeletten und ohne Rollstuhl für | |
| Querschnittsgelähmte nicht möglich. Teams wie das von der Forschungsgruppe | |
| Rise (Research and innovation in student exoskeleton development) an der TU | |
| Berlin, die Entwickler:innen von Ronny, wollen das ändern. | |
| ## Vorbereitung auf den Cybathlon | |
| Für Dibady ist die Arbeit mit dem Exoskelett inzwischen Routine, über | |
| mehrere Monate hat sie zweimal die Woche mit Rise trainiert. Zusammen mit | |
| den Entwickler:innen hat sie Ronny und sich dabei auf den sogenannten | |
| Cybathlon vorbereitet, einen Wettbewerb an einer Hochschule in Zürich, bei | |
| dem mehr als 100 Teams mit ihren assistiven Entwicklungen antraten. Dibady | |
| musste Alltagsaufgaben erledigen, etwa geradeaus oder durch eine Tür gehen. | |
| Als das Gerüst in Berlin an ihren Körper angelegt wird, richtet sie sich | |
| mit einem Surren auf. In ihren Händen hält sie jeweils eine Gehhilfe, über | |
| einen Controller an der Rechten steuert sie die Bewegungen des Exoskeletts. | |
| Dibady hat auch ein leichteres Exoskelett eines anderen Herstellers zu | |
| Hause. „Das ist wegen seiner geringeren Größe einfacher im Umgang, ich | |
| brauche keine zusätzliche Unterstützung.“ Im Vergleich zu kommerziell | |
| vertriebenen, oft leichteren Exoskeletten hat Ronny ein größeres | |
| Bewegungsspektrum, weil er mehr Gelenkmotoren hat. | |
| Der Controller piept bei jedem Schritt, den Dibady mit dem Exoskelett | |
| macht. Vor der Tür zur Werkstatt dreht sie sich mit etwas Hilfe um. | |
| Besonders stolz sind die Rise-Entwickler:innen auf die seitlichen Schritte. | |
| Dafür lässt Dibady Ronny erst ihr Bein anziehen und dann seitlich | |
| abstrecken. Zwei Teammitglieder haben durchgehend eine Hand an Ronnys | |
| Rückenplatte. Sicherheitshalber. | |
| Die mehrheitlich studentische Gruppe Rise hat sich 2022 gegründet. | |
| „Nennenswerte Vorkenntnisse zum Thema Exoskelette hatte niemand“, erzählt | |
| Projektleiter Lukas Schneidewind. Die Gruppe ist aus der Initiative Sozial | |
| engagierte Ingenieur:innen (SEI) hervorgegangen, die Schneidewind noch | |
| als Maschinenbaustudent leitete. Ziel war es, Hilfsmittel für Menschen mit | |
| Beeinträchtigungen zu entwickeln. | |
| Das große Ziel von Rise: ein Exoskelett, dass sich irgendwann selbst | |
| ausbalancieren kann. „Wir haben das System so gerüstet, dass wir es | |
| sukzessive auf ein gleichgewichtsregelndes System upgraden können. Die | |
| Innovation steckt bei uns also in dem Potenzial und nicht dem, was es | |
| gerade schon kann“, sagt Lukas Schneidewind. Kommerzielle Ziele verfolgen | |
| die Entwickler:innen von Rise nicht, Ronny ist lediglich als | |
| Forschungs- und Innovationsplattform gedacht. | |
| Für Endnutzer:innen ergeben sich aus Forschungsprojekten wie dem an der | |
| TU Berlin normalerweise höchstens langfristig Produkte, die auch auf dem | |
| Markt verfügbar sind. „Die meisten potenziellen Innovationen bleiben im | |
| Ideen-, Bastel- oder Prototypenstadium stecken“, sagt Irmhild Rogalla, | |
| Leiterin des Instituts für Digitale Teilhabe der Hochschule Bremen, die | |
| selbst gehörlos ist. Das sei auch bei Exoskeletten so. Wenn sie es über | |
| dieses Stadium hinaus schaffen, stehen die Technologien selten einer | |
| breiteren Kund:innenschaft zur Verfügung. „Wenn, dann meist für den | |
| eigenen Bedarf des Innovators, selten der Innovatorin“, sagt Rogalla. | |
| Exoskelette sind in der Community umstritten. Sie bedienten vor allem die | |
| Vorstellung Nicht-Behinderter, „Gelähmte stehen auf und können wieder | |
| laufen“, sagt Rogalla. „Das verleitet sie zu der Ansicht, dass | |
| Behinderungen durch die assistive Technik ja ausgeglichen werden und jede | |
| weitere Forderung deswegen nur eine individuelle Macke ist.“ Schneidewind | |
| kennt die Vorbehalte. „Wir hatten tatsächlich Schwierigkeiten, Pilotinnen | |
| zu finden“, erzählt er. | |
| Trotz der Kritik bedeutet Jessica Dibady die Arbeit an Exoskeletten viel. | |
| „Es macht mich froh zu sehen, dass junge Leute über diesen Bereich | |
| nachdenken.“ Nach einer halben Stunde ist ihr Training mit Exoskelett Ronny | |
| geschafft. Dibady ist klar, dass Exoskelette nicht der Schlüssel zur | |
| Inklusion sind. Im Rollstuhl stößt sie in ihrem Alltag auf viele Hürden. | |
| „Noch immer sind viele Bars oder Restaurants nicht barrierefrei.“ | |
| Informationen zur Barrierefreiheit bei Kartendiensten seien zumindest ein | |
| erster Schritt zu mehr Zugänglichkeit. | |
| Woanders als in Berlin will Dibady trotzdem nicht leben. „Ich komme aus | |
| Paris, die Zugänglichkeit ist hier viel besser.“ Natürlich gebe es auch in | |
| Berlin Gegenden, die herausfordernd seien. „Aber fast jede Bahnstation hat | |
| einen Aufzug, anders als in Paris.“ | |
| Die Arbeit an und mit Ronny ist nun vorerst vorbei. Bei den | |
| Entwickler:innen laufen bereits die Planungen für Rise-Exo-Two. Sollte | |
| es soweit sein, wäre Jessica Dibady als Testerin sofort wieder dabei, sagt | |
| sie: „Ich finde Arbeit wie die von Rise sehr ermutigend. Ich bin froh über | |
| die Möglichkeit, ein Teil vom Team zu sein.“ | |
| 20 Feb 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marco Fründt | |
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